Wer sich mit Kirche befasst, kann das halbe Zitat aus dem Titel automatisch füllen. Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht mehr sein. so wird der Theologe Karl Rahner SJ zitiert. Die Art, Christsein und Kirche-Sein zu leben, bekommt durch dieses Zitat einen Vektor, eine Richtung. Und sie bekommt eine Kategorie, an der beide messbar sein werden, so scheint uns das Zitat zu sagen.
Nun ist das Wort „Mystiker“ ja besetzt. Wir vermuten zu wissen, was gemeint ist und vermuten auch, dass wir alle ungefähr dieselbe Vorstellung haben. Und deswegen gehen wir mit diesem Zitat etwas fahrlässig um.
Christsein und Kirche-Sein
Mystik, das hat den Klang des Individuellen, der direkten Verbindung mit Gott, ohne Lehr-Sätze. Eine auf persönliche Gotteserfahrung und nur auf diese bauender Glaube scheint anzuklingen.
Spätestens ein Zitat von Papst Franziskus kann daran etwas rütteln: „Heute (..) spüren wir die Herausforderung, die „Mystik“ zu entdecken und weiterzugeben, die darin liegt, zusammen zu leben, uns unter die anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten, uns anzulehnen, teilzuhaben an dieser etwas chaotischen Menge, die sich in eine wahre Erfahrung von Geschwisterlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, in eine heilige Wallfahrt.“ (EG 87)
Chaotische Menge, solidarische Karawane
Mystik ist hier etwas anderes als das vermutete Individuelle, ganz Persönliche. Und doch nimmt es in Anspruch, Mystik zu sein. Und der Papst führt das auch weiter, in seinem Schreiben „Gaudete et Exsultate“: „(aus der Gemeinschaft) erwachsen auch echte mystische und in Gemeinschaft gelebte Erfahrungen“ (GE 142). Da ist Mystik eben nicht aufs Persönliche und Gott-direkte reduziert, sondern öffnet sich für andere Glaubende.
Helfen uns Rahner und sein Zitat also überhaupt weiter? Das tun sie, meine ich. Vor allem dann, wann man sich genauer anschaut, was Rahner mit seinem Ausdruck gemeint hat. Und dazu schlage ich vor, den Artikel von 1966 noch einmal zu lesen, in dem das vorkommt. Erschienen ist er in der Zeitschrift Geist und Leben unter dem Titel „Frömmigkeit heute und morgen“.
„Frömmigkeit heute und morgen“
Und da sind wir schon bei der ersten Auffälligkeit. Rahner sagt gar nicht „der Christ von morgen …“, in dem Artikel sagt er „der Fromme von morgen …“. Das vollständige Zitat lautet: „Der Fromme von morgen wird ein „Mystiker“ sein, einer der etwas „erfahren“ hat, oder er wird nicht mehr sein.“
Das Erste, was auffällt: es geht darum, wie Christsein morgen gelebt werden kann. Was Rahner da „der Fromme“ nennt, oder weiter gefasst die „Frömmigkeit“, um die es geht, meint ja nichts anderes als den gelebten Glauben. Und das Zweite: es geht tatsächlich um Erfahrung des Glaubens, um Gotteserfahrung, da passt das zum Thema Mystik wie oben beschrieben, aber auch wie vom Papst formuliert.
Gelebter Glaube
Der Artikel macht auf mit dem Bezug zum Zweiten Vatikanischen Konzil, das bei Erscheinen des Artikels erst zehn Monate in der Vergangenheit lag. Der Ankerpunkt der Überlegungen ist also die Frage nach Erneuerung von Glaube und Kirche. Nicht nach Struktur, sondern nach dem Kern. Es könne kein Zweifel bestehen daran, dass die Kirche in Unruhe sei, beginnt der Text.
Wobei sich schon in seinen Überlegungen von damals unsere Probleme heute abzeichnen: wir seien uns über die Unruhe einig, „selbst wenn viele vielleicht nur darüber besorgt sind, dass andere „keine Ruhe geben“, wieder andere aber gerade wünschen, daß diese Unruhe größer sei, als sie ist.“ Es gibt also verschiedene Formen der Unruhe.
Ausgangslage: Unruhe
Das Wort „Unruhe“ wiederum lädt einmal mehr dazu ein, den Papst zu Rate zu ziehen, denn für Franziskus ist diese Unruhe ja etwas prinzipiell Gutes. Auch für Karl Rahner SJ ist der Ausgangspunkt ein guter, denn ohne das Konzil und die dadurch ausgelöste Unruhe wäre es ja nicht besser gewesen.
