Irgendwann vor gar nicht allzu langer Zeit hat ein Historiker in den USA das „Ende der Geschichte“ ausgerufen. Mit dem Fall der Mauer hätten sich endgültig Demokratie und Marktwirtschaft durchgesetzt, das Zeitalter des Liberalismus sei da.
Schon damals hat es Kritik gehagelt, aber heute kann man sich nur die Augen reiben. Wir schauen uns heute, kurz vor Beginn des Jahres 2016, in Europa um und fragen uns, wo das alles denn geblieben ist.
In Frankreich ist der Front National stark wie nie zuvor, in Italien retten sich die Wähler zur anarcho-nationalen Bewegung „Fünf Sterne“, die nur Obstruktion betreibt. Polen und Ungarn währen Wege und vor allem nationalistische Stimmungen, die mir den Atem nehmen. Russland hat einen Teil eines Nachbarstaates einfach annektiert, die Armeen überall setzen wieder mehr auf Panzer. Und das sind nur die schlagzeilenträchtigen Entwicklungen.
Das ist nicht gerade das Zeitalter der Demokratie und der Marktwirtschaft, wo sich alles irgendwie friedlich und liberal regelt.
Aber das ist 2016. Gefährlicher als die Jahrzehnte zuvor, auch hier, im wohlhabenden, fortschrittlichen Europa. Wenn wir wirklich all das behalten wollen, was unsere Gesellschaften prägen, Toleranz und Werteakzeptanz, Demokratie und Länder ohne Grenzen, dann werden wir wohl aufstehen müssen. In den Schoß wird uns das nicht mehr gelegt, das hat uns 2015 beigebracht. Jetzt werden wir sehen, ob es uns gelingt, das zu behalten, auf das wir so stolz sind und ob wir fähig sind, die nötige Energie und Bereitschaft dazu aufzubringen. 2016 wird anstrengend in Europa.
Für 2016 wünsche ich allen die nötige Gelassenheit und Kraft, um den Widrigkeiten zu trotzen und dem Leben das Glück abzugewinnen, das es für jeden bereit hält.
‘Wollen wir uns über die Zeiten beklagen? Nicht die Zeiten sind gut oder schlecht. Wir selbst sind die Zeiten. Wie wir sind, so sind auch die Zeiten. Jeder schafft sich selber seine Zeit! Lebt er gut, so ist auch die Zeit gut, die ihn umgibt! Ringen wir mit der Zeit, gestalten wir sie! Und aus allen Zeiten werden heilige Zeiten.’ (Augustinus, Predigt 80,8) Das Schöne an diesem zeitlosen Text ist, dass er ohne einen Kassandraruf auskommt. Noch ein allerletzter Gedanke: Die Societas Jesu darf dank einem der ihren auf dem Stuhle Petri sicherlich voll Zuversicht sein, dass kein Papst – wie es noch A.D. 1773 geschah – ihre Ordensgemeinschaft jemals wieder aufheben wird – und darauf zum Neuen Jahr dankbar anstoßen.
Für das neue Jahr habe ich mir vorgenommen, mich mehr zu wundern, mehr zu staunen. Sich wundern und staunen heißt Abstand gewinnen, nicht mit schnellem Urteil und fertigen Rezepten zur Hand zu sein; die Dinge erst auf sich wirken lassen und dann in Ruhe das Notwendige und Mögliche tun, damit dann das Unmögliche möglich wird.
Ja, wir gehen politisch turbulenten Zeiten entgegen, die sich aber schon in der Vergangenheit abgezeichnet haben. Bei der Lösung dieser Probleme kann die Politik nicht allein gelassen werden – das ‚Wunder’ der Willkommenskultur zeigt das doch aufs schönste. Was für eine Chance für die Kirche und die Neue Evangelisierung, von der Papst Franziskus spricht!
Lassen wir uns also nicht irritieren von Pegida und Konsorten, die angeblich die Verteidigung des christlichen Abendlandes im Schilde führen, sondern gehen gelassen den Weg weiter, den wir bereits eingeschlagen haben. Wir befinden uns nämlich schon auf dem Weg der Neuen Evangelisierung.