„Alarmierend sind die Spannungen und Konfliktherde, deren Ursache in der zunehmenden Ungleichheit zwischen Reichen und Armen wie in der Dominanz einer egoistischen und individualistischen Mentalität liegen, die sich auch in einem ungeregelten Finanzkapitalismus ausdrückt“. Ganz an der Realität der gegenwärtigen Probleme entlang entwickelt Papst Benedikt seine Vorstellungen vom Frieden für unsere Welt, wie er sie in der Friedensbotschaft für den kommenden 1. Januar ausformuliert. Jedes Jahr bringe die Erwartung einer besseren Welt mit sich, so der Papst. Das wolle er eine Reflexion beitragen.
An diesem Freitag wurde die Botschaft vorgestellt. Im Folgenden möchte ich am Text entlang die wichtigsten Punkte aufzeigen [Zitate in kursiv].
„Jedem Menschen ist der Wunsch nach Frieden wesenseigen und deckt sich in gewisser Weise mit dem Wunsch nach einem erfüllten, glücklichen und gut verwirklichten Leben“. Damit beginnen die Überlegungen des Papstes: Was im hebräischen Shalom und arabischen Salām bereits angedeutet ist, ist in unserem Begriff ‚Frieden’ etwas zu kurz gekommen, der Papst betont es wieder: Das erfüllte verwirklichte Leben: „Der Mensch ist geschaffen für den Frieden, der ein Geschenk Gottes ist.“
Frieden stiften ist keine Sache der Moral, sondern des ganzen Menschen
Den Menschen, die sich dafür einsetzten, gelte die Verheißung: „Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden“ (Mt 5,9). Das sei keine moralische Empfehlung, deren Befolgung zu gegebener Zeit eine Belohnung vorsehe. „Die Seligkeit besteht vielmehr in der Erfüllung einer Verheißung, die an alle gerichtet ist, die sich von den Erfordernissen der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Liebe leiten lassen.
Auf Gott und diese Verheißung zu vertrauen sei keineswegs naiv, so der Papst. Wer im Leben entdecke, dass man Kind Gottes sei, entdecke gleichzeitig, dass man nicht alleine sei. So entstehe Solidarität. So habe der Frieden zwei Quellen: „Die Seligpreisung Jesu besagt, daß der Friede messianisches Geschenk und zugleich Ergebnis menschlichen Bemühens ist.“
Benedikt XVI. nennt es „einen auf die Transzendenz hin offenen Humanismus“: Eine Ethik des Friedens sei immer auch eine Ethik der Gemeinschaft und des Teilens. Wer das nicht tue und nur subjektivistisch oder pragmatisch Verhaltensregeln aufstelle, richte Beziehungen des Zusammenlebens nach Kriterien der Macht oder des Profits aus, die Mittel würden zum Zweck und umgekehrt.
„Eine Voraussetzung für den Frieden ist die Entkräftung der Diktatur des Relativismus und der These einer völlig autonomen Moral, welche die Anerkennung eines von Gott in das Gewissen eines jeden Menschen eingeschriebenen, unabdingbaren natürlichen Sittengesetzes verhindert.“ Der Frieden beziehe den ganzen Menschen ein und er sei ein Friede mit Gott. Und – und hier wiederholt der Papst eine bereits vorher genannte Einsicht – er ist dem Menschen von Natur aus mitgegeben. Missachtet man dies, habe es gravierende Folgen: „Ohne die Wahrheit über den Menschen, die vom Schöpfer in sein Herz eingeschrieben ist, werden die Freiheit und die Liebe herabgewürdigt, und die Gerechtigkeit verliert die Basis für ihre praktische Anwendung.“
Beachte man jedoch die ganze Würde des Menschen, ergebe sich ein anderes Bild: „Der Friede ist kein Traum, keine Utopie: Er ist möglich.“
Achtung des Lebens ist Weg zum Frieden
„Ein Weg zur Verwirklichung des Gemeinwohls und des Friedens ist vor allem die Achtung vor dem menschlichen Leben, unter seinen vielfältigen Aspekten gesehen, von seiner Empfängnis an, in seiner Entwicklung und bis zu seinem natürlichen Ende. Wahre Friedensstifter sind also diejenigen, die das menschliche Leben in all seinen Dimensionen – der persönlichen, gemeinschaftlichen und der transzendenten – lieben, verteidigen und fördern. Das Leben in Fülle ist der Gipfel des Friedens. Wer den Frieden will, kann keine Angriffe und Verbrechen gegen das Leben dulden.“
In einem zweiten Teil wird der Papst sehr konkret mit seinen Vorstellungen. Wie er zuvor Frieden mit dem gelingenden Leben zusammengebracht hatte, so sieht er nun den Schutz des Lebens auch als Friedensdienst. Diese beiden Elemente gehören zusammen. Das Gegenteil nennt er einen illusorischen Frieden: Die Flucht vor der Verantwortung, die den Menschen entwürdigt, und noch mehr die Tötung eines wehrlosen, unschuldigen Wesens, könnten niemals Glück oder Frieden schaffen.
