
Ein Jesuit hat immer drei Punkte. Das ist einer der ersten Sätze, die ich in meinem eigenen Noviziat gelernt habe. Erstens, zweitens, drittens. Es ist ein Standartsatz, der unter uns mit einer Menge Humor verbunden ist. Ein insider-Witz, sozusagen.
Bei Papst Franziskus kann man das bestens studieren. Auch er hat immer drei Punkte, ja mehr noch, er betont die drei Schwerpunkte, die eine Predigt von ihm normalerweise hat, ausdrücklich, indem er ihnen Worte zuweist: caminare, confessare, edificare zum Beispiel, die drei italienischen Worte aus der ersten Predigt am Sonntag nach seiner Wahl.
Warum drei Punkte? Weil das aus dem Exerzitienbuch des Ignatius von Loyola zu übernommen ist. Das Buch bildet das Rückgrat des Ordens, oder besser: Die Exerzitien bilden das Rückrad. Die Erfahrungen, die dort methodisiert sind, haben zur Gründung des Ordens geführt und jeder Jesuit muss seine eigenen Erfahrungen mit Hilfe dieser Methode machen, mehrfach in seinem Leben.
Das Exerzitienbuch des Ignatius
Auch andere Ordensgemeinschaften und Laiengemeinschaften sind von ihnen geprägt, so dass diese Exerzitien gar nicht so unbekannt sind. Aber in der Praxis werden sie – wie es intendiert ist – sehr flexibel in der Umsetzung gehandhabt, so dass das Buch selber wenige in die Hand nehmen.
Drei Punkte also. Die Zahl drei taucht im Buch immer wieder auf. Drei Zeiten gibt es am Tag, sich zu erforschen, also geistlich zu reflektieren. Drei Weisen zu Beten, drei „Arten von Menschen“, etc. Aber wichtig wird diese Dreizahl in den Gebetsübungen; die erste Übung hat folgenden Titel:
„Die erste Übung ist eine Besinnung mit den drei Fähigkeiten über die erste, zweite und dritte Sünde. Sie umfasst nach einem Vorbereitungsgebet und zwei Hinführungen drei Hauptpunkte und ein Gespräch.“
Die drei Fähigkeiten und die drei Sünden müssen uns an dieser Stelle nicht interessieren. Wichtig sind die „drei Hauptpunkte“. Warum? Weil es in der Regel drei sind. Bibelstellen werden in drei Perspektiven aufgeteilt, dieses Prinzip setzt sich durch das ganze Exerzitienbuch durch. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber alle Übungen, die sich etwa konkret mit dem Leben Jesu befassen, haben drei Punkte.
Der Sinn dahinter ist einfach, es wird eine innere Dynamik aufgebaut, indem die Perspektive gewechselt wird. Ignatius ist ein Meister des Methodisierens, wenn er auch alles flexibel angewandt sehen will. Die Methode stellt sicher, dass auf den inneren geistlichen Ablauf des Betens eingegangen werden kann. Sie sorgt dafür, dass der Betende mit mehr als nur einer Perspektive ins Gebet hinein geht.
„Der erste Punkt ist … , der zweite Punkt ist …, der dritte Punkt ist …“ zieht sich durch die Exerzitien und damit auch durch die Ausbildung eines Jesuiten. Irgendwann kann man dann gar nicht mehr anders, also diese Art der Methode anzuwenden, sie geht einem in Fleisch und Blut übrig. Wie dem Papst.
Beim Lesen seiner Ansprachen und Homilien war ich schon darauf “konditioniert” in dem halben Jahr: ich fing an, darauf zu warten – “so, jetzt noch drittens” – mir war nicht klar, daß es von Ignatius kommt, ich dachte, es sei eine “Marotte” des Priesters Jorge Bergoglio…
Es ist eine sehr menschliche “Struktur” – Elisabeth Kübler – Ross, die “Pionierin” im Kampf gegen das “verdrängte Sterben” hat in ihren “Interviews mit Sterbenden” festgestellt, daß Sterbende, Menschen in extremen Notsituationen dreimal das Wichtige thematisieren (oft in symbolischen Andeutungen) und dann verstummen, es nicht mehr äußern.
Dann ließe sich weiter reflektieren, warum gerade der Zahl Drei eine solch besondere Bedeutung zukommt und sie gewissermaßen zum Rückgrat geistlicher Strukturbildung und Prägung wird.
Das hört sich ja fast so an, als hätten die Jesuiten die Zahl Drei erfunden.
Meiner Meinung nach ist die Drei jedem Menschen angenehm und vertraut… vielleicht besonders den Europäern:
Interessant ist etwa, dass die Morphologie der Pflanzen wie der Menschen sich im Grunde einfach und dreifach gliedern lässt: Die Pflanze besteht in ihren Hauptbestandteilen aus Wurzel, Spross und Blättern… der Mensch kann untergliedert werden in Kopf, Rumpf, Extremitäten. Mancher mag das letzte Beispiel als “Humbug” bezeichnen, aber das kann etwa an einem sehr alten Architekturelement belegt werden: Der Säule (egal ob dorisch, ionisch, korinthisch, Kompositsäule): Die Säule wurde schon seit der Antike (vgl. etwa Vitruv) mit dem Menschen gleichgesetzt und nach dessen Proportionen konstruiert; sie meint am Bau auch ein Hoheitszeichen: Diese gliedert sich immer in drei Teile: den Sockel (oder “Fuß”), den Schaft (entspricht unserem Körper bzw. Rumpf) und das Kapitell (–> Kopf).
