Lesern dieses Blogs wird der Gedanke nicht fremd sein, dass „Dynamik“ einer der zentralen Begriffe ist, der hier zur Erklärung des Papstes und seiner Anliegen Verwendung findet. Dynamik in der Sprache, in der Haltung, bis hin zur „ständigen Haltung des Aufbruchs“, die der Papst selbst in Evangelii Gaudium als seine Absicht und sein Ziel beschrieben hat.
Das kann man auch im synodalen Prozess zu Ehe und Familie erkennen. Das kann man in den Synodenversammlungen erkennen. Und man muss kein Prophet sein um zu vermuten, dass Papst Franziskus sich treu bleiben wird und diesen Grundzug auch im Postsynodalen Schreiben erkennbar machen wird.
Um diesem synodalen Prozess zu Familie und Ehe auf die Spur zu kommen, möchte ich ihn anhand dieses Dynamik-Begriffs noch einmal nachzeichnen. Daran lassen sich die wichtigen Themen und Perspektiven identifizieren und damit lässt sich dann auch das Abschlussdokument des Papstes im Licht dessen, was geschehen ist und gesagt wurde, besser lesen und verstehen.
Prolog
Es begann mit einem Kardinal. Papst Franziskus hatte Ende Februar 2014 die Kardinäle nach Rom geladen, um neue Kardinäle zu erheben, es fand also ein Konsistorium statt. Diesem feierlichen Akt schaltete der Papst einen Studientag vor, nachdem er bekannt gegeben hatte, dass er zwei Versammlungen der Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie abhalten wollte. Und für das Impulsreferat hatte der Papst Kardinal Walter Kasper gebeten, einen Text vorzubereiten.
Von Anfang an ist also klar, dass der Papst einen Prozess will, eine Debatte. Auf den Einwand von Kardinal Kasper, er müsse intellektuell redlich dann auch über Dinge sprechen, die mindestens kontrovers seien, habe der Papst geantwortet, genau das wolle er. Nicht, dass damit klar ist, dass der Papst hinter dem Vorschlag steht. Aber er wollte die Debatte, komplett mit den kontroversen Themen. Der Papst spielt nicht auf Sicherheit.
Mit dem Name Kardinal Kasper verbindet sich aber gleich von Anfang an auch eine Verhärtung, die der Absicht des Papstes diametral entgegen steht. Man unterstellt Kasper alles möglich, bis hin zu Häresie. Er wolle die Lehre ändern und so weiter. Und anstatt auf die Frage zu antworten, die der Kardinal stellt, behandelt man es – in der Kirche wie in gewissen Medien – als ein Projekt, als Antwort, als Quintessenz einer „deutschen“ Theologie. Insgesamt vor allem was die Blogoshpere angeht ein sehr unappetitlicher Vorgang.
Außerdem gibt es auch gleich zu Beginn eine Verengung der Breite der Debatte auf eine Frage, maximal auf zwei: Erstens Wiederverheiratete Geschiedene und ihr Zugang zu den Sakramenten und zweitens Homosexualität. Ersteres liegt nahe, denn auch der Kardinal hatte das ja genannt, aber die ganzen anderen Themen der Pastoral zu Familie und Ehe werden schnell zu Gunsten dieser zugegeben schwierigen Themen an den Rand gedrängt. Alles soll sich an diesen zwei Fragen entscheiden. Eine Verengung.
Fragen wir den Papst, wie er auf das Thema Familie blickt. Direkt vor Beginn der ersten Versammlung der Synode hatte er in Rio de Janeiro, beim Weltjugendtag, zu Jugendlichen gesprochen: „Es wird gesagt, die Ehe sei heute „aus der Mode“ gekommen. Ist die Ehe aus der Mode gekommen? [Nein…]. In der Kultur des Provisorischen, des Relativen predigen viele, das Wichtige sei, den Augenblick zu „genießen“, sich für das ganze Leben zu verpflichten, endgültige Entscheidungen „für immer“ zu treffen, sei nicht der Mühe wert, denn man weiß ja nicht, was das Morgen bereithält. Ich hingegen bitte euch, Revolutionäre zu sein; ich bitte euch, gegen den Strom zu schwimmen; ja in diesem Punkt bitte ich euch, gegen diese Kultur des Provisorischen zu rebellieren, die im Grunde meint, dass ihr nicht imstande seid, Verantwortung zu übernehmen; die meint, dass ihr nicht fähig seid, wirklich zu lieben. (..) Habt den Mut, „gegen den Strom zu schwimmen“. Und habt auch den Mut, treu zu sein.“
Das ist nicht die Perspektive, in der in unseren Breiten auf das Thema Familie geschaut wird. Aber man muss sie im Blick haben, um zu verstehen, um was es gehen soll.
