Muss sexuelle Gewalt an Minderjährigen in jedem Fall angezeigt werden oder nicht? Mit einer Empfehlung der australischen Missbrauchskommission ist eine Debatte wieder auf den Tisch gekommen, die seit langem immer wieder kontrovers geführt wird. Auch bei uns, in Deutschland, Österreich, der Schweiz.
Ausdrücklich spricht sich nun die australische Missbrauchskommission für die Aufhebung des Beichtgeheimnisses in Fällen von Missbrauch aus, die katholische Kirche reagierte prompt und dagegen. Was nicht überrascht.
Die Katholische Nachrichtenagentur zitiert den Bericht der Missbrauchskommision wie folgt: „Der Bericht empfiehlt, dass das Nichtanzeigen von sexuellem Kindesmissbrauch in Institutionen zu einem strafrechtlich relevanten Vergehen gemacht wird. Das gilt auch für Informationen, die in Beichtgesprächen erhalten wurden“. Der Hintergrund ist erst einmal überzeugend: „Das Recht, Religion auszuüben, muss die gesellschaftliche Pflicht einschließen, für den Schutz aller, und insbesondere der Kinder, vor sexuellem Missbrauch zu sorgen“.
Wie am besten schützen?
Aber wie genau kann der Schutz aller am besten gewährleistet sein? Der Missbrauchsbeauftragte der deutschen Regierung etwa erklärt auf der offiziellen Webseite, warum es in Deutschland bewusst keine Anzeigepflicht gibt: „Der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ hat sich mit der Thematik der Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden intensiv befasst und sich gegen eine allgemeine strafbewehrte Pflicht zur Anzeige von Straftaten des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen ausgesprochen. Damit soll weiterhin ermöglicht werden, dass Betroffene insbesondere in Beratungsstellen vertraulich Hilfe erhalten. Bei einer strafbewehrten Anzeigepflicht hingegen wären alle, die von möglichen Fällen sexuellen Missbrauchs erfahren, zur Erstattung einer Anzeige verpflichtet, um sich nicht selbst strafbar zu machen.” Stattdessen hat man Leitlinien verfasst, wie und wann Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet werden können und sollen.
Es gab schon 2003 – also lange vor der aktuellen Debatte – den Versuch der Bundesregierung, den entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch zu ändern, der Entwurf dazu wurde aber nach Kritik aus Fachkreisen zurück gezogen, und zwar mit derselben Begründung: Ein Teil der Opfer wünsche das automatische Einschalten der Strafverfolgungsbehörden nicht.
Manchmal schwer auszuhalten
Kurz: der Wille der Opfer geht vor. Das ist manchmal schwer auszuhalten. Denn es ist doch möglich, dass ein Täter, der vielleicht weiter sein Unwesen treibt, durch eine solche Meldung gestoppt wird und weitere Übergriffe und Gewalt vermieden werden kann. Trotzdem geht der Opferwille vor.
Nach wie vor halte ich das – bei allem Zögern – für die beste Lösung. Auf keinen Fall darf das aber aus Rücksicht auf die Täter geschehen. Oder die Institution. Gerade beim Thema Beichtgeheimnis wird das komplex: Ein Priester müsste einerseits – wie in vielen Ländern der Fall – sofort zum Staatsanwalt oder zur Polizei gehen und einen Missbrauch, von dem er erfahren hat, anzeigen. Dadurch würde er sich automatisch die Exkommunikation zuziehen, man darf Sünder und Sünde nicht identifizieren.
Auch das ist ein Argument, aber ein nachgeordnetes, wie ich finde.
Wer also von einem Kind oder Jugendlichen kontaktiert wird, der vielleicht gar nicht weiß, wie mit der gemachten Erfahrung am Besten umzugehen ist, der oder diejenige muss selber entscheiden, was als nächster Schritt das Beste ist. Und wer im geschützten Raum der Beichte von so was erfährt, der muss genauso lernen, den nächsten Schritt zu unterscheiden. Was hilft wem?
