Krise, Erneuerung des Denkens und wieder einmal Entweltlichung
Postmoderne Philosophie ist nicht jedermanns Sache. Und wenn Sie von jemandem kommt, der in Paris den Lehrstuhl für Zeitdiagnostik inne hat, dann kann man sich auf Überraschungen gefasst macht. Ich mag dieses manchmal etwas schräg angelegte Denken.
Genau solches kam mir vor einiger Zeit in einer Meldung aus Kremsmünster auf den Tisch: Es sei paradox, schon dann von Kirchenkrise zu sprechen, wenn das Heute einfach nur anders ist als das Gestern. Verblüffend einfach. Die Aussage stammt vom Pariser Soziologen und nicht-Theologen Michael Hochschild, er hatte in einem Vortrag im Stift Kremsmünster davon gesprochen, dass es ein Denkfehler sei, sich sicher und wohl zu fühlen, wenn die Zeit und damit das Leben in der Kirche nicht mehr weiter gehe, sondern stehen bleibe. „Hier müssen und können wir unser Denken erneuern“, zitiert Kathpress den Vortrag.
Die Kirche von heute solle auch mit den Mitteln von heute beschrieben werden, noch einmal eine völlig entwaffnende Aussage: „Die Kirche zielt nach vorne und überprüft sich aber selbst mit den Erwartungen von gestern, mit denen die Spiegel der Sozialforschung konstruiert wurden. Das kann nicht gut gehen.“
Je mehr die zukunftsorientierte Selbstprogrammierung gelingt, desto größer klaffe die Schere zur gestrigen Selbstvergewisserung, sagte der Soziologe und meinte weiters in Richtung an das zum Großteil jugendlichen Publikum: „Wie würden Sie sich wohl fühlen, wenn man ihren Glauben als junge Generation an den Formen ihrer Großeltern zu bemessen versuchte?“
Die herkömmliche Religionssoziologie würden die neuen Keime des Glaubens in der heutigen Welt zu wenig erfassen, so Hochschild: „Wenn meine Mitarbeiter Jugendliche befragen, ob sie beten, dann erhalte ich sehr geringe Werte. Warum? Weil die jungen Leute sofort an alte Formen des Gebetes denken, an das, was sie bei ihrer Großmutter erlebten. So denken sie an Rosenkranz und Maiandacht – und antworten auf die Frage, ob sie beten mit nein. Wenn ich sie aber frage, ob sie öfters ihre Seele atmen lassen und mit den Jugendlichen ins Gespräch eintrete, wo sie Transzendenzerfahrungen machen, bekomme ich wesentlich höhere Werte.“
Hochschild konstatierte in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik einen tiefgreifenden Wandel, der natürlich auch die Religion umfasse. Es werde keine zweite Moderne geben mit wieder mehr Religion, sondern ein neues Zeitalter. Dieses würde für den Glauben neue Chancen bergen. Hochschild: „Wir erleben derzeit weltweit keinen Untergang der Religion, sondern im Gegenteil neue Formen von Religiosität.“ Allerdings: Während im Milieukatholizismus die Religion uniformer gelebt wurde, trete sie heute mehrdeutig auf.
Auch Hochschild griff dann Papst Benedikts Begriff von der „Entweltlichung der Kirche“ auf: Er las ihn aber mit Hilfe von Aussagen Benedikt XVI. im Februar 2012 im römischen Priesterseminar: Dort habe er dazu aufgerufen, „die Welt auf eine Weise neu zu schaffen“, sich nicht mit der gegenwärtigen Welt zufriedenzugeben, sondern ans Morgen zu denken.
Hochschild: „Er sagt nicht einfach: ‚Seid gegen die Welt, enthaltet euch davon, sie ist säkularisiert, schlecht, aber wir sind gut.‘ Er fordert uns auch nicht einfach auf, die Welt zu verändern. Es heißt vielmehr: die Welt zu schaffen. Wir sollen also auf eine bestimmte Weise diese Welt neu schaffen. Wir sollen nicht die Hände in den Schoß legen ob der Probleme in der Welt, sei es nun die Säkularisierung oder die Wirtschaftskrise.“ Und der Weg zu dieser neuen Welt liege laut dem Papst in einer Erneuerung des Denkens, meinte der Soziologe.
Wie soll das gehen ? Unsere Welt neu erschaffen ?
Zunächst muß der Einzelne sich selbst ändern. Karl Rahner sagte in seinem Freiburger Vortrag 1966 nach dem Ende des Konzils über den ‚Frommen von morgen’ , der werde ein Mystiker sein , oder , er werde nicht fromm sein.
Karl Rahner , Frömmigkeit heute und morgen
in Geist und Leben 39/5 (1966) Seite 326 – 342
Nur um deutlich zu machen, was gemeint ist und im Wissen um die
Belastung des Begriffes „Mystik“ (der, recht verstanden, kein Gegensatz
zu einem Glauben im Heiligen Pneuma ist, sondern dasselbe), könnte man
sagen: der Fromme von morgen wird ein „Mystiker“ sein, einer der etwas
„erfahren“ hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von
morgen nicht mehr durch die im voraus zu einer personalen Erfahrung
und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung
und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse
Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiös
Institutionelle sein kann.
Der Fromme von morgen hat also etwas erlebt, das von Gott kam. Zum Beispiel bittet er Gott in einer verzweifelten Situation um Hilfe , und die Hilfe erfährt er, und er ist bestürzt und verwundert über die prompte Antwort. Man kann sich irgendeine Kostbarkeit denken, mit viel Herzblut eines seiner Lieben daran , die verloren gegangen ist. Nach dem Gebet liegt diese Kostbarkeit vor ihm auf dem Boden. (Das ist etwas anderes, als die Wut über den verlorenen Groschen und die anschließende Freude über das Wiederfinden. ) Solche Dinge kann jeder erleben.
