Meistens heißen sie “Räume der Stille” oder ähnlich. Man findet sich in Bahnhöfen, Flughäfen, Unis, aber zunehmend auch in Innenstädten als Anlaufstellen für Laufkundschaft, die mal raus will aus der Umtriebigkeit. Es sind modern gestaltete Räume, zurückhaltend gestaltet, mit Kugelnd drin oder abstrakten Bildern oder Formen. Dieses Räume zeichnet vor allem aus, dass sie verzichten. Verzichten auf zu viel Symbolik, verzichten auf zu viel Dinge, verzichte auf zu viel Voraussetzung beim Besucher, verzichten auf eine eindeutige Funktion.
Diese Räume zeigen vor allem eines: was man als gut und wichtig und erstrebenswert erachtet – mal für sich sein, nicht überflutet werden von Reizen, still sein – steht im direkten Gegensatz zu der Welt, in welche diese Räume hinein gebaut werden. Aufatmen sozusagen in der Hektik. Man tritt aus etwas heraus, um dort hinein zu treten.
Konsum allüberall, diese Räume wollen Inseln sein, wo man sich all dem anderen nicht unterwerfen muss. Die Reduktion, das Weniger wird als etwas Gutes gesehen, entweder als Alternative zum Viel und Mehr um uns herum, oder aber mindestens als wichtige Ergänzung. Das zeigt, dass es einen Widerspruch gibt zwischen dem, was man Besinnung nennen mag oder zu-sich-selbst-Kommen, und dem, was unsere Welt sonst so ausmacht.
Heraus und hinein
Aber was passiert, wenn man nicht kirchliche Mitarbeiter oder Pastoraltheologen so einen Raum gestalten lässt, sondern Künstler? Und ich meine jetzt nicht solche, die sich spezialisiert haben. Was genau dann passiert, das kann man derzeit noch in Leipzig sehen. “Gedanken Raum geben” heißt dort eine Ausstellung.
Wie so vieles in diesem Jahr hat auch diese Ausstellung im Museum Grassi ihren Bezug zum Reformations-Jahr. Der Besucher wird mit einem Luther-Zitat begrüßt: “Wenn … gute Gedanken kommen, so soll man diese Bitten fahren lassen und diesen Gedanken Raum geben und ihnen in Stille zuhören.” ‘Wie man beten soll’ heißt der Text Luthers, aus dem das genommen ist.
Der Jesuit in mir lächelt zufrieden, denn fast wortgleich findet sich dieser Satz bei Ignatius von Loyola, wenn man genauer hinsieht, dann bestimmt auch noch bei anderen. Was heißen soll, dass Martin Luther hier eine geistliche Methode beschreibt, oder einen geistlichen Ratschlag gibt, der klug und erprobt ist. Auch beim Beten soll man also da inne halten, wo man etwas findet, was ein “guter Gedanke” ist. Und der Raum dazu, das ist die Stille.
Bleiben
Wenn ich ein wenig Bibel einwerfen darf: “Bleiben” ist eines der wichtigsten Worte im Evangelium nach Johannes, es kommt immer und immer wieder vor. Bleiben, das hat ja etwas Räumliches, etwas von nicht weiter gehen. Da muss man noch nicht gleich an drei zu bauende Hütten denken, aber innerlich kann dabei schon so etwas wie ein Raum entstehen.
Diese Räume, die in Leipzig entworfen und ausgestellt sind, sind aber anders als die “Räume der Besinnung”, sie man sonst so findet und die sich ja alle irgendwie in ihrer Kargheit, dem Benutzen von rohem hellen Holz und so weiter gleichen.
Da gibt es unruhige Bild-Klang-Räume, gar nicht so sehr die Ruhe und Stille, von der Luther spricht und die unsere Besinnungsräume aufsuchen wollen. Ein Raum etwa versucht erst gar nicht, durch Reduktion zum Denken einzuladen, er schafft neue Bilder und Bewegung und versucht vielleicht, zu verdrängen, selbst projiziertes im Kopf stattfinden zu lassen statt der Stille. Ein ähnlicher Raum spielt mit Vielschichtigkeit, vorne und hinten, da werden die Augen beansprucht und ruhen nicht in einer Farbe oder einer Kugel oder an einem in die Abstraktion geführten Kreuz aus. Ausruhen ist sowieso nicht das Ziel dieser Räume.
Klang- und Bild-Räume
Da werden auch Alltagsgeräusche einbezogen. Auch Stille ist nicht das Hauptaugenmerk der Räume. Ein anderer Raum wird überhaupt erst durch ein Echo erzeugt, ist reiner Klang. Manchmal geraten die Stücke dann doch schon sehr verkopft. Aber so etwas passiert halt, wenn man Künstler machen lässt. Er tut gut, dieser Gang durch andere Räume.