Neben dem Leben will der Papst auch menschliche Formen des Zusammenlebens verteidigt sehen, vor allem die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau. Und auch hier wieder der Verweis auf die menschliche Natur:
„Diese Grundsätze sind keine Glaubenswahrheiten, noch sind sie nur eine Ableitung aus dem Recht auf Religionsfreiheit. Sie sind in die menschliche Natur selbst eingeschrieben, mit der Vernunft erkennbar und so der gesamten Menschheit gemeinsam.“ Damit schließt er an Papst Johannes XXIII. an, der seine Friedensenzyklika ausdrücklich nicht nur an die Kirche, sondern an alle Menschen gerichtet hatte.
Wer Abtreibung oder Euthanasie ablehne, müsse durch die Gesetzgeber die Möglichkeit erhalten, seinem Gewissen gemäß zu leben und zu handeln: Dies sei ein Beitrag zum Frieden. Leider nähmen aber auch in Ländern alter christlicher Tradition Zwischenfälle von religiöser Intoleranz zu, speziell gegen das Christentum und gegen die, welche einfache Identitätszeichen der eigenen Religion trügen.
Kritik an den dominanten Wirtschaftsmodellen
In den Bereich der Gemeinschaft gehört dann auch ein weiterer Aspekt des Friedens, der Papst zieht damit beim einzelnen angefangen immer weitere Kreise. Ausdrücklich wendet er sich gegen die Ideologie des radikalen Wirtschaftsliberalismus und der Technokratie, welche die sozialen Funktionen des Gemeinwesens zurückfahren wollten, um Wirtschaftswachstum notfalls auch auf Kosten der Rechte und Pflichten der Menschen zu erreichen. Zu den heute am meisten bedrohten sozialen Rechten und Pflichten gehöre das Recht auf Arbeit, so der Papst. Das sei dadurch bedingt, weil die wirtschaftliche Entwicklung vor allem auf der völligen Freiheit der Märkte basiere. So werde die Arbeit als eine abhängige Variable der Wirtschafts- und Finanzmechanismen angesehen. Er wiederholt in seiner Botschaft an dieser Stelle die Forderung nach einer Prioritätensetzung, die das Ziel des Zugangs zur Arbeit für alle verfolge.
„Von mehreren Seiten wird erkannt, daß es heute eines neuen Entwicklungsmodells wie auch eines neuen Blicks auf die Wirtschaft bedarf. Sowohl eine ganzheitliche, solidarische und nachhaltige Entwicklung als auch das Gemeinwohl verlangen eine richtige Werteskala, die aufgestellt werden kann, wenn man Gott als letzten Bezugspunkt hat. Es genügt nicht, viele Mittel und viele – auch schätzenswerte – Wahlmöglichkeiten zu haben. Sowohl die vielfältigen, für die Entwicklung zweckmäßigen Güter als auch die Wahlmöglichkeiten müssen unter dem Aspekt eines guten Lebens, eines rechten Verhaltens genutzt werden, das den Primat der geistigen Dimension und den Aufruf zur Verwirklichung des Gemeinwohls anerkennt. Andernfalls verlieren sie ihre richtige Wertigkeit und werden letztlich zu neuen Götzen.“
Nahrungsmittelkrise ist schwerwiegender als Finanzkrise
Der Konsum, den das vorherrschende Wirtschaftmodell fordere, und der ständig steigende Profit als Dynamik der Wirtschaft zerstöre mit seiner individualistischen und egoistischen Sicht den Frieden.
„Im wirtschaftlichen Bereich ist – besonders seitens der Staaten – eine Politik der industriellen und landwirtschaftlichen Entwicklung erforderlich, die den sozialen Fortschritt und die Ausbreitung eines demokratischen Rechtsstaates im Auge hat. Grundlegend und unumgänglich ist außerdem die ethische Strukturierung der Währungs-, Finanz- und Handelsmärkte; sie müssen stabilisiert und besser koordiniert und kontrolliert werden, damit sie nicht den Ärmsten Schaden zufügen.“
Die Sorge der zahlreichen Friedensstifter müsse sich außerdem der Nahrungsmittelkrise zuwenden, die weit schwerwiegender sei als die Finanzkrise, so der Papst. Preisschwankungen durch Spekulation und Gewinnstreben gefährde das Leben vor allem der Schwachen.