Schutzraum Beichte
Das Beichtgeheimnis kann – kann, nicht muss – ein Schutzraum sein. Es kann helfen. Mein Mitbruder Klaus Mertes nennt ein Beispiel aus einem anderen Schutzraum, um die Funktion zu erklären: „2015 wurde nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs in den Alpen gefordert, die ärztliche Schweigepflicht bei depressiven Piloten aufzuheben. Doch mit dieser Ausnahme wäre die Institution der ärztlichen Schweigepflicht als Ganzes beschädigt worden. Kein unter Depressionen leidender Pilot würde sich mehr einem Arzt öffnen.“
Es geht um Schutz, damit man reden kann. Für Täter wie für Opfer. Ich selber hatte auch schon Missbrauchsgeschichten im Beichtstuhl, zum Glück für die Betroffenen und dann auch für mich nur Menschen, die woanders bereits Hilfe bekamen, die wollten sich nur im geschützten Raum nur aussprechen. Ich hätte nicht gewusst, was ich getan hätte, wäre ich der erste gewesen, der davon erfahren hätte.
Australien bringt das jetzt wieder auf die Tagesordnung. Und auch wenn ich eine andere Meinung vertrete als die Missbrauchskommission dort, finde ich es gut, das weiter geredet wird. Das Thema ist noch nicht „erledigt“, wie viele auch in der Kirche hoffen. Die Frage, wie am besten Schutzräume gebildet können und der Wille der Opfer von sexueller Gewalt entscheidend bleibt, ist noch nicht beantwortet.
Die entscheidende Frage dreht sich um das körperliche und geistige Wohl der Opfer. Eine AnzeigePFLICHT ist nur dann moralisch vertretbar, wenn sowohl das körperliche als auch das geistige Wohl der Opfer durch die AnzeigePFLICHT und durch die Anzeige selbst gewährleistet ist. Ist dies – z.B. durch eine Retraumatisierung – auch nur in einem einzigen Fall nicht möglich, korrumpiert das die Anzeigepflicht.
Ich stimme vollkommen mit Ihnen überein. Das Wohl und der Wille der Opfer, als der direkt geschädigten Personen, muss immer im Mittelpunkt stehen. Leider ist die Gesetzgebung in der Hinsicht in Deutschland uneindeutig. Zwar gibt es Berufsgruppen, die verpflichtet sind, eine Kindeswohlgefährdung bei der Polizei anzuzeigen oder der Aufsicht führenden Stelle zu melden (Jugendämter), aber dem steht bei Angehörigen bestimmte Berufe eine gesetzliche Schweigepflicht gegenüber. Das Bundeskinderschutzgesetz trat 2012 in bearbeiteter Form in Kraft und enthält Regelungen, die den Weg weisen https://www.bmfsfj.de/blob/86270/bfdec7cfdbf8bbfc49c5a8b2b6349542/bundeskinderschutzgesetz-in-kuerze-data.pdf
Eine Meldepflicht bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sieht das Gesetz allerdings nicht vor. Sie gilt nur für wenige Berufsgruppen. Lediglich die Jugendämter sind verpflichtet, Verdachtsfällen nachzugehen.
Ich halte es für sinnvoll, Menschen, die beruflich mit Minderjährigen zu tun haben, dazu zu verpflichten, sich im Verdachtsfall mit der Bitte um Beratung an eine Behörde, insbesondere die Jugendämter oder eine Fachberatungsstelle zu wenden. Dies sollte dokumentiert werden. So dass im Falle einer Strafanzeige derjenige, der im Zuge seiner Berufsausübung von dem Fall erfuhr, Rechenschaft ablegen kann. Es entstünde keine Anzeigepflicht, aber eine Verpflichtung zur fachlichen Klärung des Sachverhalts. Seelsorger rechne ich der Gruppe derer, die beruflich mit Minderjährigen zu tun haben, ausdrücklich zu.
