Die Aufmerksamkeit wird von Maximalforderungen geprägt: wer über den Synodalen Weg spricht ist sich der medialen Aufmerksamkeit sicher, wenn er oder sie Forderungen stellt: dies oder jenes dürfe auf keinen Fall passieren, dieses oder jenes müsse auf jeden Fall passieren, solche Formulierungen prägen die Debatte. Aber sie zerstören auch das, was der Synodale Weg eigentlich sein soll: ein geistlicher Prozess. Schnell hatten sich DBK und ZdK auf diese Dimension geeinigt, als es los ging, das Ganze sollte nicht nur „wir reden miteinander“ sein, der geistliche Charakter der Kirche solle den Weg prägen.
Wer die Debatten in Frankfurt zu Beginn des vergangenen Jahres im Stream verfolgt hat, hat mitbekommen, wie schwierig das ist. Geschäftsordnung und Satzung sind nicht wirklich Themen des Gebetslebens und die Debatte von Texten hat eine eigene Dynamik, die sich als sperrig herausstellt, wenn man geistliche Dimensionen einführen will.
Der geistliche Charakter der Kirche
Aber was will das überhaupt sein, so ein „geistlicher Prozess“?
Er ist geistlich, wenn er sich um ‚Unterscheidung‘ bemüht, würde ich nach einem Jahr Synodaler Weg sagen. Ein Begriff aus der ignatianischen Tradition, der mit Papst Franziskus in den allgemeinen kirchlichen Sprachgebrauch gefunden hat. Aber es ist ein sperriger Begriff, besonders in der deutschen Sprache, in der das Wort eine Alltagsbedeutung hat, die nicht sofort beim Verstehen des Geistlichem hilft. Versuchen wir also eine Annäherung:
Die Kirche in Deutschland hat sich Themen gesetzt, von Autorität und deren Kontrolle über die Rolle der Frauen bis zu Moraltheologie und priesterlicher Lebensform. Das große Problem dabei ist, dass nicht wirklich klar ist, wohin das führen wird. Zu Entscheidungen? Zu Forderungen an Rom und die Weltkirche? Wird es sich verlaufen, wie frühere Prozesse auch schon? Wird es nichts bringen?
Der Begriff der ‚Unterscheidung‘ kann uns aus diesem Dilemma befreien, auch wenn er keine schnellen Lösungen anbietet. Lange vor seiner Papstwahl hatte Pater Jorge Mario Bergoglio eine wunderbare Formulierung dafür gefunden: „Ideen werden diskutiert, Situationen werden unterschieden.“ Unterscheidungen schauen auf Situationen, sie sind keine Werkzeuge, Fragen zu beantworten. Es gilt, sauber ‚Unterscheidung‘ von ‚Entscheidung‘ zu trennen.
Ideen und Situationen
Es ist also gar nicht so einfach, ‚Unterscheidung‘ für den synodalen Prozess anwendbar zu machen. Aber nur so, davon bin ich überzeugt, wird es gelingen, die Unterschiede in Balance zu halten und kreativ und gemeinsam voran zu gehen. Es werden eben nicht die Abstimmungen der Maximalforderungen sein, die einen Erfolg ausmachen.
Nicht selten begegnet dem Begriff „geistlicher Prozess“ ein gewisses Misstrauen. Hier solle etwas auf die fromme Ebene gehoben werde und den Problemen die Spitze genommen werden, könnte man vermuten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Unterscheidung ist keine Verharmlosung von Themen. Wenn es geistlich wird, dann wird es erst wirklich ernst, weil Gott ins Spiel kommt.
Eine zweite Überlegung: Die Frage bei jedem Unterscheidungsprozess – ob individuell oder in Gemeinschaft – ist und bleibt die nach den Eingrenzungen durch Vorgaben und Regeln. Dazu gilt es, das Verhältnis von Unterscheidung und Rahmen zu verstehen. Und das ist eindeutig.
Und was ist mit Vorgaben und Regeln
Bei der Unterscheidung geht es um das, was Karl Rahner einmal die „Konkretheit und Unableitbarkeit des menschlichen freien Handelns“ genannt hat. Soll heißen: man kann die Entscheidungen des Handelns nicht vom allgemein Gültigen her klären, sonst wäre das „Konkrete zu einem bloßen Fall des Allgemeinen“ degradiert.
Die sich auf Ignatius von Loyola berufende Tradition will nichts weniger, als den Betenden in Kontakt zu bringen mit dem Willen Gottes. Nicht mit allgemeinen Prinzipien. Es geht nicht um eine Übung der Anwendung allgemeiner menschlicher, christlicher und kirchlicher Normen auf einen Einzelfall, es geht nicht um die Einzelrealisation des Allgemeinen. Wenn Gott ins Spiel kommt, dann immer über alle allgemeinen Normen hinaus.
Eine Wahl – das Ergebnis der Unterscheidung – erfolgt in der Einmaligkeit der Begegnung zwischen Gott und Mensch.