„Wer (die Unruhe) dem Konzil zum Vorwurf machen wollte, muss sich ernstlich fragen, ob er wünschen kann, dass die Kirche diese Kenntnisnahme ihrer wahren Situation noch ein paar Jahrzehnte – länger hätte es gewiß nicht gehen können – hinausgeschoben hätte und dann erst, aber noch viel radikaler als jetzt, in die „Krise“ geraten wäre, die jetzt tatsächlich gegeben ist.“ Das ist Rahner-Sprech und kommt sprachlich fremd daher, passt inhaltlich aber auch noch heute. Das Prophetische dieses Artikels gilt auch jetzt, denn die ausgelöste(n) Unruhe(n) sind ja noch nicht vorbei.
Die Krise von heute
Hier, bei der Unruhe, setzt Rahner mit seinen Überlegungen an, „die Frage, die wir stellen, heißt also: Wie sieht die nachkonziliare Frömmigkeit von morgen aus?“ Sie braucht eine schöpferische Unruhe, greift Rahner noch mal den Ausgangspunkt auf.
Wichtig: Frömmigkeit oder auch modern gesprochen ‚Spiritualität‘ (ein Wort, was in dem Artikel bei Rahner nur ein mal vorkommt und das auch in Anführungszeichen, ein Zeichen der Veränderung unserer Sprache): das gibt es nicht im Singular. Oder als Einheitlichkeit. Es gibt nicht DIE Frömmigkeit, ein Maß an dem alles zu messen wäre. Da ist Rahner eindeutig.
Das Erbe und das Neue
Bevor er auf einzelne Dimensionen dieser Frömmigkeit eingeht, betont er die Balance zwischen Erbe und Neuem. Beides ist ihm wichtig und er warnt geradezu davor, das eine gegen das andere auszuspielen. Schmunzelnd darf ich Rahner noch mal zitieren: „Identität innerhalb des geschichtlichen Wandels zwischen alter und neuer Frömmigkeit besagt zunächst einmal eine Selbigkeit durch Bewahrung eines geschichtlichen Erbes in seiner Faktizität.“ Schmunzelnd deswegen, weil das nun wirklich eine Sprache ist, die ihr Alter verrät.
Es geht um ein „lebendiges Verhältnis zur Vergangenheit“, wie er verständlicher sagt. Das klingt selbstverständlich, war es aber in der wilden Phase direkt nach dem Konzil ebensowenig wie heute, die einen reklamieren das Neue für sich, die anderen die Tradition, beides ist verkürzt und verkürzend.
Gewohnheiten des Glaubens
Und noch ein wichtiger Punkt, bevor Rahner auf die einzelnen Dimensionen der Spiritualität von morgen eingeht: er nennt es die „inkarnatorische Kraft der christlichen Frömmigkeit“. Das Ausbilden von Gewohnheiten, von Institutionellem, von Form und Gestalt. „Man findet komplizierteste Yoga-Techniken sinnvoll und betrachtet alte christliche meditative Gebetsweisen, wie z. B. den Rosenkranz, als unmodern. Warum eigentlich?“
Es geht dabei nicht um das Festhalten an Formen, die nicht mehr die unseren sind. „All dieses Institutionelle der christlichen Frömmigkeit unterliegt vielfältigem Wandel. Gott sei Dank, dass es diesen Wandel gibt,“ so Rahner. Aber dabei dürfen wir eben nicht die Vorstellung von Gewohnheiten und Formen an sich über Bord gehen lassen.
Das ist die Basis. Danach geht es Rahner um drei Punkte, die ich in einem kommenden Post genauer anschauen möchte: um das persönliche und unmittelbare Gottesverhältnis – was ja das Wort Mystik legitimiert – es geht ihm um das Handeln als Teil des gelebten Glaubens und um eine „Neue Aszese“, wie er es nennt.
Aber schon in den vorausgeschickten Gedanken wird klar, in welche Richtung seine Mystik geht.
Rahner war (vermutlich) ein sehr geerdeter (!!!) Mann-
jedenfalls habe ich das 1980(?) im Audimax in Freiburg Wochen vor seinem Tod so erlebt –
sehr nüchtern dem Tod ins Auge schauend, hatte er nochmal – mit seiner ihm eigenen „Rahner Sprache“ Seine 80j Lebenserfahrung vorbei ziehen lassen und von der Hoffnung auf die er setzte, gesprochen…
Damit wollte ich sagen, das er ganz weg war von einer verzückten MISTIK- dass ließ seine nüchterne Mentalität
gar nicht zu!
Als ich ihn damals hörte
– Das war ein Geschenk-
hatte ich eher das Gefühl , dass ich Zeuge eines langen Nach- Denkens ,dass sich mit unglaublichen Wissen mit der Weisheit des Sokrates verbindet !
und Rahners Mystik sehr viel gemein hatte mit dem überlieferten „Zitat“- ich WEISS, das ich nichts weiß..
Darüber kann man ein ganzes Leben nachdenken..!
Ich bin jetzt knapp über 50 und trage seit 2-3 Jahren den Wunsch mit mir, etwas zu verändern, etwas besser zu machen, mehr zu beten und nicht immer alles allein schaffen zu wollen.