Im Vorgriff auf später darf ich schon mal aus der ersten Versammlung der Synode zitieren: Wenn es um Familie geht, dann soll man bitte nicht ins Schlafzimmer schauen, sondern ins Wohnzimmer. Also weniger Fixierung auf Sexuaralmoral, bitte.
Erster Akt: Vorbereitung
Hauptdarsteller dieses ersten Aktes – um im Bild zu bleiben – ist der Fragebogen. Der Vatikan hatte ihn versandt, um … ja warum eigentlich? Es gab viel Verwirrung um diesen Fragebogen.
Zuerst steht er einmal dafür, was der Papst „die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ nennt. Die Realität der Lebenssituationen der Menschen soll abgefragt werden. Dahinter liegen gleich auch Fragen: Ist die Wirklichkeit ein theologischer Ort, darf sie Wahrheit bestimmen? Und wenn ja, wie? Das alles wurde mit dem ungewöhnlichen und überraschenden Instrument des Fragebogens eher angerissen denn beantwortet. Dementsprechend hilflos fielen die Reaktionen darauf aus.
Der Fragebogen stößt aber auch praktisch schnell an Schwierigkeiten. Wir hier sind quantitative Meinungsumfragen gewohnt, sie sind Teil unseres politischen und medialen Geschehens. Das ist aber nicht auf er ganzen Welt so. Und wie will ich die Antworten aus sagen wir Österreich mit denen aus Uganda vergleichen? Chile? Indien?
Der Fragebogen schuf auch eine Erwartungshaltung: Die Kirche fragt die Menschen. Noch einmal: zu unserer politischen und gesellschaftlichen Kultur gehört das dazu. Es schafft dadurch aber auch Erwartungen: wir werden gefragt, also wollen wir auch gehört werden. Aus den Fragen und den Antworten muss etwas folgen. In unserer gesellschaftlichen und vor allem politischen Kultur ist das selbstverständlich, auch die Produktgestaltung arbeitet so – man fragt nach und passt das Produkt an. Der Umgang mit dem Fragebogen gestaltete sich also nicht als einfach.
In der Vorbereitung auf die erste Versammlung der Synode fällt auch erstmals der Begriff, der wie ich finde das Ganze gut beschreibt, nämlich „synodaler Prozess“. Genau das ist es. Und hier muss ich auf das vorgreifen, was der Papst bei der zweiten Versammlung der Synode 2015 dazu gesagt hat, anlässlich der Feier von 50 Jahren Bischofssynode. Er wolle keine „Parlamentarisierung“ der Kirche, keine Verlagerung der Autorität auf ein Gremium oder eine Kollektiv. Es gehe ihm – so der Papst 2015 – um ein dreistufiges Hören aufeinander, um eine gemeinsame Unterscheidung der Geister. Das sei Synodalität und genau so kann man auch den Prozess verstehen, der in den vergangenen zwei Jahren abgelaufen ist.
Das lag die ganze Zeit aber etwas über Kreuz mit den Erwartungen, die sich anhand vieler Papstaussagen gebildet hatten. Ich erinnere an die Kirche als „Feldlazarett“, das alle aufnimmt, oder an das Jesus-Zitat „der Sabbat ist für die Menschen da, nicht die Menschen für den Sabbat“, was als Deutung für den Umgang ausgerechnet mit dem Kirchenrecht gedeutet wurde. „Wann macht der Papst endlich …“ war eine gern genommene Einleitung von vielen Fragen, die mir begegnet sind.
Zweiter Akt: Erste Versammlung der Synode
Es war eine außerordentliche Versammlung, was heißt, dass die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zusammen kamen. Das hat Auswirkungen auf die Zusammensetzung: die Anzahl der Gläubigen oder auch nur der Bistümer pro Konferenz spielt weniger eine Rolle, Lateinamerika mit fast der Hälfte aller Katholiken weltweit war zum Beispiel hoffnungslos untervertreten. Andere Länder, mit weniger Katholiken, waren dagegen Stark mit ihrer Stimme.
