Wie das Grabtuch von Turin wird er eine „Ikone Christi“ genannt: Der heilige Rock. An diesem Sonntag geht die Wallfahrt nach Trier zu Ende, einen Monat lang war diese Christus-Reliquie im Dom zu sehen. 500 Jahre seit der ersten Wallfahrt waren vergangen, das war der Anlass für diese nicht sehr häufige Ausstellung des Gewandes Jesu, wie die Tradition es will. Am vergangenen Freitag war ich dort und hatte die Gelegenheit, mit einigen der Verantwortlichen über die Wallfahrt und das Gewand zu sprechen.
Johannes 19: 23-24 „Nachdem die Soldaten Jesus ans Kreuz geschlagen hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile daraus, für jeden Soldaten einen. Sie nahmen auch sein Untergewand, das von oben her ganz durchgewebt und ohne Naht war. Sie sagten zueinander: Wir wollen es nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte sich das Schriftwort erfüllen: Sie verteilten meine Kleider unter sich und warfen das Los um mein Gewand. Dies führten die Soldaten aus.“
„Viele sagen ,Ich bin anders nach Hause zurück gekommen, als ich aufgebrochen bin‘“, so erzählt mir Msgr. Georg Bätzing, Leiter der Heilig Rock Wallfahrt. „Einige Elemente sind ihnen wichtig, zum Beispiel das persönliche Berührtsein von der Person Christi und seiner Botschaft. Und dann ein Kirchenerleben, wie Kirche sein kann: hilfreich, unaufdringlich, tröstlich, besorgt umeinander, Angebote machend und nicht irgendwo hin zwingend oder drängend. So hat sich Kirche als Gemeinschaft von Glaubenden hier gezeigt.
Viele Menschen waren auch durch die Gottesdienste mit vielen, vielen Menschen berührt, mit Menschen unterschiedlicher Motivation und Alter, mit Leuten aus ganz Europa und der ganzen Welt. Die Dimensionen, die wir in den eigenen Pfarreien nur noch selten erleben können, waren hier spürbar.“
Bis spät in den Abend stehen die Menschen Schlange, und das nicht erst in den letzten Tagen. Ich habe ein eindrucksvolles Abendlob erlebt in einem übervollen Dom. Das sei nicht immer ganz so voll, erzählten mir Teilnehmer, aber die Gebetszeiten seien immer sehr gut besucht. Das gleiche auch bei den Mittagsgebeten, und das sei besonders erstaunlich, denn die haben in einer anderen Kirche stattgefunden, also ohne den Rock. Es muss also mehr bei der Wallfahrt zu finden sein als nur das Gewand.
Der Dom in Trier ist ruhig, die Menschen gehen langsam nach vorne, Schritt für Schritt auf den hellen Zedernholzschrein zu, der in der Mitte der Kirche, vor dem Altarraum, aufgestellt ist. Texte werden vorgelesen, Wallfahrtslieder gespielt. Einige Menschen legen Gegenstände auf die Glasplatte.
Ehrfurcht, Interesse, Berühren
„Ich habe selten so viele Gesten der Ehrfurcht gesehen, so viele offene, wache und interessierte Augen, so viele Hände, die versucht haben, zu berühren, so viele Tränen auch,“ erzählt Georg Bätzing. „Ich glaube, die Sehnsucht der Menschen nach diesem menschenfreundlichen Gott führt viele Menschen hierher. Und dafür ist dieses Gewand, diese Tunika wirklich ein handgreifliches Symbol: Gott ist nahe, Jesus ist nahe, Jesus ist Mensch für uns. Das ist glaube ich das, was die Menschen unmittelbar angerührt hat.“
Die Menschen hätten die Urform des religiösen, das Wallfahren, wieder erobert und würden besonders an die Orte gehen, die seit dem Mittelalter oder auch schon länger Ziel von Wallfahrern und Pilgern gewesen seien. ,Erobert‘: Bätzing sieht hier also mehr als nur eine organisierte traditionelle Frömmigkeit, hier ist viel vom postmodernen Menschen zu sehen, der sich seine Formen des Betens und Verehrens sucht. „Es scheint, eine zeitgemäße Form zu sein, den Glauben sozusagen in Bewegung zu bringen“ nennt Bätzing das.
Der Rock selbst sieht recht unscheinbar aus. Er ist kein Prachtgewand und war es auch nie, wie es Bischof Stephan Ackermann und auch Papst Benedikt in seinem Schreiben zur Wallfahrt betont haben. Ein sehr grob gewebter Stoff, offensichtlich sehr alt, dunkel, braun. Darüber hängt ein modern gestaltetes Kreuz.
