
In Turin war es wieder soweit: ein regelmäßiges und ununterbrochenes Kopfschütteln stellte sich bei mir ein, immer wenn der Papst sich durch die Mengen bewegte. Man sieht dann nämlich viele, viele Päpste. Den echten und die Reproduktionen, wenn die Kamera die ganzen Mobiltelefone einfängt, die den Papst fotografieren wollen.
Und immer wieder auch diese absurde Geste des sich Umdrehens, wenn der Papst vorbei fährt, um ein Selfie mit ihm zu machen. Dass man dabei selbst den Papst nicht sieht, fällt nicht ins Gewicht, Hauptsache bei Facebook sehen alle mich und den Papst als Hintergrund. Genauso wie ich und das Kolosseum, ich und der Petersdom, ich und und und. So viele ichs und der Rest der Welt wird Hintergrund. Beim Besuch bei den Salesianern war das besonders krass: Das stand ein Priester einen Meter weg vom Papst, war aber nur weggedreht und hatte seinen Handy-Stick in der Hand in der Hoffnung, sein ich mit Papsthintergrund einfangen zu können. Da tritt dann auch das Religiöse in den Hinter-Hintergrund.
Eine Kollegin erzählte mir neulich, was ihr das dauernde Fotografieren ausgetrieben habe. Sie sei der Queen begegnet und als die vorüber ging, wollte sie ein Foto machen. Das habe aber nicht funktioniert so dass sie am Ende weder die Queen gesehen noch ein Bild gemacht habe. Seitdem schaue sie nur noch hin, nicht mehr in den Bildschirm.
Genau das passiert. Es gibt keine Gegenwart mehr, kein Staunen oder Freuen über einen Augenblick, sondern nur den Versuch, sich selber in Szene zu setzen. Nervosität, das auch wirklich ins Bild zu bekommen. Und dann ein verwischtes Foto niedriger Auflösung und die Erleichterung, dass da irgendwas zu sehen ist.
Es sind Bildschirm-Wesen, zu denen Pilger und Besucher da werden. Gesteuert vom Zwang, die Speicherkarte mit Abbildern des eigenen Ego zu füllen. Nicht sehen, sondern gesehen werden. Das ist auch eine Form von Blindheit. Tragisch.
Fast genau das Selbe habe ich mir letztes Jahr an Palmsonntag auf dem Petersplatz auch gedacht. Wo bleibt das erleben des Augenblicks. Wo bleibt das Leben in der Gegenwart? Wieviele millionen schlechter Schnappschüsse dieser Art gibt es mittlerweile? Braucht jeder so einen schlechten Schnappschuss? Vielleicht könnte der Papst mal was dazu sagen wie: “Erlebt den Moment, schaut mich an, ich schaue euch an”
Ich habe allerdings die Hoffnung, dass die Selfiemanie nicht für immer anhalten wird.
Ist es nicht das Ergebnis einer sich aus der Verantwortung ziehenden Gesellschaft, sich selbst möglichst lange öffentlich darzustellen, in Anbetracht der Gesamtsituation, in der der Mensch nur noch ein Abklatsch dessen ist, was andere Menschen von ihm übrig lassen? Alles scheint sich auf den Einzelnen zu beziehen und doch bleibt er anonym und nur ein wirtschaftlicher Faktor für seine eigene Spezies. „Wir“ bildet sich nur noch aus der Willkür des Einzelnen und nimmt nur die mit, die dessen Sichtweise standhalten können. „Ich“ hingegen ist auf der einen Seite der Zweiklassengesellschaft Gott in Person, denn so stellen sich manche Menschen in der Öffentlichkeit dar, als wären sie das Maß aller Dinge. Dem gegenüber steht ein kleines Licht der Hoffnung, das schön langsam sein Leuchten verliert, der Mensch als Mitmensch und nicht als Sklave einer sich profilierenden Gesellschaft. Der Journalismus macht öffentlich, was früher als Privatsphäre geachtet wurde und die, die nicht über die Medien aufgegriffen werden, die treten via Twitter, Facebook und andere „Selfimedien“ selbst in Erscheinung, um auch Teil des Ganzen zu sein. Dann gibt es noch die, deren Profit in genau dieser Lebensart liegt, und die sich eine goldene Nase daran verdienen, dass der Mensch außer Kontrolle gerät. Nicht für Gott, denn der hat seine Lebenseinstellung durch Jesus Christus sichtbar gemacht und führt unweigerlich fort, was im Angesicht des Todes seine natürlichen Errungenschaften erkennen wird. Es ist der Regent, der sich die Regierung aus der Hand nehmen lässt, durch die Bevormundung der Masse im Einklang mit dem technologischen Fortschritt. Die Masse der Menschen sucht nicht mehr, sie versteckt sich hinter ihrer Fassade des Nutzbaren, um das Mögliche nie zu erreichen, denn dessen Putz bröckelt schön langsam, weil für alle erkennbar wird, wie Masse sich verdichtet und zu Nichts zerfällt, wenn ihr der Nährboden Geld genommen wird. Selbstachtung und Ehrgefühl scheinen im technologischen Zeitalter für diese Masse verloren gegangen zu sein. Das „Ich“ als Klecks auf einer Karte voller „Ichs“, deren „Wir“ nur noch im Netz zu finden ist, weil es dort sein Unwesen treibt, um zu zerstören was sowieso nicht existent ist.
