Wer auch immer in den dritten Stock des Apostolischen Palastes, ganz oben rechts, einziehen wird, er findet einen vollen Schreibtisch. Die Liste der zu erledigenden Dinge ist lang. Würden wir uns diese auf den kommenden Papst zukommenden Aufgaben jeweils als einen Aktenordner vorstellen, wäre das ein Bild zum Verzweifeln. Da ist das Jahr des Glaubens: Benedikt XVI. hat die Frage nach dem Glauben in der modernen Welt fest auf die kirchliche Tagesordnung gesetzt; die Tatsache, dass das Jahr in deutschsprachigen Landen eher untergeht, zeigt, wie wichtig diese Frage ist. Die Enzyklika zum Thema ist nicht mehr fertig geworden, nun ist es am neuen Papst, diesem Jahr und diesem Thema eine Richtung zu geben.
Auf einer ganzen Reihe von Ordnern würde das Etikett „Wiedervorlage“ kleben: Themen, die uns schon lange begleiten und die auch nicht durch eine einzige Entscheidung, sondern nur durch Entwicklung zu lösen sind: Ökumenefragen zum Beispiel, mit den Ostkirchen genauso wie mit den Kirchen der protestantischen Tradition. Angespitzt wird diese Frage durch eine wachsende Zahl von Kirchen, die nicht wirklich an Ökumene interessiert sind, Pfingstkirchen vor allem. Dialogfragen mit anderen Religionen im Zeitalter zunehmender Fundamentalismen ist ein weiterer Ordner dieser Art. Ethische Fragen, die sich aus der Entwicklung der Technik ergeben stehen da neben Fragen nach Gerechtigkeit und Frieden.
Wiedervorlage und Problemordner
Dann gibt es die „Problem“-Ordner: Bis zuletzt gab es Meldungen über die Versöhnung und nicht-Versöhnung mit der Piusbruderschaft. Es gilt weiter, die Aufklärung und die Bildung von Problembewusstsein in Sachen Missbrauch voranzutreiben. Vatileaks und andere Geschichten um den Vatikan haben es in der vergangenen Zeit gezeigt: Auch in Sachen Verwaltung kommt auf den nächsten Papst und seine Mannschaft Arbeit zu.
Und dann gibt es die ganz dicken Ordner: Christenverfolgung und das Verschwinden von fast 2.000 Jahre alten Gemeinschaften aus dem Nahen Osten in den Wirren eines Krieges, für dessen Lösung dem starken Westen der Wille fehlt. Die Ausbeutung der Natur und des Menschen, die Würde des Menschen und der Schutz des Lebens.
Alltagsordner
Gleich daneben stehen dann die Ordner mit dem, was der Papst so alles tagtäglich zu tun hat: Die Reisen zum Beispiel, sein eigenes Erzbistum Rom, die Generalaudienzen wollen jeden Mittwoch einen geistlichen Gedanken haben, jeden Mittwoch. Hochfeste, Synoden, Politikerbesuche, Einweihungen, Besuche und so weiter.
Da wir annehmen können, dass die Kardinäle einen profilierten Mann wählen, wird der dann auch noch seine eigenen Aktenordner mitbringen. Schon dieser erste und nicht wirklich vollständige Blick auf den Schreibtisch des Papstes kann einen erschaudern lassen.
Der neue Papst wird also als erstes priorisieren müssen. Das Amt heißt ja nicht Nachfolger Benedikt XVI., sondern Nachfolger Petri: Man führt nicht den Vorgänger weiter, sondern „erfindet“ das Amt sozusagen neu. Natürlich haben die beiden Vorgänger, eigentlich sogar bis zu Paul VI., das Amt bis heute geprägt und prägen es weiter. Trotzdem wird der Neue sein eigenes Pontifikat entwickeln müssen. Benedikt XVI. hat ihm dazu zwei Geschenke gemacht: Angstfreiheit, was die Möglichkeiten angeht, auch wenn man nicht weiß, was daraus wird. Und das „Nimm dich nicht so wichtig“, das Benedikt XVI. in päpstliche Freiheit verwandelt hat.
Der inzwischen verstorbene, äußerst beliebte Kardinal König, Erzbischof von Wien von 1956-1985, hat mehrmals betont, dass die Aufgaben des Papstes in der derzeitigen Verfasstheit des Papsttums übermenschliche Kräfte erfordern würden. Die Frage ist, ob hier nicht eine stärkere Dezentralisierung nötig ist. Eine gute Zusammenfassung der entsprechenden Argumente liefert die österreichische Wochenzeitung “Die Furche” in diesem Leitartikel: http://www.furche.at/system/showthread.php?t=53606.