Leider geschieden, alleinerziehend, aber die „Kinder“ schon über 18, dachte ich daran, „ins Kloster zu gehen“.
Praktisches Problem: solange meine Kinder noch studieren, habe ich finanzielle Verpflichtungen, die kein Kloster übernehmen wird.
Doch dann der Augenblick der Vernunft: „Sei doch zuerst einmal dankbar für all das, was Du schon hast und bist und strebe nicht schon wieder nach etwas Neuem. Nimm‘ es wie es ist und mach‘ das Beste daraus!“.
Wir suchen das Glück in der Zukunft, aber es liegt in der Gegenwart. In der Gegenwart Gottes.
@Christoph Valentin
Zum Thema Kloster, das auch mich schon beschäftigt hat:
Ich bin mir (inzwischen) ausreichend sicher, dass das was Sie und ich und andere vermutlich von/in einem Kloster erwarten, wir dort auch nur zufällig und mit Glück finden werden. Denn auch im Kloster sind „nur“ Menschen !
Daher ist es – glaube ich – wichtig, dass wir in der jeweiligen Gemeinschaft, in der wir uns aktuell befinden, fündig werden … selbstverständlich einschließlich unseres eigenen Verhaltens.
Ja. Schuster, bleib‘ bei Deinen Leisten. 🙂
„Man findet komplizierteste Yoga-Techniken sinnvoll und betrachtet alte christliche meditative Gebetsweisen, wie z. B. den Rosenkranz, als unmodern. Warum eigentlich?“ – Yoga hilft einem, einen Weg zu sich selbst zu finden und zwar körperlich, emotional und geistig. Wer auf diese Weise lernt, wieder ganz neu Ich zu sagen, kann auch ganz neu Du zu Gott sagen. Mein Eindruck ist, dass es Menschen in unserer Gesellschaft mindestens so schwer fällt, einen bewussten Zugang zu sich selbst zu entwickeln wie einen Zugang zu Gott. Man muss die not-wendige Ruhe erst einmal finden und dann auch noch aushalten können. – Und noch ein Gedanke: Patient(inn)en mit Burn-Out empfehlen Therapeut(inn)en heutzutage Achtsamkeits-Meditation (wobei der genetische Anteil Buddhismus in der Regel ausgeklammert wird). Das Training verlangt acht Wochen lang ein intensives Üben. Die Kurse sind sehr nachgefragt. Der Rosenkranz könnte daneben aus meiner Sicht als Heilmethode durchaus mithalten. Es geht allerdings auch hier nicht ohne Übung und ohne ein etwas anderes Bild von Maria …
Es ist Heft 5 von 1966 – ich musste etwas suchen.
Vielen Dank für den Hinweis auf diesen lesenswerten Artikel. Er atmet den Geist direkt nach dem Konzil, ist aber durchaus auch wegweisend für heute. Entscheidend scheint mir auch heute die Frage nach der Gottesbeziehung bzw nach Gott. Ist Gott für mich der alte Mann mit dem weißen Bart, der relativ unbeteiligt das Geschehen auf der Welt beobachtet? Oder ist die Gegenwart Gottes für mich spürbar, mische ich mich ein, weil ich mich von der Liebe Gottes getragen weiß? Woher nehme ich diesen Glauben – was hat Überzeugungskraft – welches Gottesbild trägt…
Ganz konkret: wie gestaltet sich das Glaubensleben von Frauen, wenn Gott nur männlich gedacht wird?
Eva
Eigentlich kann Gott überhaupt nicht gedacht werden. Weder männlich noch weiblich. Er ist einfach göttlich.
Aber er tritt uns gegenüber in drei Personen, die eigentlich recht anschaulich sind.
Nehmen wir uns die Freiheit und vergleichen wir die Dreifaltigkeit mit einem Bauernhof. Das ist natürlich nur eine Metapher, aber was wäre, wenn wir uns den Sohn vorstellen wie den Jungbauern, der den gesamten Hof im Namen des Vaters managet. Wenn es Probleme gibt, kümmert er sich PERSÖNLICH darum, und übernimmt – dem Vater gegenüber – die Schuld, damit die Knechte und Mägde unbehelligt bleiben. Der Vater ist der Altbauer, der IMMER seinen Willen durchsetzt. Er ist der Eigentümer des Hofes. Der Geist schließlich ist das weibliche Prinzip am Hof. Nicht umsonst verwenden wir die Friedenstaube auch als Symbol für den Geist. Der Geist ist die Person, mit der man am leichtesten in Kontakt tritt. Alle Religionen haben mehr oder weniger Anteil am Geist. Der Geist läßt sich fühlen und er kommt zu Gast in jede Seele, die das will.
Niemand kommt zum Vater, ausser durch den Sohn.
Meint
Euer Christoph
Im Judentum ist der Geist explizit weiblich, nämlich DIE Ruach Jawe.