Begegnung mit Gott
Rahner besteht darauf, dass die Kirche als Handelnde in dem Gebetsprozess des Individuums nicht vorkommt. Sie ist Rahmen, sie ist Ort, sie ist Vorgabe und Vermittlung, handelt selber aber nicht zwischen Gott und Mensch, wenn es um Unterscheidung geht. Das macht den Einzelnen nicht zum Herrn über die Kirche, Rahmen und Ort bleiben Rahmen und Ort, es gibt kein „für mich ist das aber so oder so“. Aber es gilt auch die Unmittelbarkeit im Gebet. „Der Wille Gottes ist nicht einfach und restlos vermittelt durch die objektiven Strukturen von Welt, allgemeiner Gültigkeit des Christlichen und der Kirche“, um noch einmal Rahner zu zitieren.
Zu dieser Leitplanke gehört aber auch notwendigerweise ihr Gegenstück: Regeln und Normen geben den Rahmen vor, lehrt uns Ignatius. Sie sagen uns, wo überhaupt eine Unterscheidung stattfinden kann und wo nicht. Regeln werden nicht ungültig, wenn ich auf den Geist Gottes höre. Aber es kann zu Reibungen kommen. Ein Missverständnis besteht zum Beispiel darin, dass Unterscheidung der Weg zum Individualismus oder gar Voluntarismus sei. Was mir richtig erscheint, das gilt. Das ist nicht gemeint. Die Gemeinschaft, die Traditonsgemeinschaft der Kirche, die heilige Schrift, die Worte des Herrn, all das wird natürlich nicht meinen – fehlbaren – Unterscheidungsprozessen unterworfen.
Wo kann überhaupt eine Unterscheidung stattfinden?
Ein Beispiel: In den geistlichen Übungen des Ignatius geht es darum, die eigene Berufung zu finden und zu unterscheiden. Aber Ignatius ist sehr streng wenn es darum geht, wo alles eben keine Unterscheidung möglich ist. Nämlich immer dann, wenn bereits eine Entscheidung getroffen ist.
Ich bin bereits Priester? Ordensfrau? Oder habe eine andere Berufung angenommen? Dann ist die Unterscheidung eben nicht die Methode, das jetzt ungültig zu machen. Wenn Ordensleute nach zehn oder fünfzehn Jahren in ihrer Ausbildung noch einmal den Monat der Exerzitien durchlaufen, ist die Suche deswegen nicht die, ob ich eine Berufung habe. Es kann nur um die Suche nach Bestätigung durch den Geist gehen und um die Frage, was daraus jetzt für das Leben folgt. Unterschieden wird, wie sich die eigene Berufung weiter ausgestalten kann, vertiefen kann.
Die Unableitbarkeit des Prozesses aus den Normen auf der einen und die Rahmengebung durch die Regeln auf der anderen Seite scheinen einen Widerspruch zu bilden. In jedem Fall stehen sie in Spannung zueinander. Hier gilt es gilt nun, eine Balance zu finden. In jedem Fall ist deutlich, das ich Unterscheidung weder als Umsetzungsvehikel für eigene Einsichten noch für Begrenzungen der Offenheit des Prozesses benutzen darf.
Konsequenzen!
Das Ganze bleibt aber fruchtlos, wenn es keine Konsequenzen hat. Und das ist ja auch ein wenig die Problemperspektive des synodalen Wegs: was folgt nun daraus? Unterscheidung ist eine „innere Haltung, die in einem Glaubensakt verwurzelt ist”, so nennt das der Papst. Bleiben wir bei Franziskus, auch wenn es viele andere Referenzen dafür gibt.
Unterscheidungen in einem geistlichen Prozess erschöpfen sich nicht darin, intellektuelle Übung zu sein. Sie sind kein Abwägen, sondern immer ein Hören auf den Geist Gottes. Und das ist immer die Frage, wohin der Geist uns führen will. Wir können fast gar nichts über Gottes Geist sprechen, ohne Vokabeln der Bewegung oder Aktivität zu benutzen.
Keine Produktion von Eindeutigkeit
Weil es um die Umsetzung und Praxis der Unterscheidung geht, muss an dieser Stelle noch einmal betont werden, was Unterscheidung nicht ist.
Erstens geht es nicht darum, Zeichen zu suchen, die Gott sendet. Das ist ein Missverständnis, das einem häufiger begegnet. Ein Zeichen würde ja die ‚Unterscheidung‘ aufheben, weil sich daraus eine Eindeutigkeit ergäbe. Bekomme ich ein Zeichen, ist ja alles eindeutig. Es geht bei Unterscheidung um Sorgfalt, um Gebet und immer wieder Gebet, es geht um Nuancen und innere Freiheit, es geht um das Handeln Gottes in mir, es geht um Erfahrung und Wahrnehmung. Das ist das Gegenteil von Eindeutigkeit.