Was als erstes auffiel war, das der Papst schweigt. Der Papst schweigt eigentlich nie, die Bilder dieses Pontifikats zeigen uns einen dynamischen Papst, einen der spricht und kommuniziert, der umarmt. Und in den Pausen der Synode sahen wir auch einen Papst, der sprach, morgens wenn er kam schüttelte er den Schweizergardisten die Hände und hielt kleine Unterhaltungen. Nicht so in der Aula: abgesehen von kurzen Grüßen ergriff er nur bei der zweiten Versammlung ein Mal das Wort. Ansonsten schwieg er er.
Was von der ersten Versammlung der Synode vor allem im Gedächtnis bleibt ist die Dramatik um den Zwischenbericht. Er war veröffentlicht worden, ganz nach Absprache, die aber nicht allen Synodenteilnehmern bekannt war und die lauthals und vehement protestierten und sogar Vatikansprecher Lombardi vorwarfen, das eigenmächtig getan zu haben. Was nicht stimmt. Dieser Bericht erregte viel Aufsehen, draußen, außerhalb der Aula, versuchte man zu deuten, in welche Richtung sich die Entscheidung des Papstes bewegen werde, drinnen versuchten einige, die berühmte Zahnpasta zurück in die Tube zu drücken. Wie genau dieser Bericht zu Stande gekommen ist, weiß ich nicht, aber dass er die Stimmung im Saal nicht getroffen hat, das war eindeutig. Für den Inhalt, aber mehr noch wohl für die Stimmung, was das ein nicht zu unterschätzender Augenblick.
Die Synode war immer weiter als der Raum, in der sie stattfand und tagte, das kann man mit Blick auf diesen Zwischenbericht, aber auch überhaupt auf die Synode sagen: es gab immer ein mediales Drumherum. Tiefpunkt war wahrscheinlich die absurde Geschichte um den angeblichen Rassismus Kardinal Kaspers; ein Journalist hatte sein Band mitlaufen lassen, nach meinem eigenen Nachhören falsch zitiert und dann harte Vorwürfe geäußert. Die Taktik ist klar: man will sich dem Argument nicht stellen, also schlägt man den Menschen. Den Mann, nicht den Ball spielen, heißt das im Fußball. Oder kurz: Foul. Auch das gehörte zur Lautstärke um die Synode herum.
Drinnen und auch in einigen Medien wurde daraufhin der Verdacht geäußert, die Medien und ihre Berichterstattung würden die Beratungen verfälschen, ein Vorwurf, der übrigens erstmals zum Ersten Vatikanischen Konzil geäußert wurde. Dummerweise waren es genau die Medien, die selber am meisten Einfluss zu nehmen versuchten – siehe Kasper-Vorwurf – die sich dann gegen medialen Einfluss wehrten.
Weitere „Darsteller“ auf der Bühne gab es reichlich. Bedeutsam wurde das gleichsam selbstevidente Sprechen von „dem Westen“, der sei individualistisch, Freiheit- anbetend und dem Glauben abgewandt. Dort hinein gehört auch die Debatte um die so genannte „Gender-Theorie“, die in Teilen der Welt als gefährlich wahr genommen wird. Dass auch als „konservativ“ eingeschätzte Bischöfe betonen, dass Gender erst einmal eine Befreiungsbewegung war, die Frauen aus sozialen Stereotypen befreien, ging unter, der völlig verzerrte Vorwurf war rhetorisch stärker. Dann gab es den Vorwurf des „Kulturimperialismus“, westliche Gesellschaftsmodelle würden an Hilfe gekettet, vor allem Afrika müsse sich gegen diese Art von Bevormundung wehren.
Dahinter liegt die schwierige Frage, wie man den jeweils anderen Kulturen etwas Positives abgewinnen kann. Oft wird im „progressiven Geschichtsmodell“ unausgesprochen angenommen, dass etwa Afrika noch nicht so weit wäre wie wir. Das hilf nicht dabei, die anderen zu verstehen. Andererseits wird auch in der Geschichte des Westens die Freiheitsgeschichte nicht gesehen, auch das schottet ab. Auch da wird nicht verstanden. Wie sehen sich die dort vertretenen Kulturen? Wie ist Wertschätzung gegenseitig möglich? Ein Teil der Aufgabe der Synode war also immer, den jeweils anderen Kulturen das Positive und Konstruktive abzugewinnen. Das ist nicht immer gelungen, leider.
