Kennen Sie das Buch „Katholiken“ von Brian Moore? Oder den danach gedrehten Film mit Martin Sheen? Es ist in den 70er Jahren geschrieben und spielt ein Gedankenexperiment durch: Die damals als „Liberale“ bezeichneten haben in der Kirche das Ruder übernommen und gebärden sich genauso rigide und unterdrückerisch, wie sie es davor den so genannten „Konservativen“ vorgeworfen hatten.
Aber es soll bei diesem Blogeintrag gar nicht um die Kirche gehen, sondern nur um die Perspektive des umgedrehten Machtspiels. Mir ist das Experiment Moores eingefallen, als ich im Spiegel die Meldung vom Amsterdamer Pranger gelesen habe. Nachgeschaut habe ich dann auch im Algemeen Dagblad und in anderen Medien.
Es geht darum, dass „Alltagsterroristen“ aus dem normalen Leben einer Stadt herausgenommen und – zeitweise – in kleine Wohnsiedlungen am Rande der Stadt umgesiedelt werden sollen. Es geht nicht um Verlagerung im großen Stil, aber um Trennung. Und die Idee dahinter klingt auch plausibel: Nicht die Opfer von Mobbing, Fremdenfeindlichkeit und Homophobie sollen die Folgen von Übergriffen tragen, indem sie vielleicht aus ihrem Stadtviertel wegziehen müssen, sondern die Störer. Sehr gerecht.
Los geht es in Amsterdam Anfang diesen Jahres. Unliebsame oder störende Nachbarn können auf speziellen Webseiten gemeldet werden. Diese Fälle werden gesammelt und später ausgewertet. Während die Störenfriede dann in Containern wohnen müssen, sollen sie dort polizeilich kontrolliert werden.
Warum mich das an das Gedankenexperiment Moores erinnert? Weil es um mehr geht als nur den Schutz der Opfer von Alltagsterror und allerlei Feindseligkeiten. Es geht um Werte. Der Bürgermeister von Amsterdam, Eberhard van der Laan, spricht von den liberalen Werten der Stadt, die es zu verteidigen gelte.
Ich übersetze: Liberalität bedeutet hier Toleranz und Weite. Und es bedeutet auch, nicht gleich zu Gegengewalt greifen zu wollen, wenn irgend jemand übergriffig stört oder Schlimmeres; damit will man die Gewaltspirale vermeiden, aus der man nicht mehr heraus käme: Mehr Kameras, mehr Polizisten, mehr Kontrolle.
Aber mir drängt sich auch eine andere Übersetzung auf: Weil Amsterdam liberale Werte verteidigen will, gehen genau eben diese liberalen Werte über Bord. Es riecht ein wenig nach Segregation. Kein Wunder, dass sich die sozialdemokratische Stadtregierung plötzlich im selben Boot befindet wie Rechtspopulist Geert Wilders.
Wie gesagt, die Schwachen sollen verteidigt werden und die Täter nicht den Nutzen der Liberalität für sich in Anspruch nehmen können. Das ist löblich. Aber ein mulmiges Gefühl bleibt mir da: Wo endet das? Und: Wer entscheidet, wo es endet?
Diese Absonderung erinnert mich irgendwie an Ghetto, Aufteilung zwischen den Schwachen und Opfern gegen über die Starken, Liberalen, die Machtausübenden.wenn sie es den sind.
Das Gegenteil war noch nie gut. Wer bestimmt nun am Pranger? Die Ellenbogen der Stärkeren. Wer bestimmt im gegenwärtigen System? Ebenso die Ellenbogen. Solange einer den anderen beschützen muss, sehe ich keine Veränderung. Die Opfer ziehen sich zurück. Also gehen sie unter. Oder brauchen Mäzene. Wenn die Opfer auf die Straße gehen,erzählen, könnte sich etwas ändern.Die ganz heile Welt gibt es (noch) nicht. Eher Übergänge.Neue Menschen braucht das Land.