Wir reden zu viel über Gegner. Jedenfalls habe ich das Gefühl, wann immer ich mit Gruppen oder am Vatikan interessierten Menschen spreche. Der Papst und seine Gegner, das zieht. Nicht nur in Buchformat. Und hier habe ich mich selber ja auch schon damit befasst.
Für diverse TVs bin ich am Donnerstag zum neuen Motu Proprio interviewt worden, immer war da auch die Frage nach dem Durchsetzen, nach dem Gewinnen, nach den Gegnerschaften dabei. Das ist journalistisch verständlich, zeigt aber auch dass Kirche oder Vatikan durch dieses Fenster gesehen wird. Wer gewinnt?
Der Papst und seine Gegner
Dabei gehen wir über einen schmalen Grat. Zum einen ist es wichtig zu verstehen, was in der Kirche gerade passiert, die Populismen, Polarisierungen und Abgrenzungen sind nicht zu vernachlässigen. Andererseits aber darf man sich davon auch nicht hypnotisieren lassen. Dann überlässt man dieser Debatte die Deutungshoheit über Kirche.
Zuletzt war es der Artikel bei katholisch.de, der einige Debatten ausgelöst hat. Der Versuch, zu verstehen, was hinter dem Versuch steckt, Kirche und Glauben eng zu führen auf Autorität und Forderung. Auf die Gesetzes-Religion, um es biblisch zu sagen. Der Papst und seine Gegner, das ist eben mehr als „nur“ die Frage nach Autorität, hier geht es um mehr, hier geht es auch um Glaube und Kirche und Religion.
Es geht um etwas
In die Analyse mag ich mich hier nicht vertiefen, das Studium von autoritärer Persönlichkeitsstruktur ist sicherlich wichtig, da bin ich aber nicht Fachmensch. Ich bin aber an einer rein beschreibenden Bemerkung hängen geblieben: „Religiöse Wahrheit, Gott und sein Wille, werden als fest umrissene Aussage und fixierbarer Besitz angesehen (man ‚hat die Wahrheit‘), nicht als ein unsagbar viel Größeres, dem sich Menschen nur tastend annähern und ahnend anvertrauen können.“
Religion und Glauben geht tastend, geht suchend, geht kreativ, fragend. Feiernd und denkend, betend und diskutierend. Für all das braucht es aber Spielräume. Zuerst die Spielräume, die wir uns selber zugestehen. Und dann diejenigen, die wir uns untereinander zugestehen.
Spielräume zugestehen
Diese Spielräume werden uns aber zunehmend verweigert. Sie stehen unter permanenter Anklage, in allem werden Fehler gesucht und alles Ausprobierende wird gleich als abweichend bezeichnet. Auf einschlägigen Webseiten ist mir das selber einige Male passiert, das ist kein Spaß.
Die Spielräume haben aber auch mit Freiheit zu tun. Deswegen habe ich das Foto rausgesucht, das oben über dem Artikel steht. Dieses Foto habe ich vor einiger Zeit in München gemacht, das Nationaltheater macht eine kluge Unterscheidung. Und die ist nicht nur semantischer Natur.
Die Frage nach Freiheit hat immer auch mit der Frage nach Gott zu tun. Zumindest für uns Christen. Religion will letztlich nämlich nicht kontrollieren, sondern jeden und jede Einzeln und in Gemeinschaft auf dem Weg zu Gott begleiten. Das braucht Freiheit, die von Gott kommt. Diese Freiheit ist nicht innerweltlich, die ist von Gott.
Die Frage nach der Freiheit und nach Spielräumen
Freiheit ist aber nicht dasselbe wie die Abschaffung aller Beschränkungen und Regeln. Der Papst und seine Gegner, das ist auch eine Frage dieser Freiheit und dieser Regeln, die beiden werden in Gegensatz zueinander gesetzt.
Was aber in Wirklichkeit geschieht ist das Einschränken von Spielräumen, vor allem der Spielräume der anderen. Ob das deswegen geschieht, weil man sich in autoritärer Persönlichkeitsstruktur diese Spielräume selber nicht zugesteht, kann ich nicht beurteilen. Ich sehe aber den oft gewalttätigen Versucht, anderen Spielräume des Glaubens einzuschränken.
Das passiert als Zwang: man will den Papst zwingen, zu reagieren. Die Kommentatore im Blog will man zwingen, etwas zuzugeben. Man ändert das Thema uns will den anderen eines aufzwingen, wo man selber die Definitionshoheit beansprucht. Zwang ist aber das Gegenteil von Spielräumen. Und übrigens auch von Respekt.