Wer sich dem nähert, stellt sich aber automatisch die Frage, was das denn ist, dieses Gewand dort in dem Schrein. Ist es echt? Symbol? Ikone? Reliquie?
Was ist das eigentlich, dieses Stück Stoff?
Eine wissenschaftlich tragfähige Antwort auf die Frage der Echtheit kann man nicht geben, das wollen die Verantwortlichen auch gar nicht. Oder besser: Darum geht es nicht. „Niemand ist verpflichtet zu glauben, dass das das Gewand Jesu ist. Der heilige Rock ist kein Glaubensthema. Da haben wir andere und wichtigere“ sagt Wallfahrtsleiter Bätzing. Als Christusbild entfalte der Rock aber eine Unmittelbarkeit im Sehen, im Herantasten, im darauf zu gehen. „Hier ist das Gewand transparent auf Jesus, der Mensch geworden ist. Das macht den Reiz dieser Christusreliquie hin.“
„Entscheidend ist, dass der Rock als Ikone auf Christus verweist“, fügt Triers Bischof Stephan Ackermann an. „Der Heilige Rock führt automatisch den Blick über den Gegenstand, die Reliquie hinaus auf Jesus Christus.“
Der Jesus, der sich hier zeige, sei der Mensch an unserer Seite, der Mensch, der sich für die Menschen hingegeben habe, betonen beide, Ackermann und Bätzing. Das Geheimnis der Menschwerdung werde hier etwas fassbarer, als es uns sonst ist. Besonders das Leiden wird dadurch besonders sichtbar, dass das Gewand im Johannesevangelium eine besonderer Rolle spielt.
„Es ist auch das Gewand der Herrlichkeit,“ fügt Georg Bätzing an. „Christus als Auferstandener braucht kein Kleid mehr, also ist dieses Relikt-Sein, diese Reliquie, auch ein Zeichen dafür, dass er lebt.“
In die Gegenwart Gottes
Bischof Stephan Ackermann: „Wir wissen, dass wir eben nicht nur Geistwesen sind, sondern Wesen aus Fleisch und Blut, mit Herz und Verstand. Die sinnliche Qualität von Erlebnissen und Erfahrungen ist sehr wichtig. Dazu können Reliquien helfen. Sie haben immer schon dabei geholfen, das Konkrete des Glaubens ansichtig zu machen. Und als Christusreliquie macht der Heilige Rock noch einmal deutlich, dass Jesus nicht irgend ein Gedankenkonstrukt ist, sondern der, der unter uns Mensch geworden ist und das Gewand der Menschen getragen hat.“
Die geistliche Dimension der Nähe Gottes würde aber nicht nur durch den Heiligen Rock ausgedrückt, so Ackermann, sondern auch durch die Gemeinschaft der Pilgerinnen und Pilger. „Das ist ja auch Christusbegegnung in den Gläubigen, in denen er lebt.“
Ja, das ist es. Die Dimensionen sind anders.Und die emotionale Seite des Glaubens kommt zum Zug. Da fragt man sich dann nicht nach Echtheit. Als ich damals in Lourdes war, diese riesigen Dimensionen erlebt habe, habe ich nicht mehr gefragt, ob Bernadette wirklich Maria gesehen hat und wieviele echte Heilungen es in Lourdes gibt und gab. Ebenso mein Besuch in Rom, die Katakomben haben mich damals sprachlos gemacht. Alles in den 70er Jahren und das Grabtuch von Turin kenne ich auch. Als eine Bekannte mir erzählte, eine Irin, sie wäre auf einem Schiff gewesen, auf dem die Reliquien der Heiligen Bridgid waren..habe ich nicht nach echt oder Einbildung gefragt, ich war beeindruckt. Die Papstmesse im Olympiastadion hatte dieselbe Dimension. Diese Massen, diese Harmonie.Nicht Brot und Spiele. Der Historiker kennt die Spiele von damals. Was hatten die mit Glauben zu tun? Das versöhnt mit dem alltäglichen Theater in der Kirche,wo es um “meine” Kirchensteuern geht, die Kirche, die der mystische Leib Christi ist, an dem herumgezerrt wird von rechts aussen bis links aussen, sodass er sich auf Dauer nur noch mit seinen Wunden befassen kann.Aber nicht mehr mit Gott.