Jetzt kann er das für Zufall erklären, oder eine andere Ausrede suchen, die ihm den Glauben an das Eingreifen Gottes erspart, bis hin zu der Vorstellung, daß der Allmächtige sich sicherlich nicht um seine Kleinigkeiten kümmere.
Der Fromme von morgen muß hingegen beschließen, daß diese Ausreden alle nicht stimmen, daß der Allmächtige doch ‚Zeit für ihn hat, sich um ihn kümmert’ und daß er, der Fromme, das als Richtschnur und Stütze seines künftigen Lebens nimmt. Das ist eine Entscheidung, die er trifft, sozusagen : „da geht es jetzt lang“. Er muß sich darauf einlassen und ein Stück tägliches Ritual einrichten, etwa Psalmengebet. Fleischmanns Officium Divinum Parvum ist eigentlich auch heute noch ein gutes Verfahren, am besten die Ausgabe Latein/Deutsch. Oder das Jesusgebet des Ignatius. Irgend etwas dieser Art muß sein.
Und dann kann er z.B. in diesem Blog ein paar Vorschläge machen: Keine Vatikan-Beschimpfungen, auch keine so intelligenten, wie die in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 3.Juli auf Seite 6 „Franz-Xaver Kaufmann : Das Elend des römischen Zentralismus“ . Kaufmann wäre in der Lage, den erheblichen intellektuellen Unterschied zwischen der Führungsschicht des Vatikan und den Regierungen weltweit zu sehen und zu werten. Es hat keinen Sinn, eine ideale Regierung zu fordern, und, verglichen mit den hinter uns liegenden Jahrhunderten , steht unsere Kirche heute sehr gut da, und ich bin glücklich, dass wir so einen gescheiten Papst haben.
Nun Beispiele für Neuerungen:
Ehe: Wir sollten zusätzlich eine weniger sakramentale Form der eheähnlichen Gemeinschaft finden, ohne die Festlegung auf ein halbes Jahrhundert, und das noch ohne Probezeit. Kein katholischer Orden macht so etwas. Da gibt es immer Probezeiten vor der endgültigen Profeß. Und da findet sich wohl auch eine Möglichkeit, um diejenigen Zweiergemeinschaften zu segnen und ihnen in die Kirche eine Platz im Parkett zu geben, die keine Kinder zeugen können, z. B. gleichgeschlechtliche Gemeinschaften.
Heilige Messe: Die Verpflichtung der Gläubigen auf die sonntägliche Heilige Messe kann beim augenblicklichen Priestermangel nicht ohne weiteres aufrechterhalten werden, aber man könnte das Stundengebet als zusätzliche Möglichkeit entwickeln. Bitte, kein Wortgottesdienst, denn geredet wird genug in der Kirche. Beten ist meine Forderung.
Und Karl Rahners Artikel über die Frömmigkeit von morgen lesen. Man kann ihn sich aus der Website von ‚Geist und Leben’ als PDF – File herunterladen. Der Artikel lohn auch mehrfaches Lesen. (GuL 39/5 von 1966, Seiten 326 bis 342 )
Wir müssen anfangen mit der ‚neuen Welt’, denn diejenigen, denen wir das Evangelium bringen sollen, laufen uns davon, in unerreichbare Fernen. Und, wie Welten ohne Evangelium aussehen, sieht man in Afrika, wo Kindersoldaten ausgebildet und eingesetzt werden. Bei allen Ungeheuerlichkeiten des letzten Jahrhunderts in den Diktaturen Europas, das gab es hier noch nicht.
Wir müssen anfangen. Es ist nicht egal, was andere denken.
Ihr Hans Dilcher
Lieber Herr Dilcher,
herzlichen Dank für Ihren Hinweis auf das Rahner-PDF.
Endlich!
Ich habe das schon immer gesucht,Danke!
Angela Fengler
P. S.: Lieber Pater Hagenkord, Ihnen gilt natürlich der „Haupt-Dank“ – für diesen Blog und seine Kommentar-Möglichkeit 🙂
Karl Rahner hat diesen Satz an allen Ecken und Enden gesagt.Ich habe ihn 1979 1 Semseter lang gehört. Christologie. Der Mystiker darf sich dann gleich von der Glaubenskongregation unter dem Vorsitz von Bischof Müller auf seine Echtheit hin testen lassen. Was ein Mystiker tun kann..haben uns bereits lange vor Karl Rahner die Mystiker selber gesagt. Unter Androhung von Inquisition. Man lese Ignatius, Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila und eigentlich alle Ordensgründer. Denn einen Orden gründet man nicht, weil man es grad schön findet, sondern weil man einen Auftrag von Gott hat, so wie die Propheten Mystiker waren und Aufträge hatten und wider alle Vernunft unters Volk gegangen sind,das sie zuerst an den Marterpfahl gestellt hat und als sie tot waren, heiliggesprochen hat. Der ganz normale Lauf der Dinge.Wenn Mystik ein Leichtes wäre, wären alle Christen Mystiker. Aber Mystik ist auch ein Geschenk, mit dem man arbeiten muss. Ein Talent, das es zu vermehren gilt.Das man nicht im Griff hat auf Dauer wie den Rosenkranz.
Wir brauchen die Welt nicht neu zu schaffen. Wir brauchen uns nur an der Botschaft Jesu von der Gottesherrschaft zu orientieren: Es ist schon alles neu geschaffen. Wir müssen uns allerdings an dieser Neuschöpfung beteiligen: „Wer in Christus ist, ist neue Schöpfung.“ (Paulus).