Der Bochumer Neutestamentler Thomas Söding begrüsst es, dass Papst Benedikt ein „Jahr des Glaubens“ angekündigt hat. Im Gespräch mit Radio Vatikan hat er meinem Kollegen Stefan Kempis erzählt, wo er einen Schwerpunkt setzen würde. Und da in einigen Wochen dieses Jahr des Glaubens beginnen wird, finde ich, dass es sich lohnt, sich diesen Schwerpunkt noch einmal vorzunehmen.
„Das Entscheidende scheint mir zunächst mal, dass es überhaupt ein Jahr des Glaubens gibt, denn das sehe ich in einer bestimmten Linie: Nachdem das Wort Gottes in den Vordergrund gestellt worden war, geht es jetzt in einer gewissen Konsequenz um den Glauben.
In der Tat: Wenn es um den Glauben geht, dann geht es in erster Linie um Jesus und sein Verhältnis zu Gott. Um dieses Gottesverhältnis Jesu – wie hängt der Sohn mit dem Vater zusammen – hat sich Joseph Ratzinger, hat sich Benedikt XVI. wahrscheinlich soviele Gedanken gemacht wie kaum ein anderer; da hat er sicherlich seine starken Signale.“
Mehr Bibel bitte
Wir erleben im Moment einen Boom von Jesusbüchern – ihre Qualität ist aber sehr unterschiedlich…
„Um Jesus wird immer gestritten, das war nie anders – Gott sei dank! Das zeigt einfach, wie bedeutend diese Gestalt gewesen ist, und sei es auch im Widerspruch. Das Entscheidende ist, dass der Papst in seinen beiden Jesusbüchern im Grunde eine Idee gehabt hat: die Idee, die eigentlich ganz einfach, aber doch neu zu entdecken ist, dass man Jesus nur von Gott her verstehen kann. Oder zugespitzt formuliert: Jesus kann man nur aus seiner Einheit mit dem Vater heraus verstehen. Das ist eine ganz klare, in gewisser Weise auch einfache, damit auch wieder strittige These, die aber einen Schlüssel zu sehr, sehr vielem liefert: im ersten Band zur Qualität, zur Intensität seiner Verkündigung, und im zweiten Band dieses Zerrissensein des Leidenden, das aber von Gott her zu einer Einheit versöhnt wird.“
Innerhalb des Neuen Testaments finden sich viele Spannungen: Bei Johannes etwa gibt sich Jesus sehr direkt als Sohn Gottes zu erkennen, bei Markus hingegen unterliegt das einem Schweigegebot.
„Es gibt Spannungen innerhalb des Neuen Testaments, und die sind mir auch wichtig. Die zu harmonisieren hilft gar nichts, sondern das war die ganz große Entscheidung der alten Kirche, zu erkennen: Es gibt nicht nur das eine Evangelium, das ein für alle Mal alle Fragen beantwortet, sondern immer nur bestimmte unterschiedliche, menschliche Eindrücke, Erfahrungen, Zeugnisse, Traditionen.
Vier von denen – die wichtigsten, die besten – hat man ausgewählt, so dass man als intelligente Leserin bzw. Leser von heute auch durch diese Evangelien hindurchgehen kann.
In der Tat ist es so: Das Johannes-Evangelium ist so etwas wie das Evangelium für die Fortgeschrittenen – allerdings ist es auch ein Evangelium, das versucht, die Dinge ganz einfach zu machen, nämlich auf den Kern zu konzentrieren. Auf das Gebet Jesu, auf seine Liebe zu Gott dem Vater, und auf seine Liebe zu den Menschen.
