Wir sind alle gegen Zensur und überhartes Vorgehen gegen Menschen, die Ihre eigene Meinung ausdrücken. Deswegen finden die Musikerinnen von Pussy Riots auch in den Medien so viel Aufmerksamkeit. Es scheint, als würden sie nun für ihren Protest gegen den russischen Präsidenten in einer orthodoxen Kirche bestraft werden, auch wenn Putin selber Milde im Urteil empfielt.
Die Frauen stürmten mit entblößtem Busen Moskaus orthodoxe Kathedrale, drangen in den Altarraum ein, den dort nur Geistliche betreten dürfen, und brüllten: „Maria, Mutter Gottes – verjage Putin!“ Für den Spiegel dar das Grund genug, von den „Fehlern der unbarmherzigen Kirche“ zu sprechen. Am 17. August soll nun das Urteil fallen.
Wer das mit unseren Augen und Vorstellungen von Öffentlichkeit und Protest denkt, verkennt, wie tief der Vorfall das religiöse Empfinden orthodoxer Gläubiger verstört. Blasphemie wird dort ernst genommen, während wir gelernt haben, diesen Vorwurf weniger ernst zu nehmen, als er ist. Diskussionen in der jüngeren Vergangenheit über die Frage, was denn nun rechtlich zu ahnden sei, zeigen dies.
Meine Kollegin Gudrun Sailer hat mit dem Ostkirchenfachmann und Theologen Nikolaus Wyrwoll darüber gesprochen, wie diese Angelegenheit – die Kirche hatte lange gezögert, den ‚Protest’ von Pussy Riot „Blasphenie“ zu nennen – mit orthodoxen Augen betrachtet wird.
Mit der Verurteilung des Protestes spreche die Kirche ihren Gläubigen aus der Seele, sagt der deutsche katholische Priester Nikolaus Wyrwoll, Bischöflicher Beauftragter für die Kontakte mit den Kirchen des Ostens und für Ökumene. Er sieht ..
„.. diese große und zeichenhafte Ehrfurcht der Russen, vieler Russen, vor dem Heiligen. Es würde etwa keine Frau ohne Kopftuch in die Kirche gehen. Oder das Küssen der Ikonen, das Verneigen vor der Ikone, das Identifizieren, das Schweigen – niemand darf den Altarraum betreten außer den dafür geweihten Dienern, und jetzt laufen da Frauen halbnackt hinein und schreien – ich könnte mir vorstellen, dass für viele fromme, einfache Leute oder Intellektuelle, diese Erlöserkirche nicht mehr zum Gebet geeignet ist. Sie gehen da nicht mehr hin, wenn sie daran denken müssen, dass sie von solchen Ereignissen gestört worden ist.“
Da tritt eine Sensibilität für das Religiöse zutage, die uns im Westen vielfach abhanden gekommen ist, meint Wyrwoll. Diese Sensibilität rührt aus seiner Sicht daher, dass der Gläubige des Westens einen eher abstrakten Zugang zum Heiligen haben;
„dass wir im Westen stark von den Worten und Formulierungen ausgehen, während der Osten allgemein das stark Ganzmenschlich sieht. Wir singen: „Hier liegt vor deiner Majestät“, aber wir legen uns nicht hin dabei. Aber der östliche Mensch legt sich eben hin dabei, er verneigt sich, schlägt das Kreuz, betet mit dem ganzen Menschen. Darum sind auch solche Handlungen, von denen wir sagen, das ist äußerlich und das muss man interpretieren, für den orthdoxen Gläubigen gleich ein wichtiges Hindernis, weiter zu glauben. Die Trennung zwischen Form und Inhalt, die uns so langsam geläufig geworden ist in den letzten Jahrzehnten, gibt es im Osten nicht oder noch nicht.“
Die drei russischen Punk-Musikerinnen haben ihren Aussagen zufolge damals im Februar, kurz vor den Präsidentschaftwahlen, grundsätzlich gegen die Verflechtung zwischen Religion und Politik protestiert. Viele Beobachter im Westen gewannen den Eindruck, die Künstlerinnen trafen damit einen Nerv – und das sei der Grund, warum sie jetzt vor dem Moskauer Gericht mit derartiger Strenge behandelt werden. In Russland selbst glauben die Leute das weniger, sagt Wyrwoll, der sich mit vielen Bekannten über das Thema ausgetauscht hat. Vielmehr glauben die Leute,
„dass die Richter ein Exemplel statuieren wollen. Mit Putin hat das nichts zu tun, außer dasss die Frauen das Wort Putin gerufen haben. Aber das Gerichtsverfahren denkt sicher auch daran, dass in der ganzen ehemaligen Sowjetunion unendlich viele Angriffe auf die Kirche und das Heilige gibt, auch auf Moscheen, aber besonders viel eben auf Kirchen, und dass die Richter vielleicht die Hoffnung haben, andere Täter abzuschrecken. Jede Woche höre ich von meinen Freunden, dass von Brest bis Wladiwostock und von Murmansk bis Odessa Kirchen beschmiert und Kreuze abgebrochen werden, besonders auf den Friedhöfen, dass Ikonen gestohlen werden und die Polizei sich wenig bemüht, die Sachen aufzudecken.”
