Ein Astronom, der die Existenz von Außerirdischen für möglich hält und gleichzeitig Jesuit ist und am vatikanischen Observatorium arbeitet. Die Popsängerin Gloria Estefan. Ein Basketballprofi, ein Kardinal. Prinzessin Sheika Hussah Sabah al-Selem al-Sabah, Inhaberin einer der größten Sammlungen islamischer Kunst. Ein buntes Sammelsurium das eines gemeinsam hat: Sie sprachen an diesem Freitag im Vatikan auf einer Konferenz zu Religionsfreiheit. TEDx – eine live im Internet übertragene Konferenz zu Religionsfreiheit versammelte all diese Beiträge auf der Bühne in der Via della Concelezione, zwischen Sankt Peter und Radio Vatikan.
Neunzehn Beiträge gab es, alle gehorchten einer Bedingung: Nicht länger als 18 Minuten. Einer der Beiträge kam von einem Soziologen und Statiskiker. Brian Grim ist Forscher am PEW Research Center in Washington DC. Einrichtungen wie PEW arbeiten als Thinktanks, aber die Organisation selber bezeichnet sich eher als Fact Tank, vergleichbar vielleicht Instituten wie Allensbach etc. Eines der sieben Projekte von PEW betrifft die Frage nach der Rolle von Religion in der Gesellschaft: „Wir untersuchen die Rolle von Religion in der Gesellschaft, das geht von persönlichen Einstellungen über Demographie bis zur Frage nach der Einschränkung von Religionsfreiheit, was mein eigener Arbeitsbereich ist.“
Einschränkungen von Freiheit und soziale Unruhen
Und genau dazu sprach Grim an diesem Freitag bei der TEDx Konferenz im Vatikan. Die Perspektive auf die Frage nach Religionsfreiheit, die seine Forschungen einnähme, habe sich als sehr produktiv erwiesen, „denn wir schauen auf Religionsfreiheit durch die Linse von Beschränkungen durch Regierungen als auch auf neue Art durch die Linse von sozialen Feinseligkeiten auf Grund von Religion. Nach den Attentaten in New York 2001 wurde sehr schnell klar, dass nicht nur Regierungen die Freiheit der Religionen einschränken können, sondern dass auch die Handlungen einzelner und besonders von Gruppen ihren Einfluss darauf haben.“
Sehr produktiv sind die Ergebnisse, da sie so nicht zu erwarten waren. Viele der Zahlen und Zusammenhänge scheinen auch erst einmal unlogisch zu sein, oder vielmehr den Erwartungen zu widersprechen. „Viele Regierungen behandeln Religion als etwas Gefährliches, das kontrolliert werden muss. Wenn sie also religiöse Auseinandersetzungen fürchten, dann ist ihr Instinkt, zu Einschränkungen der Religion zu greifen, auf die Inhalte etwa oder die Religionen, die in einem Land legal sind. Oder sie favorisieren eine Religion über andere, wie etwa in Iran: Dort hat man sich entschieden, alle Gesetze der Scharia zu unterwerfen, dem religiösen Gesetz. Was dann aber gegen alle Erwartungen passiert ist, ist dass in diesen Fällen Auseinandersetzungen bis zum Krieg zwischen den einzelnen Fraktionen ausbricht. Unsere Studien haben herausgefunden, dass wenn eine Religion anderen bevorzugt wird bis hin zum Ausschluss von anderen, dann kann man auch gleichzeitig soziale Auseinandersetzungen und Feindseligkeiten beobachten.“
Einschränkung von Religionsfreiheit führt also nicht zu mehr Ruhe und Kontrolle, sondern im Gegenteil zu mehr Unruhe.