Wenn man auf die synoptischen Evangelien – Markus, Matthäus und Lukas – zurückschaut, dann sieht man doch auf jeden Fall eines, denke ich: Für Jesus ist nichts wichtiger als die Herrschaft Gottes. Die Herrschaft Gottes ist aber für Jesus nicht nur ein Thema, sondern sie ist Gott selbst, der im Kommen ist! Das große Thema der synoptischen Evangelien ist eigentlich: Wie nahe kommt Gott dem Menschen? Und die Antwort, die die Evangelien geben – auch die nach Markus, Matthäus und Lukas – lautet: unendlich nahe! Also meine ich, dass das Johannes- Evangelium hier eher etwas expliziert, akzentuiert und zum Ausdruck bringt, was aber im Kern des neutestamentlichen Evangeliums selber angelegt ist, nämlich, dass ich Botschaft und Bote nicht voneinander trennen kann, oder dass ich Jesus nur von Gott her verstehen kann.“
Katechismus Plus
Der Vatikan betont immer wieder die Wichtigkeit und Bedeutung des Katechismus, drängt das die Bibel etwas in den Hintergrund?
„Ich meine, dass heute auf der gesamten Klaviatur der Katechese, der Evangelisierung gespielt werden muss. Und da sehe ich eben auf der einen Seite, dass die Initiativen, die jetzt starkgemacht werden, sehr viel auf den Katechismus setzen, weil da eben kompakt und in unterschiedlichen Aggregatsformen für unterschiedliche Altersklassen das, was man glaubt, zusammengefasst wird.
Aber das, was man glaubt, hängt ja immer auch mit der Art und Weise zusammen, wie man eigentlich glaubt (was ja übrigens auch im Katechismus selbst so drinsteht). Und deswegen plädiere ich als Neutestamentler dafür, dass man indestens ebenso stark betonen müsste: Kenntnis der Heiligen Schrift! „Die Schrift nicht kennen, heißt Christus nicht kennen.“
Mit Kenntnis der Heiligen Schrift meine ich jetzt nicht abprüfbares Wissen darüber, wann welche Schriften entstanden sind, aber ich selber lese eben die Bibel als eine ganz große Geschichte des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen, als eine Sammlung von vielen auch widersprüchlichen einzelnen Glaubensgeschichten. Und ich bin der festen Überzeugung, dass man die großen Begriffe, die klaren Definitionen des christlichen Glaubens unbedingt benötigt, um sich verständlich zu machen – aber die sind leer, wenn man nicht die Erfahrungen, wenn man nicht die Geschichte, wenn man nicht die Menschen sieht, die überhaupt zu diesen Bekenntnissen gekommen sind! Und da ist die Bibel das Pfund, mit dem man wuchern muss.“
Was heißt das konkret mit Blick auf das Jahr des Glaubens?
„Ich kenne viele, die gesagt haben: Ich habe einmal versucht, die Bibel von Anfang bis Ende durchzulesen – und die meisten sind dann so ehrlich und sagen, ich bin an einem bestimmten Punkt gestrandet. Das kann man vielleicht auch verstehen, denn es wird einfach über längere Zeiten hinweg zwar für jeden, der sich mit Geschichte beschäftigt, immer interessant bleiben, aber für diejenigen, die nach der Bedeutung der Bibel heute fragen, etwas mühsam werden.
Deswegen bin ich entschieden der Auffassung, dass wir so etwas brauchen wie eine Art Bibel für Einsteiger – für Leute, die verständlicherweise vor 1.500 Seiten Heiliger Schrift etwas zurückschrecken und die jetzt nicht nur so etwas oberschullehrerhaft an die Hand genommen werden, und dann werden ihnen alle Schwierigkeiten wegerklärt. Ich meine vielmehr, dass man erkennen kann – da hat die Bibelforschung in der letzten Zeit auch relativ viel gemacht – Die Bibel ist ein Buch aus vielen Büchern, sie erzählt eine große Geschichte in vielen kleinen Geschichten. Und das aufzuschlüsseln – den Anfang, das Ende, diese Turbulenzen sozusagen, die Mitte, die durch Jesus Christus selbst gebildet wird: So stelle ich mir vor, was eine Bibel für Einsteiger sein könnte! Wenn man sich schon so viele Gedanken um Youcat macht (was ich sehr, sehr gut finde): Dem müsste meines Erachtens eigentlich eine Jugendbibel an die Seite gestellt werden.“
Mit vielen Sprachen sprechen
Wer sollte die zusammenstellen? Die Bistümer? Jugendliche? Die vatikanische Glaubenskongregation?