Man sollte das ganze nicht “religiös erhöhen”. Es ist eine fast krankhafte “Ichbezogenheit”. Es gibt noch andere Phänomene, die für mich in einem direkten Zusammenhang stehen. Ich fahre jeden morgen mit dem Bus zur nöchst grösseren Stadt. Was sieht man? Mindestens 80% der jungen Leute haben Earphones im Ohr (weiss!!) “Selbstisolierung am morgen” nenne ich das. es wird nicht komuniziert, sondern Musik gehört, oder gelangweilt gescrollt.
Die Selfies finde ich ja auch nicht sonderlich erfreulich, aber Facebook an sich wäre eine herrliche Erfindung, wenn die Benutzer das Ganze kreativer nutzen würden, sogar weniger Scheu vor langen Texten bzw. echten Emotionen hätten. Facebook nennt es ja auch “Chronik” in die gepostet werden kann. Eine Art öffentliches Tagebuch in das man Bilder, Texte, Musik einfügen kann. Man könnte sein ganzes Denken der Öffentlichkeit preisgeben, um mit Ihr in Kontakt zu treten und sich mental weiter zu entwickeln. Hätte man so ein Facebookprofil von Albert Einstein oder Martin Luther oder auch Mozart heute, wäre das ein wunderbarer Gewinn für das jeweilige Forschungsgebiet. Auf Facebook kann man zudem ohne Kosten im Kleinen Publizieren und eben andere Meinungen einholen. Im Grunde ist es eine wahnsinnig schöne Erfindung für kreative Köpfe, die auch kommunizieren wollen. Aber da ja nach Beuys bekanntlich “jeder Mensch ein Künstler ist”, glaubt auch jeder dieser “Künstler” sich irgendwie artikulieren zu müssen. Was bleibt sind schlicht und einfach die “Selbstporträts” der Neuzeit: die Selfies. Ein Ausdruck nach der Suche nach sich selbst. Das hat die Künstler früherer Zeiten auch immer stark bewegt, der sogenannte “Blick in den Spiegel”. Nur, manche Leute kommen einfach nicht weiter mit dieser lebensnotwendigen Frage: Wer bin ich eigentlich? Dann bleibt es halt beim Selfie vor irgendeiner Sehenswürdigkeit oder einer Persönlichkeit. Im Grunde sind wir aber doch alle – ob wir es wollen oder nicht – Egoisten. Es kommt aber auf uns an, unser Ichsein zu akzeptieren, zu analysieren und zu dem zu finden und zu werden, wer wir wirklich sind. Vielleicht kann man nach so einer Erkenntnis sogar so weit gelangen, das eigene Ich wiederum zu negieren. Denn nachdem man weiß, wer man wirklich ist, ist diese Frage uninteressant geworden und man kann sich anderen Fragen ernsthaft zuwenden.
Diese Handy- Foto-Manie ist uns am Grabtuch auch aufgefallen:
Obwohl es verboten war, Bilder zu machen, gab es einige Unentwegte, die trotzdem ein Foto vom Grabtuch machten. Mein protestantischer Ehegatte meinte aufgebracht, dass manche Leute nicht einmal eine 2-minütige Auszeit von der Knipserei nehmen können, um Andacht zu halten. Arme Welt! Ich denke, dass die Mehrheit der westlichen Menschen nur noch über das Handy kommunizieren können und teilweise Probleme haben, direkt mit Menschen, von Angesicht zu Angesicht, zu kommunizieren. Per Handy kann man sein Gegenüber schneller, angenehmer “wegwischen” als in der Realität. Das ist nicht so “belastend”. Der Cyborg wird kommen… (http://www.zeit.de/digital/internet/2012-08/cyborg-neil-harbisson-biohacking-campus-party/seite-2)
Manchmal sagen Bilder mehr als Worte:
http://www.spiegel.de/panorama/papst-momente-bilder-zeigen-vergleich-zwischen-2005-und-2013-a-889031.html
Krass – dieser Link!!!!!
Wohl dem, lieber Pater Hagenkord, “der nicht… sitzt, da die Spötter sitzen…
Der ist wie ein Baum, gepflanzet an den Wasserbächen, der seine Frucht bringet zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl.”
Mit Priestern und Pastoren und vielen, die sich Christen nennen aber ging es mir schon oft so, wie jetzt mit Ihnen hier, Pater Hagenkord, daß ich erschrak, wie sie über andere herziehen, denen sie sich anscheinend überlegen fühlten. Was ist es denn für ein Stil, sich über die Anhänger eines anderen Geistlichen (hier des Papstes) so herablassend und entwertend auszulassen?
Schütteln Sie nur weiter Ihren Kopf, manche schütteln den Kopf, wie man sagt, so lange, bis Sie das Haar in der Suppe finden.
Ich halte dann doch besser etwas mehr Abstand zur Kirche.
Alles Gute und freundliche Grüße,
Stephan
Selfies sind eher eine Folge generellen Misstrauens, eine Folge des Trommelns und des (unseriösen) Selbstmarketings. Ein – erfundener – Dialog:
A.: Ich habe den Papst gesehen
B.: Schön. Ich glaube es Dir aber nur, wenn Du mir ein Bild zeigst, auf dem DU und der Papst zu sehen sind.
Der Dialog ist noch nicht zu Ende. A zeigt B ein Bild.
B.: Auf dem Bild ist ja nichts zu erkennen! Du Lügner!
Die Lüge und auch das pauschale Unterstellen der Lüge ist heute leider quasi systemrelevant. Um die Lüge nachzuweisen oder den pauschalen Vorwurf der Lüge zu entkräftigen, bedarf es des BEWEISES. Wird der “Beweis” nicht oder aus Sicht von B. nicht ausreichend erbracht, gilt A als der Lüge überführt, obwohl er gar nicht gelogen hat.