Die Zahlen – faktenbasiert – schaffen nun neue Möglichkeiten für Dialoge, Unterhaltungen und Debatten. Grimm wird von der UNO angefragt, vom vatikanischen Rat für Gerechtigkeit und Frieden und vielen anderen Institutionen. „Zahlen geben uns ein Fenster zur Welt, wie sie ist“, so Grimm. „Es geht nicht um letzte Wahrheiten, aber wir versuchen, so zu verstehen, was in der Welt vorgeht. Ich befasse mich sozusagen numerisch mit der Welt, ich schaue auf die Dinge und kategorisiere sie, das ist mein Umgang. Ich schaue auf menschliches Handeln, aber mich interessieren die Typen der Handlungen oder der Ereignisse.“
Druck auf religiöse Ausdrucksformen
Besonders interessieren ihn das, was er „social hostilities“ nennt, soziale Auseinandersetzungen bis Feindschaften. Und ihn interessiert, was das mit Religion zu tun hat. Ob die Burkha in Frankreich oder das Kruzifix als Schmuck in Großbritannien oder in Deutschland an den Wänden von Klassenzimmern: Religiöse Ausdruckformen geraten immer weiter unter Druck. Dabei gerät auch der immer wieder behauptete Satz in seinen Blick: Das Christentum sei die am meisten verfolgte Glaubensgemeinschaft weltweit, eine Annahme, die er mit Blick auf die Zahlen relativieren muss.
„’Verfolgung’ ist schwer zu definieren: Der Zwang, ein Kruzifix abzunehmen, könnte als Verfolgung definiert werden, wenn jemand gezwungen wird, sein Kopftuch abzunehmen, kann er sich verfolgt fühlen, jemand, der für seinen Glauben getötet wird, wird sicherlich als ‚verfolgt’ gelten. Deswegen benutzen wir ein anderes Kriterium: ‚Harassment’, Drangsalierung oder Schikane.
Wenn wir das untersuchen, stellen wir fest, dass Christen weltweit in der größten Zahl von Ländern belästigt werden. Das ist aber eine allgemeine statistische Zahl, wir haben keine konkreten Angaben. Dass das für Christen zutrifft ist aber nicht überraschend, denn die Christen sind ja auch die größte Religion weltweit. Ähnlich sind die Muslime die von Staaten weltweit zweitmeist drangsalierte Gruppe, als zweitgrößte Religion. Danach aber kommen schon die Juden. Die drittgrößte Gruppe Länder drangsaliert sie, ein Drittel aller Länder weltweit, sie bilden aber nur 0.2 Prozent der Weltbevölkerung.“
Zahlen lesen
Die Zahlen sind also nicht ganz so einfach zu lesen, wie es den Anschein hat. Man muss sie lesen können, interpretieren. „Manchmal denkt man über Zahlen, dass sie die Realität reduzierten. Als Geisteswissenschaftler bin ich aber der Meinung, dass mir diese Zahlen helfen, die Welt etwas besser zu verstehen und vor allem um breitere Trends zu erkennen.“ Man habe zum Beispiel vor dem arabischen Frühling eine Zunahme von Restriktionen von Religionsfreiheit erkennen können. Das ermöglichte eine vorsichtige Voraussage, aber auch eine teilweise Erklärung der Heftigkeit der Aufstände, die dann folgten. „Die Daten können die Zukunft nicht voraussagen, aber sie helfen uns. Wo wir das alles zum Beispiel im Augenblick auch sehen, ist Pakistan. Auch hier wird Religion zunehmend bedrängt, sogar so sehr, dass das unser Messsystem sprengt. Hier zum Beispiel würde ich mit Blick auf meine Zahlen sagen, dass die Situation in Pakistan an einem kritischen Punkt angekommen ist.“
27 Prozent aller Länder weltweit haben Einschränkungen der Religionsfreiheit. Den eigenen Zahlen nach gibt es eine starke Verbindung zu sozialen Unruhen oder Unzufriedenheiten. Religionsfreiheit – das ist eine der Botschaften Brian Grims – ist also mehr als nur eine Frage der Religionen, die gesamte Gesellschaft sollte sich für dieses Menschenrecht interessieren und engagieren. Die Zahlen sagen uns das.
Wer sich für Brian Grims Forschungen interessiert: Er unterhält einen eigenen Blog – The Weekly Number