„Am besten doch zusammen! Also, jeder in seiner Art, jeder mit seiner Aufgabe. Die Glaubenskongregation in Rom hat eine spezifische Aufgabe, die ihr so schnell auch keiner abnehmen kann; es gibt diesen neuen Rat für die Neuevangelisierung, die werden wahrscheinlich doch ziemlich aktiv sein…. Ich bin jetzt in Rom – darf ich sagen, dass man aber nicht nur von Rom aus den Masterplan aufstellen kann, und dann müssen alle dem sozusagen nur folgen? Das wird nicht klappen, wir brauchen sozusagen vieles gleichzeitig aber wir brauchen eben auch gute Vorlagen, gute Initiativen.
Und da bin ich der Meinung: Dieses Jahr des Glaubens, das ist etwas! Es kam ein bißchen überraschend für alle, die die Sache nicht von Rom her kennen, deswegen gibt es wohl auch ein gewisses verhaltenes Echo – aber es ist jedenfalls eine große Idee! Aber jetzt muss man noch mehr daraus machen als das, was bislang für mich zu erkennen ist.“
Sollte der Papst im Jahr des Glaubens das Credo neu für unsere Zeit formulieren, so wie es Papst Paul VI. einmal zum Ende des Konzils getan hat?
„Ich persönlich bin der Auffassung, dass das Credo das Letzte ist, was modernisiert werden muss. Das Credo hat eine bestimmte Form, nämlich idealiter den Glauben aller zum Ausdruck zu bringen. Das kann jetzt nicht nur die Schnittmenge der heutigen Generation sein, sondern muss eben durch die Generationen hindurchgehen.
Aber ich bin ebenso entschieden der Meinung, dass es keine Fixierung auf diesen einen Text geben sollte! Genauso wie ich bei der Bibel nicht der Meinung bin, dass man auf den Text fixiert sein müsste. Wir müssen mit vielen Sprachen sprechen, wir müssen auch viele Sprecherinnen und Sprecher gewinnen können. Und deswegen habe ich gar nichts dagegen, wenn jemand einlädt und sagt: Jetzt sag doch mal das, was du glaubst, in deinen Worten.
Aber ich finde es auch sehr, sehr wichtig, dass das jetzt nicht irgendwie kontrolliert wird, ob das alles richtig ist oder falsch. In Wirklichkeit geht es ja darum, durch den Kontakt – sagen wir mal – mit dem Credo selbst eine Verbindung herzustellen, so dass mein eigener, persönlicher Glaube, der mir wichtig bleiben kann, nicht einfach auf sich selbst fixiert bleibt, sondern sich öffnen und den Anschluss gewinnen kann an die große Tradition. Umgekehrt jetzt nur das Glaubensbekenntnis zu sprechen und nicht sozusagen den Geist des Glaubens einzuatmen, der diesen Worten Sinn verleiht – ja, das ist ja auch nichts, worauf wir irgendetwas bauen können!“
Da der Glaube, so Paulus an die (bezeichnender Weise) Gemeinde zu Rom, allein in, mit und durch die gelebte Liebe wirksam wird, so wünsche ich uns allen, dass wir den Mut haben, diesen Weg der Liebe (endlich?) anfangen zu gehen. Dabei kommt mir persönlich auch das Wort des Johannes d.T. in den Sinn, der eben sagt: “Ich muss kleiner werden, ER aber muss wachsen.”
Wenn es “mir” also gelingt, “mich” selbst zurück zu nehmen und mehr ein Hörender zu werden, der gleichsam MARIA alles im Herzen bewahrt und überdenkt, anstelle zu bestimmen und die Stelle des Lehrer einzunehmen, dann, so denke ich, kann und wird der Same des Wortes Gestalt in einem jeden von uns annehmen, so dass die Frucht des Glaubens: des Hörens, auch “geerntet” werden kann sobald die Stunde hierfür gekommen ist.
Will mein “ich” aber kleiner werden und insoweit auch sterben, damit in einem solchen Tod wirklich das (neue) Leben ist?….
Sorry, den Weg der Liebe beschreibt Paulus natürlich im 1.Kor.13,1ff!