Die Leitlinien der DBK und der DOK sehen auf der Seite 2 Folgendes vor
„Zuständigkeiten der beauftragten Person
10. Die beauftragte Person nimmt Hinweise auf sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch Kleriker, Ordensangehörige oder andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Bereich entgegen und nimmt eine erste Bewertung der Hinweise auf ihre Plausibilität vor.
11. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst sind verpflichtet, diesbezügliche Sachverhalte und Hinweise, die ihnen zur Kenntnis gelangen, der beauftragten Person mitzuteilen. Etwaige gesetzliche Schweigepflichten oder Mitteilungspflichten gegenüber staatlichen Stellen (z. B. Jugendamt i. S. d. § 8a SGB VIII, Schulaufsicht) sowie gegenüber Dienstvorgesetzten bleiben hiervon unberührt.
12. Der Diözesanbischof wird von der beauftragten Person unverzüglich informiert. Sofern es sich um Ordensangehörige handelt, ist auch der Ordensobere zu informieren.“
http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2012/2013-151a-Ueberarbeitung-Leitlinien_Rahmenordnung-Praevention_Leitlinien.pdf
Dies bedeutet konkret, dass Menschen, die im Dienst der Katholischen Kirche stehen, verpflichtet sind, Verdachtsfälle dem jeweiligen Missbrauchsbeauftragten zu melden. Der wiederum hat die Meldung umgehend an den Diözesanbischof bzw. den Ordensoberen weiterzuleiten.
Meiner Einschätzung nach führt dies ganz praktisch dazu, dass MitarbeiterInnen der Katholischen Kirche, denen für die der Schutz von minderjährigen und erwachsenen Opfern an erster Stelle steht, mehrheitlich offiziell nichts „merken“ werden, um die Persönlichkeitsrechte der mutmaßlichen oder tatsächlichen Opfer und ihrer Angehörigen zu wahren. Aber auch, um für Sicherheit zu sorgen. Nicht zuletzt für sich selbst, denn für einige Berufsgruppen gilt eine gesetzliche Schweigepflicht. Auf diese Weise kann man als Institution bewirken, dass die Zahl der gemeldeten Fälle schwindet. Und hat in dem Sinne tatsächlich recht, wenn man behauptet, dass die eigenen Präventionsleitlinien Zahlen sinken lassen. Ich betrachte diesen und weitere als äußerst kritische Punkte und habe deshalb oben ein alternatives Vorgehen vorgeschlagen.
Ich finde, das absolute Beichtgeheimnis der Priester ist ein sehr, sehr hohes kulturelles Gut, auch für alle anderen Menschen, die nicht Kinder sexuell missbrauchen, selbst, wenn sie nicht in einer Kirche oder gläubig sind; ich meine, daß es diese Möglichkeit real existierend gibt auf der Welt, solche Menschen, die zuhören und absolut schweigen. Bei Ärzten ist es anders, da ist es strafrechtlich in bestimmten Fällen an bestimmte Bedingungen geknüpft, also nicht absolut.
Es müsste sichergestellt sein, daß der Priester nicht selbst ein Kinderschänder ist und auch sonst nicht niederträchtig ist – und auch, daß das Schweigerecht nicht missbraucht wird, also z.B. ein Vorgesetzter, der im Dienst von so etwas erfährt, es missbräuchlich unter das Beichtgeheimnis nimmt. Gibt es nicht einen Rahmen für die Beichte, daß man fragen kann in einem bestimmten Fall, ist das überhaupt Beichte? Es geht ja um Missbrauch in Institutionen, also vor allem wohl jetzt gerade in der Kirche in Australien. Sicherlich geht es wohl auch nicht um zurückliegende Taten, sondern um fortgesetzte Verbrechen? Ich finde es übrigens wichtig, daß die Priester gut vorbereitet werden auf die Begegnung mit Pädophilen, denn mit denen kommt man evtl. wirklich in Teufels Küche. Gut geeignet dafür ist z.B. Werner Herzogs Dokumentation seiner Zusammenarbeit mit Klaus Kinski, der Film heißt: „Mein liebster Feind“. Wenn es nur um den Schutzraum, damit man reden kann ginge – na, reden kann man auch vor Gericht; wovor den Täter schützen?