Vielleicht noch ein zweiter Gedanke: “Jenseits gibt es keinen Raum …” schreibt einer der Künstler. Das Jenseits — es ist und bleibt also ein Bezugspunkt für diese Gedanken-Räume. Auch wenn der Künstler, wie er zugibt, nicht an ein solches Jenseits glaubt, kann man sich mit solchen Räumen nicht beschäftigen, ohne de religiösen Bezug zumindest mit zu bedenken.
Ein altes Stand-Kruzifix
In der Ausstellung ist nur ein einziger Raum ist einem christlichen Symbol ausgestattet: Ein Teppich auf dem Boden, darauf ein altes Stand-Kruzifix und am anderen Ende eine Bibel. Die anderen Räume drehen sich um Stille und Lärm, um Sehen und Hören, um den Besucher und seine Zeit, nichts ausdrücklich Christliches darin, auch wenn die Ausstellung auf einem Luther-Zitat fußt.
Der Teppich-Raum wirkt anders als die anderen Räume, weniger aufwendig. Der Begleittext suggeriert, dass der Künstler eigentlich Religion genauso für überwunden gehalten hat wie etwa ein Museum. Der war mal avantgardistisch, wollte radikal denken. Und jetzt präsentiert er Religion in einem Museum. Das Alte, überwunden geglaubte kommt also wieder zum Vorschein. Wenn man den Gedanken Raum gibt, dann kontrolliert man sie nicht mehr mit seinen Vorstellungen und findet Raum ausgerechnet mit Kruzifix und Bibel auf dem Teppich, ein Gedanken-Raum wie aus einer Studentenbude.
Wie aus einer einfachen Studentenbude.
Dieser Raum ist entschieden der schlichteste, für mich aber auch der eindrücklichste, nicht nur, weil ich selber Christ bin und Kruzifix und Bibel zum Stillwerden dazu gehören, jedenfalls meistens. Es ist auch der einzige Raum, der nicht origiell sein will. Der ganz bewusst auf un-originelles in einem un-originellen Setting zurück greift. “Was tun wir nicht alles, um unsere Abneigung gegen die Wahrheit zu rechtfertigen”, fragt der Künstler rhetorisch. Wenn man die Wahrheit sucht, scheint dieser Raum zu sagen, dann muss man halt bereit sein auch da zu suchen, wo man das überwunden geglaubte entsorgt hat.
Und für die Christen: Es muss nicht immer neu und glatt und abstrakt sein. Ein Gedanken-Raum kann eben einfach nur ich, Teppich, Kreuz und Bibel sein. Das überwunden geglaubte Alte ist gar nicht so alt, es kehrt zurück und zeigt sich als der Ort, wo ich ich sein kann und darf.
Guten Morgen, was für ein schönes Bild! Ich meine die letzte!
Mir kommt so vor, als wäre dies die stille Kämmerlein, wo der Mensch laut Jesus sich zurückziehen soll zum Gebet, und, wie treffend, ist mit keinem Marmorboden sondern mit einem Teppich, was mir sofort an den Islam bringt, auf barfuß, auf Knien kauernd, auf tief gebeugt vorm Kreuz, was klein ist, nah, zum Umarmung bereit…
Ist dieses Raum niedrig? Scheint mir so, wie eine Höhle, eine Geburtshöhle zu sein.
Was meinen Sie, Pater, trifft ein Mensch auf dieses Bild und kann widerstehen?
Danke für ihren Einsatz für Frieden und Erinnerung – Dresden und Busse…
LG
Eszter Meggyesy
Auch ich möchte mich bedanken, Pater. Ich finde diesen Blog-Eintrag sehr schön geschrieben und wahr!
Danke!
Gedankenräume teilen das Bewusstsein und dienen ihm die Freiheit aller Gedanken zu erhalten, um sie als Mensch anzunehmen und in Würde abzutragen. Diese Räume der Stille geben uns die Möglichkeit zu erhören, was im Lärm des Alltags oft untertaucht und sich vor dem schützt, was ihm die Freiheit raubt. Ich denke jede Person schafft sich ihre Freiräume selbst, um durch Stille den Blick auf das richten zu können, was seine Person eigentlich ausmacht.
Öffentliche Räume der Stille zeigen wohl auf, wie dringend unsere Gesellschaft nach der Stille sucht, die sich in jedem Selbst finden kann. “Die Freiheit nehm ich mir”, in aller Stille das Leben zu genießen, dessen Alltag selbstbestimmt was für jeden Menschen gleichberechtigt darin enthalten ist.