Häresie-Unfug
Das passiert durch „den Mann gespielt, nicht den Ball“. Oder die Frau und nicht den Ball. Spielräume werden eingeengt, weil man sich nicht auf die Themen konzentriert, sondern versucht den Personen schaden, sie schlecht zu machen, ihnen etwas zu unterstellen. Der „Häresie“-Unfug um den Papst ist ein solches Beispiel. Angreiffe gegen Kardinal Kasper oder andere prominente Glaubens-Denker sind andere Beispiele.
Das passiert auch durch Verzerrung. Das Wahrheit und Tatsachen verhandelbar scheinen, erleben wir gerade im politischen Diskurs. Wenn man nur genug verzerrt – wie etwa in der Debatte um die Frage des gesellschaftlichen Geschlechts („Gender“) – dann kann man Spielräume schon allein deswegen zerstören, weil man jede Form von Tasten und Suchen und Fragen im Vorhinein an die Wand drängt. Durch Worte und Verunglimpfungen, nicht durch Argumente.
Das Leben hat viele Farben
Das Leben ist nicht Schwarz-Weiß, sondern grau. In vielen Schattierungen. Mehr noch: das Leben ist bunt, sehr bunt. Das macht es interessant und so ist es geschaffen. Spielräume erlauben uns, mehr davon zu entdecken und Gott auch dort zu finden, wo wir Gott bisher nicht vermutet haben. Wir bezeugen den Glauben an einen Gott, dem man sich nur tastend und glauben und feiernd, nicht trimphal, bestimmend und einschränkend nähern kann.
„Freimut“ nennt das der Papst, „geht voran“, ausprobieren und dann „unterscheiden“. Das alles geht nur mit Spielraum, nicht mit Einengung.
Die Debatte um den Papst und seine Gegner macht letztzlich genau das: sie schränkt ein. Den Papst, das eigene Denken, den eigenen Glauben. Es ist wichtig, genau hinzusehen, wenn wir die innerkatholischen Streitigkeiten betrachten. Und zu versuchen zu verstehen, was genau da vorgeht.
Aber wir dürfen uns dadurch nicht die eigenen Spielräume einengen lassen. Der Streit ist verführerisch, führt aber in die Verängung.
[…]Das Leben ist nicht Schwarz-Weiß, sondern grau. In vielen Schattierungen. Mehr noch: das Leben ist bunt, sehr bunt. Das macht es interessant und so ist es geschaffen. […]
Und nicht umsonst ist der Regenbogen – sind die Regenbogenfarben – ein Symbol für die Versöhnung mit Gott nach der Flut.
Meint
Euer Christoph
https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-05/papst-franziskus-jungunternehmer-wirtschaft-treffen-assisi-2020.html
Chapeau Papst Franziskus, das ist der richtige Weg – und ein sehr guter Anfang !
Unsere Welt braucht ein soziales Wirtschaftssystem und Ethik in der Wirtschaft heute mehr denn je … Und wenn die Kirche hier (wie bisher) nichts macht (oder wenigstens viel zu wenig), um auf diesem Gebiet etwas zu erreichen, wer soll dann etwas organisieren ? Die Kirche muss – auf oberster Ebene – Werte fordern in Wirtschaft und Politik … und darüber hinaus auch (wenigstens ansatzweise) Wege aufzeigen, auf welchem konkreten Weg diese erreicht werden können !!!
Die Kirche muss dazu auch (Führungspersonen in) Wirtschaft und Politik kritisieren, auch wenn sie damit dort Missfallen auslöst !!!
Obwohl ich viele der Beiträge schätze und davon inspiriert werde, kann ich in den vielen Zeilen nicht wirklich die aktuelle Sorge bzgl. aktueller europa- und weltweiter Spannungen, Fluchtursachen, kriegerischen Auseinandersetzungen, hysterischen Populismus erkennen.
Wo ist hier eigentlich die Priorisierung der Themen zur Aktualität?
Welche Verantwortung übernimmt hierbei der Vatikan? Gibt es hierbei ausreichende Vermittlungen, Initiativen bei all den kontroversen Auseinandersetzungen?
Freiheit im allgemeinen und Umweltschutz umfasst nicht das aktuelle Problem von Nichtverantwortung, der Missachtung der Menschenrechte und die vielfachen kriegerischen Auseinandersetzungen, die Zunahme von Repressalien, Flucht und Vertreibung. Wo, wer und wie oft sollte ” in brennender Sorge” bei Funktionseliten auch Unangenehmes umfassend angesprochen werden, Initiativen ergriffen werden, darüber geschrieben werden, damit das Verwirrte, Zerstörerische nicht noch mehr um sich greift und Fakten schafft.