Prof. Dreßing, ZI-Mannheim, der die Zweitauflage der von der DBK in Auftrag gegebenen Missbrachsstudie leitet, hat vor Kurzem einen Zwischenbericht veröffentlicht. Hier ein Ausschnitt aus einem Artikel, der im Spiegel erschien:
„Die Täter
Der Sexualstraftäter in der katholischen Kirche ist den Erhebungen zufolge Gemeindepfarrer oder Priester, im Durchschnitt 39 Jahre alt, und auf der Suche nach männlichen Opfern.
Er ist psychisch labil, wenn nicht gestört: 29,6 Prozent der Täter wurde eine emotionale oder sexuelle Unreife bescheinigt, 21,6 Prozent litten an einer Persönlichkeitsstörung. Mehr als 17 Prozent wurden von Psychiatern oder Psychologen als pädophil eingeordnet. Sollte sich diese Zahl in weiteren Studien bestätigen, wäre das deutlich mehr als der geschätzte Bevölkerungsdurchschnitt von etwa zwei bis vier Prozent der Männer – aber der übliche Durchschnitt in der Gruppe der Sexualstraftäter.“
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/katholische-kirche-zwischenbericht-missbrauchsforschung-a-1100092.html
Wohl gemerkt: die ForscherInnen beschäftigen sich in erster Linie mit Missbrauchsverbrechen, die in den teilnehmenden Bistümern aktenkundig geworden sind. Und das sind selbstredend nur die wengsten. Trotzdem bestätigen die vorliegenden Ergebnisse, was Opfer, Mitbetroffene und ihre HelferInnen im Hinblick auf Täterprofile unter Kinder bzw. Jugendliche missbrauchenden Priestern schon seit langem anführen. Pädophil im klinischen Sinne ist nur ein kleinerer Teil dieser Missbrauchstäter. Bei den meisten verhält es sich wie in der Durchschnittsbevölkerung auch: die MissbraucherInnen sind in ihrer Sexualität unreif, manche beschädigt, viele weisen weitgehende seelische und charakterliche Defizite auf. Diese Personen finden keine erwachsenen Partnerinnen und Partner, um ihre Sexualität auszuleben, weil sie dazu zu gestört, zu unerfahren oder zu unattraktiv sind. Darum reagieren sie sich an Pubertierenden ab. Und tragen so dazu bei, dass eine weitere Generation psychisch und sexuell beschädigter Menschen heran wächst.
VG
Angelika Oetken
Der medikalisierende Blick auf „die Täter“ mit schwachen, nichtssagenden Diagnosen wie „psychisch labil“, „Persönlichkeitsstörung“ oder „unattraktiv“ und dazu noch verallgemeinert in einer Statistik bewirkt Entpersönlichung der Situation und Entwirklichung. Ob’s wohl die Bischöfe interessiert?
Aus Sicht eines Opfers hat das Schwein einen verdinglicht, als Mittel zum Zweck gebraucht, beschämt, entwürdigt, zum Nichts gemacht, oft verführt und in eine unerträgliche seelische, körperliche und soziale Situation versetzt und sich ohne Sprache tief in sein Leben eingeschrieben. Ob jetzt als „psychisch labil“ oder „Persönlichkeitsstörung“. Wenn man so wischiwaschi über die Täter spricht und die Opfer als „Generation beschädigter Menschen“ verallgemeinernd bezeichnet, sollte man sich der Frage stellen, ob man die Opfer erneut verdinglichend nicht sieht oder auch sie stigmatisiert. Vielleicht können die Opfer ja durch ihre Erfahrung und Perspektive etwas lehren und bewirken, wenn man ihnen aufmerksam und einfühlend zuhört, und einen wertvollen Beitrag für uns alle zur Entwicklung und Verbesserung der Kultur beitragen und dadurch auch zur eigenen und unser aller Heilung.