Auch hierzu hatte der Papst etwas zu sagen, ganz zum Abschluss der Beratungen und noch nach der Abstimmung ergriff er überraschend das Wort und legte seine Betrachtung vor. Wie später im Jahr mit seinen „fünfzehn Krankheiten der Seele“ zählte er auch hier Versuchungen auf, die ihm im Verlauf der Debatten aufgefallen waren: „Die Versuchung der feindlichen Erstarrung: Das ist der Wunsch, sich im Geschriebenen einzuschließen und sich nicht von Gott überraschen lassen wollen (..). Die Versuchung des zerstörerischen Gutmenschentums, das im Namen einer falschen Barmherzigkeit die Wunden verbindet, ohne sie zuvor zu behandeln (..) Die Versuchung, Steine in Brot zu verwandeln um ein langes, schweres und schmerzhaftes Fasten zu beenden (Lk 4:1-4). (..) Die Versuchung, vom Kreuz herunter zu steigen, um den Menschen zu gefallen, und nicht dort zu bleiben um den Willen des Vaters zu erfüllen (..) Die Versuchung, das „depositum fidei“ zu vernachlässigen und sich selber nicht als Hüter, sondern als Besitzer und Herren zu verstehen oder andererseits die Versuchung, die Realität zu vernachlässigen und eine einengende Sprache zu benutzen und so zu sprechen, dass man viel redet und nichts sagt!“
Und dann zitierte er noch das Kirchenrecht – ein Papst, der sehr, sehr selten das Kirchenrecht zitiert – und zwar zu seiner eigenen Rolle in diesem Synodalen Prozess und in dieser Unterscheidung der Geister: der Papst habe „die volle ordentliche Autorität, die oberste, volle, unmittelbare und universale in der Kirche“ (CIC 331-334). Klare Worte darüber, dass der Prozess keine Verschleierung von Autorität sein darf, aber auch darüber, was der Ablauf des Prozesses an Versuchungen, das heißt auch an Destruktivem, zum Vorschein gebracht hat.
Gemach, gemach,
die von manchen gerne gescholtene „Blogosphere“ ist
zum Teil sehr entspannt, was Kardinal Kasper betrifft.
Ein aktuelles Beispiel:
http://kreuzknappe.blogspot.de/2016/03/medien-alarm-wegen-ausplauderer.html
Das gilt für die deutsche Sprache, aber auch hier gibt es wilde Gegenbeispiele. Wenn man aber mal den Teich schaut, wird das ungleich heftiger.
Da ich zur Zeit in einer Weiterbildung viel mit dem Exerzitienbuch des Heiligen Ignatius arbeite, sehe ich die Parallelen in der Vorgehensweise des Papstes. Nur konsequent und logisch, von außen wird das nicht so sichtbar, wenn Presseorgane sich mit dieser Herangehensweise an ein Thema nie vertraut gemacht haben.
Man analysiert akribisch Banalitäten, statt sich mit den Mitteln und Methoden zu befassen, um Franziskus verstehen zu können.8
Ich glaube das Schwierigste an einem synodalen Prozess ist, dass die ganze Menschheit dabei ihren Anklang finden sollte um Perspektiven objektiv und ohne Vorbehalt einbringen und vertreten zu können. Diese Herausforderung bietet den Vertretern in der Synode die Möglichkeit, aus ihren Positionen kontroverse Blickwinkel zu prüfen, um sie dann in einen tragbaren und haltbaren Konsens zu führen. Eine würdevolle von Liebe getragene persönliche Haltung ermöglicht den respektvollen Umgang miteinander, der ergebnisorientiert arbeiten kann. Für diese Haltung zu beten hilft sicher auch allen Beteiligten. Die Herausforderung an die Synode ist Jesus in seiner Art Mensch zu sein so zu vertreten, dass seine Menschlichkeit weltweit gefördert werden kann, indem Kirche sie als Vorbild im Leben verwirklicht, um in ständigem Austausch zwischen Synode und Wirklichkeit als ein Volk zu wachsen.