Pädagogik des Friedens, Pädagogik des Vergebens
Den letzten Abschnitt beginnt der Papst noch einmal mit der Familie, er spricht über die Erziehung zu Frieden, hier habe die Familie eine privilegierte Funktion:
„Sie hat eine natürliche Berufung, das Leben zu fördern: Sie begleitet die Menschen in ihrem Wachsen und fordert sie auf, durch gegenseitige Fürsorge einander zu stärken.“
Die Frage der Bildung und Erziehung betreffe aber auch die Religionsgemeinschaften und die Bildungsinstitutionen, es brauche eine „Pädagogik des Friedens“. Man müsse die Menschen lehren, einander zu lieben und zum Frieden zu erziehen sowie über bloße Toleranz hinaus einander mit Wohlwollen zu begegnen: Nein sagen zur Rache, Fehler eingestehen und vergeben. Diese Pädagogik sei eine langwierige Arbeit, so der Papst, und setze Entwicklung voraus.
„Man muß auf den falschen Frieden, den die Götzen dieser Welt versprechen, verzichten und so die Gefahren, die ihn begleiten, umgehen: auf jenen falschen Frieden, der die Gewissen immer mehr abstumpft, der zum Rückzug in sich selbst und zu einem verkümmerten Leben in Gleichgültigkeit führt. Im Gegensatz dazu bedeutet die Pädagogik des Friedens aktives Handeln, Mitleid, Solidarität, Mut und Ausdauer.“
Der Papst wünscht sich, anschließend an das Gebet der Kirche, dass Gott die Meschen zu Werkzeugen seines Friedens mache.
„Mit dieser Bitte verbinde ich den Wunsch, daß alle als wahre Friedensstifter an dessen Aufbau mitwirken, so daß das Gemeinwesen der Menschen in brüderlicher Eintracht, in Wohlstand und in Frieden wachse.“
Moral oder Gerechtigkeit
“Betrachten wir uns die gegenwärtige Moral etwas genauer, so erkennen wir, dass es sich um eine doppelte oder sogar eine dreifache Moral handelt. Die in den Staatsgesetzen und in der öffentlichen Meinung verankerte Moral soll verhindern, dass der Einzelmensch in eigennütziger Weise gegen den Nutzen seiner Mitmenschen und damit gegen den Gemeinnutzen verstößt, z. B. durch Diebstahl und Betrug. Aber sie erreicht diesen Zweck nur in einem verhältnismäßig kleinen Teilbereich der menschlichen Gesellschaft, nämlich nur für die Menschengruppe der wirtschaftlich Schwachen, also der Arbeitenden (Zinsverlierer). Der wirtschaftlich Starke, also der Kapitalist (Zinsgewinner), hat ja die moralisch verwerflichen, d. h. durch die Gesetze verbotenen und durch die öffentliche Meinung verfemten Mittel nicht nötig zur Verwirklichung des Eigennutzes mit Schädigung der Mitmenschen und des Gemeinwohles und zwar im allergrößten und praktisch uneingeschränkten Ausmaß.
Neben dieser offenkundig doppelten Moral gibt es aber noch eine dritte, von den wenigsten Menschen durchschaute Seite, bedingt durch das heimlich schlechte Gewissen der Vertreter und Nutznießer dieser verlogenen Moral. Hier handelt es sich freilich nicht um die Großkapitalisten, die ja ihr Gewissen, wenn sie je eines besaßen, längst abgetötet haben, sondern um die breite Schicht der bürgerlichen Bevölkerung… Sie vertreten die kapitalistisch verzerrte Moral, die ihre wirtschaftlichen Vorteile gegenüber den völlig mittellosen, ausgebeuteten, arbeitenden oder arbeitslosen Bevölkerungsschichten sichert. …Den Gegensatz zwischen Gemeinnutz und Eigennutz halten sie für eine zwar betrübliche, aber selbstverständliche und unabänderliche Tatsache.
…Der geschilderten, innerlich so verlogenen Moral mit all ihren, hier nur kurz angedeuteten schädlichen Auswirkungen stellen wir nun die natürliche und sinnvolle Ordnung entgegen, welche die Natürliche Wirtschaftsordnung nicht nur für die wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander darstellt, sondern auch für den Aufbau der Gesellschaft und darüber hinaus jeder menschlichen Gemeinschaft nahe legt.”
Dr. Ernst Winkler (Theorie der Natürlichen Wirtschaftsordnung, 1952)
Wer nicht weiß, was Gerechtigkeit ist, darf auch nicht wissen, was Ungerechtigkeit ist, um eine Existenz in “dieser Welt” ertragen zu können. Zu diesem Zweck gibt es die Religion, die so erfolgreich war, dass sie die systemische Ungerechtigkeit der Erbsünde bis heute aus dem allgemeinen Begriffsvermögen der halbwegs zivilisierten Menschheit ausblenden konnte:
http://www.juengstes-gericht.net