Die mittelalterliche Mystikerin Hildegard von Bingen hatte schon für Untäter, die nicht in Gott eine Person sehen können, zu der sie in Beziehung treten können, sondern nur ein Stück Holz, eine differenziert ausgearbeitete Vision über sehr ernste geistliche Reflexions-. Beicht- und Entwicklungsprozesse;(Hildegard von Bingen, Das Buch der Lebensverdienste).
Stichwort „Beziehung“: die Fähigkeit, normale zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen, ist beim sadistischen, dissoziierenden Tätertyp massiv gestört. Ich finde, auf dieser Website wird sehr gut beschrieben warum http://www.seele-und-gesundheit.de/diagnosen/sadomasochismus.html . Und vor dem Hintergrund des dort dargelegten empfinde ich die Frage, aus welchem Grund gerade dieser Tätertyp unter Priestern gehäuft zu finden ist, als sehr zentral.
Wenn das Gewissen im Menschen verborgen liegt, dann denke ich, ist die Seele wohl als Ich angelegt, mit dem es gilt das Gewissen zu erforschen. Ich als Mutter sehe mich in der Pflicht meine Kinder vor dem Missbrauch zu schützen, der mir bekannt ist. Dafür braucht es jedoch ein liebevolles Vertrauensverhältnis innerhalb der Familie, aus dem sich das gemeinsame Bemühen um den Schutz der Kinder ergibt. Kinder sind für mich reine Seelen unter der Obhut des Gewissens ihrer Eltern, bis sie ihr eigenes Gewissen erforschen können. Ich liebe meine Kinder und doch weiß ich nur das über sie, was sie mir auch Preis geben.
Es sollte für Kinder außer Frage stehen, dass sie die Grenze für körperliche Annäherung selbst vorgeben und damit nicht anderen Menschen unterworfen sind. Die Eltern tragen Sorge dafür, dass seelischer Missbrauch durch innigen Kontakt zu ihren Kindern keinen Anklang finden kann sondern durch tätige elterliche Zuwendung schnell erkannt wird, indem sich Kinder den Eltern gegenüber offenbaren.
Ich glaube Missbrauch ist einer Zeit geschuldet, die sich mehr auf individuelle Lebensbilder beschränkt als ein Weltbild zu erarbeiten aus dem die Familie als institutioneller Entwicklungsstand der Rechte hervorgehen kann, die es in Würde zu vertreten gilt.
Man sollte sich die Gründe ansehen, wegen derer die meisten der Opfer von Kindesmissbrauch von einer Strafanzeige absehen und auch viele BeraterInnen und HelferInnen ihnen im Zweifelsfall davon abraten. Und zwar nicht nur aus individuellen, psychosozialen Erwägungen heraus, sondern auch wegen ganz praktischer. Von opfergerechten Strafverfahren ist die Justiz auch in unserem Land noch weit entfernt. Das gilt besonders für solche, die wegen Sexualstraftaten geführt werden und in erster Linie für die, bei denen mutmaßlich oder nachweislich Kinder geschädigt wurden. Es hat sich zwar innerhalb der vergangenen Jahre schon Einiges zum Besseren gewandelt. Trotzdem gibt es noch sehr viel zu tun. Diese Fachgesellschaft widmet sich der Psychosozialen Prozessbegleitung. Hier ein Link auf Infomaterialien, die für Kinder gedacht sind http://www.bpp-bundesverband.de/?page_id=78
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick
Danke für Ihre Anmerkungen @Stephan.
