Benedikt XVI. blickt zurück auf das Konzil: Die Wichtigkeit von Religionsfreiheit und Dialog der Religionen in der Begegnung mit der modernen Welt. Auszüge aus einem Vorwort zu einem Band, das an diesem Donnerstag neu erscheint, und zwar im Sonderheft des Osservatore Romano zum Konzilsjubiläum:
Dies war ein Augenblick einer außerordentlichen Erwartung. Großes mußte geschehen. Frühere Konzilien waren fast immer einer konkreten Frage wegen zusammengerufen worden, die sie beantworten sollten. Diesmal war kein bestimmtes Problem zu lösen. Aber um so mehr lag eine allgemeine Erwartung in der Luft: Das Christentum, das die westliche Welt gebaut und geformt hatte, schien immer mehr seine prägende Kraft zu verlieren. Es schien müde geworden, und die Zukunft schien von anderen geistigen Mächten bestimmt zu werden. Das Empfinden für diesen Gegenwartsverlust des Christentums und für die Aufgabe, die daraus folgte, war sehr genau zusammengefaßt in dem Wort „aggiornamento“. Das Christentum muß im Heute stehen, um Zukunft formen zu können. Damit es wieder gestaltende Kraft für das Morgen werden könne, hatte Johannes XXIII. das Konzil einberufen, ohne ihm konkrete Probleme oder Programme vorzugeben. Dies war zugleich die Größe und die Schwierigkeit der Aufgabe, vor der die Kirchenversammlung stand.
Religionsfreiheit
Die Begegnung mit den großen Themen der Neuzeit fand unerwartet nicht in der großen Pastoralkonstitution statt, sondern in zwei kleineren Dokumenten, deren Wichtigkeit erst nach und nach in der Rezeption des Konzils zum Vorschein gekommen ist. Da ist zunächst die Erklärung über die Religionsfreiheit, die vor allem vom amerikanischen Episkopat mit großer Dringlichkeit gefordert und auch vorbereitet wurde. Die Lehre von der Toleranz, wie sie Pius XII. ausführlich entwickelt hatte, erschien angesichts der Entwicklung des philosophischen Denkens und des Selbstverständnisses des modernen Staates nicht mehr zureichend. Es ging um die Freiheit der Wahl und der Ausübung der Religion wie auch um die Freiheit, sie zu wechseln, als grundlegende Freiheitsrechte des Menschen. Von seinem inneren Grund her konnte eine solche Auffassung dem christlichen Glauben nicht fremd sein, der in die Welt getreten war mit dem Anspruch, daß der Staat über die Wahrheit nicht entscheiden und keine Art von Kult beanspruchen könne. Der christliche Glaube erforderte die Freiheit der religiösen Überzeugung und ihrer Ausübung im Kult, ohne damit das Recht des Staates in seiner eigenen Ordnung zu verletzen: Die Christen beteten für den Kaiser, aber sie beteten ihn nicht an. Insofern kann man sagen, daß das Christentum bei seinem Entstehen das Prinzip der Freiheit der Religion in die Welt getragen hat. Aber die Deutung dieses Freiheitsrechtes im Kontext des modernen Denkens war dennoch schwierig, weil es scheinen konnte, als ob die neuzeitliche Fassung der Religionsfreiheit die Unzugänglichkeit der Wahrheit für den Menschen voraussetze und damit von ihrem Grund her Religion in den Bereich des Subjektiven verlagere. Es war gewiß providentiell, daß 13 Jahre nach Konzilsende Papst Johannes Paul II. aus einem Land kam, in dem die Religionsfreiheit vom Marxismus, das heißt von einer bestimmten Form neuzeitlicher Staatsphilosophie her bestritten wurde. Der Papst kam gleichsam aus einer Situation, die derjenigen der frühen Kirche ähnelte, so daß wieder neu die innere Zuordnung des Glaubens auf das Thema der Freiheit, gerade auch der Freiheit von Glaube und Kult sichtbar wurde.
Dialog der Religionen
Das zweite Dokument, das sich als wichtig für die Begegnung der Kirche mit der Neuzeit erweisen sollte, ist fast zufällig entstanden und in mehreren Schichten gewachsen. Ich meine die Erklärung „Nostra ætate“ über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Am Anfang stand die Absicht einer Erklärung über das Verhältnis zwischen der Kirche und dem Judentum, ein Text, der nach den Schrecknissen der Shoah von innen her notwendig geworden war. Die Konzilsväter aus den arabischen Ländern setzten sich einem solchen Text nicht entgegen, erklärten aber, wenn man schon über das Judentum spreche, müsse man auch ein Wort zum Islam sagen. Wie recht sie damit hatten, ist uns im Westen erst allmählich aufgegangen. Schließlich wuchs die Einsicht, daß es richtig sei, auch über zwei andere große Religionen – Hinduismus und Buddhismus – sowie über das Thema Religion insgesamt zu sprechen. Dazu kam dann von selbst eine kurze Weisung über den Dialog und die Zusammenarbeit mit den Religionen, deren spirituelle, moralische und sozial-kulturelle Werte zu achten, zu hüten und zu fördern seien. Damit war in einem präzisen und außerordentlich dichten Dokument ein Thema eröffnet, dessen Wichtigkeit damals noch nicht abzusehen war. Welchen Auftrag es einschließt, wieviel Mühe der Unterscheidung des Klärens und des Verstehens noch zu leisten ist, wird immer mehr sichtbar. In diesem Prozeß aktiver Rezeption ist auch eine Schwäche dieses an sich großartigen Textes allmählich deutlich geworden: Er spricht von Religion nur positiv und läßt dabei die kranken und gestörten Formen von Religion beiseite, die geschichtlich und theologisch von großer Tragweite sind: Der christliche Glaube war deshalb von Anfang an nach innen wie nach außen auch religionskritisch.