Dann gehen wir weiter: In der (seit der Antike bestehenden) Rhetorik und Poetik gibt es viele Elemente die ebenfalls dreigegliedert werden:
Das Beispiel Drama: Es gibt die “drei Aristotelischen Einheiten” (Aristoteles: Poetik): Danach muss im Drama die Einheit von Zeit, Raum und Handlung bewahrt werden (es dürfen keine Zeitsprünge, keine Ortswechsel, keine Nebenhandlungen vorkommen). Sinn des Ganzen ist wohl sich auf das Wesentliche zu konzentrieren… schließlich hat das Drama die Funktion das Leserpublikum in den Zustand der “Katharsis” – der Reinigung/ Läuterung – zu führen. Die Aufgabe von Jesuitendramen dürfte in etwa die gleiche gewesen sein, nicht?
Zudem gliedert sich das klassische Drama (zumeist) in drei Akte (man kann manchmal auch folgende Grobgliederung vorfinden: Prolog, Drama, Epilog).
Für den Barock, der Zeit des Ignatius, sehr prägend und sehr beliebt war auch die Form des Emblems. Auch das Emblem war seiner Natur nach eine hochgradig moralische Kunstform: Das Emblem verfügt über drei Bestandteile: Die “Inscriptio” (= die Überschrift bzw. eine Art Motto), die “Pictura” (= ein Bild mit rätselhafter, symbolischer Bedeutung) und die “Subscriptio” (= einem darunterstehenden kurzen Text (oft gereimt), der Motto und Bild etwas näher erläutert).
Das führt uns zum “dialektischen Dreischritt”, den jeder von uns aus dem Deutschunterricht kennt: Wenn man etwas untersuchen/ beweisen will, dann kann man das folgendermaßen: Man stellt 1. eine These und 2. eine Antithese einander gegenüber und kommt schließlich 3. zur Synthese des Ganzen.
Dann gibt es natürlich auch die Dreiteilung im optischen Bereich: Besonders seit der Renaissance (und bis ins 20. Jh. hinein) untergliederten Künstler ihre Bildwerke bevorzugt in Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Das bewirkt große Klarheit.
Auffällig ist auch, dass bedeutende antike Geschichtswerke oftmals dreigeteilt wurden: Diesem Prinzip folgte etwa Giorgio Vasari in seinen “Viten” der Künstler Italiens: Er untergliederte seine Lebensbeschreibungen in 1. die “Kindheit der Kunst”, 2. die “Jugend der Kunst” und 3. die “Reife der Kunst” (4. den “Verfall”/das “Alter der Kunst” deutete er nur an).
Und dann gibt es unsere Vorliebe für Trilogien: Papst Benedikt schrieb nicht umsonst drei Jesusbücher.
Die Drei ist folglich in der säkularen wie profanen Welt zu Hause. Vielleicht verstehen den Papst die Menschen – auch die Nichtgläubigen – u. a. deswegen so gut bzw. so gerne.
Und nicht zuletzt “sind aller guten Dinge drei”. Die Zahl Drei ist, denke ich, eine durch und durch positiv konnotierte.
Und wie es aussieht bin ich hier der dritte (und nicht erste) Kommentator! Schön.
@Veruschka, schöner Text, hat großen Spaß gemacht ihn zu lesen.
@veruschkaHier noch einige kleine Anmerkungen zur Zahl
3 – Die Zahl Gottes und die Dreieinheit
Die Dreieinheit der Gottheit Mt 3,16.17
3-facher Segen Gottes 4.Mo 6,24; 2.Kor 13,13
3-faches, genügendes Zeugnis 5.Mo 17,6; 2.Kor 13,1
3-teilung des Tempels Gottes 2.Mo 26 + 27
Die 3 Personen im Erlösungswerk Jes 48,16; Heb 9,14
3-fache Sicherheit der Erlösten 2.Kor 1,21.22
3 verschiedene Himmel 2.Kor 12,2
Die dritte Stunde (Die Geburtsstunde der
Versammlung) Apg 2,15
3 mal steht im NT “Abba Vater” Mk 14,36; Gal 4,6
3-teilig ist der Mensch (Gottes Werk) 1.Thess 5,23
Jesus macht von sich selbst eine dreifach Aussage: “Ich bin der Weg und die, Wahrheit und das Leben” (Joh 14,6). Paulus schreibt im Brief an die Korinther “Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung und Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen” (1.Kor. 13,13). Glaube, Hoffnung, Liebe – auf Latein fides, spes, caritas-, gelten als die drei göttlichen Tugenden, die häufig durch Kreuz, Anker und Herzversinnbildlicht werden.
Nein „erfunden „ haben die Jesuiten die 3 nicht, aber in Ihrer Geschichte –beginnend mit Ignatius von Loyola, sehr, sehr gut angewandt.
Vielen Dank für diese Assoziationen. Das ist auch sehr interessant. Besonders Ihren letzten Verweis (3-teilig ist der Mensch) werde ich in der Bibel nachlesen.
Alles Gute und liebe Grüße!
Den Hl. Ignatius in Ehren. Doch aller guten Dinge sind eben Drei, die Heilige Trinität, auf die er sich und viele anderen auch da berufen. Das ist ganz einfach. Oder eben dreifach.
Lieber Christian,
anbei der Hinweis über die Methode des Perspektivenwechsels in der ignatianischen Methode!
Gruß,
P. Achim