Auch unter Priestern gibt es selbstverständlich verschiedene Tätertypen. Das Verhalten, was Sie aus der Perspektive des Betroffenen, des Opfers einer solchen Straftat beschreiben, deutet auf jemanden hin, der sadistisch missbraucht, mutmaßlich, indem er dabei dissoziiert, also wegtritt. Etwas, das auf Erwachsene, die das als Adressaten sexueller Handlungen miterleben müssen, schon verstörend genug wirkt. Aus der Sicht von Kindern oder Jugendlichen entfaltet es buchstäblich etwas Teufliches, wenn sie mit der Sexualität eines dissoziierenden Erwachsenen konfrontiert werden. Um im Bild zu bleiben: es ist ein Gruß aus der Hölle. Dieser Typ von Tätern ist der gefährlichste und unberechenbarste. Und er scheint unter Priestern verbreiteter zu sein, als in der gewöhnlichen, allgemeinen Täterkohorte. Fachleute gehen davon aus, dass der sadistische Typus ein Prozent aller Missbrauchstäter ausmacht. Es gibt aber Hinweise darauf, dass es unter Priestern, die missbrauchen, zehn mal so viele (dissoziierende) Sadisten gibt.
Da es sich bei Dissoziationen um situative, vorübergehende Erscheinungen handelt, sind nur ausgewiesene Fachleute in der Lage, Personen zu identifizieren, die im Zusammenhang mit Sexualität „wegtreten“. Erst recht, wenn die dabei aggressiv reagieren, ansonsten aber normal erscheinen, oft sogar überangepasst.
Und an der Stelle bin ich absolut auf Ihrer Seite: würde man den Opfern aufmerksamer zuhören, dann könnte man aus deren Schilderungen leicht auf diesen Tätertyp schließen. Ich vermute, dass die Verantwortlichen längst wissen, um was es geht. Und alles daran setzen, dass die wahren Hintergründe nicht ans Licht kommen. Darum verschließen sie selektiv und vorsätzlich ihre Ohren und Augen. Das würde ich vermutlich an deren Stelle auch tun. Denn ich müsste die Konsequenzen mittragen, wenn es raus kommt.
VG
Angelika Oetken
Nachtrag: hier eine der seltenen Selbstbeschreibungen eines Täters http://www.focus.de/politik/experten/habe-schreckliche-sachen-mit-ihm-gemacht-pater-spricht-ueber-sexuellen-missbrauch-an-achtjaehrigem_id_7489180.html In Kombination mit dem, was Daniel Pittet, eines der Opfer dieses Mannes schildert, ergeben sich aus meiner Sicht zahlreiche Indizien auf das, was ich oben angeführt hatte und weitere Zusammenhänge, die Anlass zu äußerster Besorgnis geben müssen https://www.kath.ch/newsd/daniel-pittet-der-vergewaltiger-ist-nach-wie-vor-priester/ Und damit meine ich nicht eine etwaige kirchenpolitische Instrumentalisierung des Falles bzw. der Person des Daniel Pittet. Sondern systemisch angelegten und systematisch betriebenen Kindesmissbrauch.
Ich finde, Sie sind recht schnell dabei, Verbindungen herzustellen oder Schlüsse zu ziehen, wodurch es gelegentlich etwas wirr wird und ausufernd.
Wäre es nicht die klarste Sache und einfachste Lösung, die sich aus den Erfahrungen der Opfer ergibt, daß jeder Priester sich an die 10 Gebote hielte? Das kann man doch von einem Priester erwarten, oder? Und falls er dabei innerlich unter Druck käme, könnte er ja beizeiten mit jemand, der etwas davon versteht und ihm helfen möchte, sprechen.
So hilfreich es wäre, wenn alle Menschen sich an die Grundregeln des Miteinanders hielten, so unrealistisch ist es. Wer die Hintergründe der Missbrauchskriminalität der Vergangenheit aufklären will, um Opfern Genüge zu tun und aus den gewonnenen Erkenntnissen Schlüsse für wirksamen Kinderschutz zu ziehen, muss sich leider mit sehr komplexen und mitunter verwirrenden Fragen auseinander setzen.
Bei der katholischen Priesterschaft gehört dazu, weshalb die Täter in den eigenen Reihen trotz zahlreicher Hinweise nicht gestoppt wurden, sondern meistens sogar von Tatort zu Tatort weiter gereicht wurden. Selbst dann, wenn es sich um offensichtlich schwer gestörte und absolut unberechenbare Männer handelte.
Und was das angeht, würde ich nicht mit den Verantwortlichen tauschen wollen.