Das kann Angst auslösen, weil es keine automatisch sich ergebenden Lösungen für Probleme gibt. Und das ist das Zweite, das Unterscheidung in einem geistlichen Prozess nicht ist: Methode. Ich kann nicht einfach eine Situation in einen Entscheidungsgenerator hinein geben und heraus kommt ein durch Ethik, Moral, Gesetz und Tradition gedecktes Ergebnis. Ohne eigenes Zutun. Genau das ist Unterscheidung nicht.
Geduld, Geduld
Letzte Zutat: Geduld. Unterscheidung ist kein „jetzt, sofort“ Generator. Die Zeitmaßstäbe Gottes entsprechen niemals den unseren. Wir müssen uns zurück lehnen können, beten und warten können, großherzig sein, das Unkraut auch mal wachsen lassen. Der Unterscheidungsprozess des Synodalen Wegs hat vielleicht hier seine größte Schwäche: die Ungeduld vieler Katholikinnen und Katholiken mit der Kirche scheint zu drängen, die Enttäuschungen und der Vertrauensverlust von Kirche ebenso. Aber Gott lässt sich nicht drängen.
Unterscheidung in Gemeinschaft, wie sie der synodale Weg vorhat, hat viele Klippen zu umschiffen. Eines ist klar: ein gemeinsames geistliches Vorgehen garantiert keinen Erfolg und produziert nicht quasi automatisch Ergebnisse. Stattdessen fügt sie dem auch so schon anspruchsvollen Programm noch weitere Problemdimensionen hinzu.
Aber es gibt keine Alternative, wenn der synodale Weg tatsächlich ein geistlicher Prozess sein soll. Machen wir uns – jeder einzeln und in Gemeinschaft – dieses Vorgehen zu eigen, dann hat der Geist Gottes eine Chance, uns zu verwandeln. Und damit wären wir dann beim Grundanliegen, das Papst Franziskus dem synodalen Weg mitgegeben hat: der Umkehr und der Verwandlung in eine Kirche, die den Glauben lebt, bezeugt und verkündet, statt um sich selbst zu kreisen.
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Dieser Beitrag ist die stark gekürzte Version eines Artikels, die Vollversion finden Sie in der Zeitschrift „Ordens Korrespondenz“, Heft 4/2020.
“Wir müssen uns zurück lehnen können, beten und warten können, großherzig sein, das Unkraut auch mal wachsen lassen. ”
Dieser Satz macht mich sehr nachdenklich. Anlass für den synodalen Weg war die MHG-Studie, die das Ausmaß sexualisierter Gewalt in unserer Kirche gezeigt hat. Mir scheint, dieser Ausgangspunkt gerät zunehmend aus dem Blickfeld.
“der Umkehr und der Verwandlung in eine Kirche, die den Glauben lebt, bezeugt und verkündet, statt um sich selbst zu kreisen.”
Es geht nicht nur um eine Kirche, die um sich selbst kreist. Es geht nicht um ein paar Reförmchen, um wieder glaubwürdig zu sein. Es geht um eine Kirche, die, um sich selbst zu schützen, bereit war, sexualisierte Gewalt zu vertuschen.
Mit einer Entschädigung der Betroffenen, die gut und richtig ist, und Aufspürung der Verantwortlichen, ist es meiner Ansicht nach nicht getan.
Deswegen sind die Themen des synodalen Weges gewählt worden, um die Kirche als Ganze letztendlich – vor sich selbst zu schützen. Viele Gutachten wurden und werden in den Bistümern erstellt. Beim Lesen von Gutachten wird deutlich, dass da wirklich Ungeheuerliches passiert ist.
Die Ergebnisse dieser Gutachten sollten mit Erlaub auch beim synodalen Weg rezipiert werden.
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Danke für das Schreiben. So verstehe ich das auch, wir kreisen um uns selbst und machen weiter wie gewohnt.
Der Text ist ehrlich gesagt ein bisschen hoch. Nach mehreren Tagen weiß ich noch immer nicht, was ich dazu kommentieren soll.
Hätten Sie auch eine Fassung für Nichttheologen, Herr Hagenkord? Etwas was auch beispielsweise Ingenieure kapieren?
Auch Theologen tun sich schwer mit dem Text …
Vielleicht wäre die Bitte eher so zu formulieren: .. einen Text, den auch Nichtjesuiten kapieren …
@Eskilcgn
Dem stimme ich zu 100 Prozent zu.
Die allermeisten Synodalen – wenn nicht sogar alle – dürften übrigens Nichtjesuiten sein. Ob die z.B. diesen Text verstehen, bezweifle ich stark.
Für “Normalkatholiken/ Christen” finde ich den Text absolut unverständlich, jedenfalls für mich.
“Die Gemeinschaft, die Traditonsgemeinschaft der Kirche, die heilige Schrift, die Worte des Herrn, all das wird natürlich nicht meinen – fehlbaren – Unterscheidungsprozessen unterworfen.”
Sollten sich die “Synodalen” kräftig hinter die Ohren schreiben, denn genau das versuchen sie: Alles katholische ihren persönlichen Befindlichkeiten zu unterwerfen.
Das stimmt einfach nicht.