Überhaupt, die Verflechtung von Staat und Religion in Russland – der Ostkirchen-Fachmann sieht darin ein westliches Missverständnis. In allen östlichen Ländern sei Religion immer Teil des Staates und der Gesellschaft gewesen. Und lange Zeit war das auch bei uns so.
„In Russland haben selbstverständlich die Zaren die Bischöfe ernannt und die evangelischen Superintendenten. Wie auch bei uns im Westen bis zum ersten Weltkrieg der König von Bayern die Bischöfe ernannt hat und die Superintendenten. Wir haben das hier blitzschnell vergessen. Im Osten hat das noch angehalten bis in die 90er Jahre, also bis zur Perestroika, sodass man also seit den letzten 20 Jahren doch eine ständige Entflechtung hat und ein Selbständigwerden der Kirche vom Staat und von der Gesellschaft, wie wir das seit dem ersten Weltkrieg geübt und perfektioniert haben.“
Danke, endlich mal ein Beitrag, der die Sache klarstellt.
In den deutschen Medien war ja in den letzten Wochen nichts anderes zu lesen, als dass diese „Heldinnen“ gegen Putin demonstriert hätten und deshalb verhaftet wurden. Und dass die Kirche natürlich mit Herrn Putin gemeinsame Sache macht.
‚Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein, ihr aber habt es zu einer Räuberhöhle gemacht…“ Unabhängig von diesem Vorfall in Moskau muss doch gerade auch in den christlichen Kirchen festgestellt werden, dass jene Räume, die für die Anbetung Gottes gedacht sind, mehr der Kultur und der Kunst dienen, die jedem zugänglich sind und von jedem bis nahezu in die letzte Ecke dieses Hauses bestaunt werden können. Manchmal auch für nicht wenig Eintrittsgeld.Ebenso darf daran erinnert werden, wieviel Filme und TV-Aufnahme das Haus Gottes zweckentfremdet haben…
Die Ehrfurcht und die Achtung vor diesen heiligen Räumen lässt also bereits hier sehr zu wünschen übrig. Dieser Vorfall zeigt einfach nur einmal mehr wohin der Mensch sich immer mehr entwickelt.
Das (halb)nackte Auftreten der Damen in den Altarräumenu offenbart das eigentliche Problem, darin der Mensch vor sich selbst keine Ehrfurcht mehr hat: sich selbst nicht mehr als den Tempel Gottes und als SEIN HEILIGTUM sieht und erkennt und somit fürwahr sich zu einer Räuberhöhle macht, in welcher auch jene Geister sich beheimaten dürfen, welche dem Menschen das wieder geschenkte ewige Leben berauben….
Wir sollten weniger die Verletzung jener Altarräume beweinen, als vielmehr die sich immer weiter ausweitende Verwahrlosung des menschlichen Geistes: dem wahren und heiligen Tempel Gottes.