
Die Unklarheiten sind beseitigt: Hildegard von Bingen wird von der Kirche als Heilige verehrt. Unklar war es, weil es für sie nie einen Heiligsprechungsprozess gab, sie trotzdem als Heilige verehrt und auch im Heiligenkalender geführt wurde, jedenfalls in Deutschland und im Benediktinerorden.
Es folgt nun die Erhebung zur Kirchenlehrerin. Zur Erinnerung hier noch einmal zwei Ansprachen, die Papst Benedikt vor über einem Jahr bei den Sommer-Generalaudienzen gehalten hat. Es ging um die großen heiligen Frauen des Mittelalters, und zwei Katechesen waren Hildegard gewidmet:
1. September 2011:
Anläßlich des Marianischen Jahres 1988 hat der Ehrwürdige Diener Gottes Johannes Paul II. ein Apostolisches Schreiben mit dem Titel Mulieris dignitatem verfaßt. Er behandelt darin die wertvolle Rolle, die die Frauen im Leben der Kirche erfüllt haben und erfüllen. Dort heißt es: „Die Kirche sagt Dank für alle Äußerungen des ,weiblichen Geistes‘, die sich im Laufe der Geschichte bei allen Völkern und Nationen gezeigt haben; sie sagt Dank für alle Gnadengaben, mit denen der Heilige Geist die Frauen in der Geschichte des Gottesvolkes beschenkt, für alle Siege, die sie dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe von Frauen verdankt: Sie sagt Dank für alle Früchte fraulicher Heiligkeit“ (Nr. 31).
Auch in jenen Jahrhunderten der Geschichte, die wir gewöhnlich als Mittelalter bezeichnen, gibt es einige weibliche Gestalten, die sich durch die Heiligkeit ihres Lebens und den Reichtum ihrer Lehre besonders auszeichnen.
Heute möchte ich beginnen, euch eine von ihnen vorzustellen: die hl. Hildegard von Bingen, die im 12. Jahrhundert in Deutschland lebte. Sie wurde 1098 in Bermersheim bei Alzey in der Pfalz geboren und starb 1179 im hohen Alter von 81 Jahren, obwohl ihr Gesundheitszustand stets schwach war.
Hildegard kam aus einer vielköpfigen adligen Familie und wurde von Geburt an von ihren Eltern zum Dienst an Gott geweiht. Damit sie eine angemessene menschliche und christliche Bildung erhielt, wurde sie mit acht Jahren der Obhut der im Witwenstand lebenden Uda von Göllheim und dann der Lehrerin Jutta von Sponheim anvertraut, die sich in eine Klause beim Benediktinerkloster des hl. Disibod zurückgezogen hatte. Es entstand ein kleines Klausurkloster für Frauen, die der Regel des hl. Benedikt folgten.
Hildegard empfing den Schleier durch Bischof Otto von Bamberg, und als Mutter Jutta, die Priorin der Gemeinschaft geworden war, im Jahre 1136 starb, beriefen die Mitschwestern sie als ihre Nachfolgerin.
Bei der Erfüllung dieser Aufgabe brachte sie ihre Begabungen ein, als gebildete und geistlich hochstehende Frau, die auch in der Lage war, den organisatorischen Aspekten des Lebens in der Klausur mit Sachverstand gegenüberzutreten. Einige Jahre später gründete Hildegard, auch weil immer mehr junge Frauen an die Tore des Klosters klopften, eine weitere Gemeinschaft in Bingen, die nach dem hl. Rupert benannt wurde, wo sie den Rest ihres Lebens verbrachte.
Der Stil, mit dem sie den Dienst der Autorität ausübte, ist vorbildlich für jede Ordensgemeinschaft: Er weckte heiliges Nacheifern im Tun des Guten, so dass, wie aus zeitgenössischen Zeugnissen hervorgeht, Mutter und Töchter einander in gegenseitiger Achtung übertrafen und darin wetteiferten, einander zu dienen.
Bereits in den Jahren, in denen sie Oberin im Kloster des hl. Disibod war, hatte Hildegard begonnen, ihrem geistlichen Berater, dem Mönch Volmar, sowie ihrer Sekretärin, einer Mitschwester, der sie sehr zugetan war, Richardis von Stade, mystische Visionen zu diktieren, die sie seit einiger Zeit empfing. Wie es im Leben wahrer Mystiker immer der Fall ist, wollte auch Hildegard sich der Autorität weiser Personen unterwerfen, um den Ursprung ihrer Visionen zu erkennen, in der Furcht, dass sie Frucht von Täuschungen seien und nicht von Gott kämen.
Sie wandte sich daher an die Person, die seinerzeit in der Kirche höchste Wertschätzung besaß: An den hl. Bernhard von Clairvaux, über den ich bereits in einigen Katechesen gesprochen habe. Dieser beruhigte und ermutigte Hildegard.
Aber 1147 erhielt sie noch eine andere sehr wichtige Anerkennung. Papst Eugen III., der den Vorsitz auf einer Synode in Trier hatte, las einen von Hildegard diktierten Text, der ihm von Erzbischof Heinrich von Mainz vorgelegt wurde. Der Papst gestattete der Mystikerin, ihre Visionen niederzuschreiben und öffentlich zu sprechen.
Von diesem Augenblick an stieg das geistliche Ansehen Hildegards immer mehr, so dass ihre Zeitgenossen sie als „deutsche Prophetin“ bezeichneten. Dies, liebe Freunde, ist das Siegel einer echten Erfahrung des Heiligen Geistes, des Quells jeder Geistesgabe: Die Person, die übernatürliche Gaben empfängt, prahlt niemals damit. Sie stellt sie nicht zur Schau und zeigt vor allem vollkommenen Gehorsam gegenüber der kirchlichen Autorität. Jede vom Heiligen Geist geschenkte Gabe ist nämlich zur Erbauung der Kirche bestimmt, und die Kirche erkennt durch ihre Hirten ihre Echtheit an.
Am kommenden Mittwoch werde ich noch einmal über diese große Frau und „Prophetin“ sprechen, die mit großer Aktualität auch zu uns heute spricht, mit ihrer mutigen Fähigkeit, die Zeichen der Zeiten zu erkennen, mit ihrer Liebe zur Schöpfung, ihrer Medizin, ihrer Dichtung, ihrer Musik, die heute rekonstruiert wird, ihrer Liebe zu Christus und zu seiner Kirche, die auch damals gelitten hat, die auch damals durch die Sünden der Priester und der Laien verwundet war und als Leib Christi noch viel mehr geliebt wurde.
So spricht die hl. Hildegard zu uns; wir werden am kommenden Mittwoch noch einmal von ihr sprechen. Danke für eure Aufmerksamkeit.
Mit Freude grüße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache hier in Castel Gandolfo. In der heutigen Katechese habe ich eben über eine der großen deutschen Frauen, die heilige Hildegard von Bingen, gesprochen, die nicht nur eine große Mystikerin war, sondern auch Ratgeberin von Bischöfen und Fürsten, weil sie die Zeichen der Zeit zu deuten vermochte. Sie scheute sich nicht, die Bischöfe und die Fürsten zu einem ernsthaften Leben in der Nachfolge Christi zu ermahnen. Auch wir wollen uns immer neu prüfen, ob unser Leben vor Gottes Angesicht Bestand hat.
Vom 8. September 2010:
Heute möchte ich die Gedanken über die hl. Hildegard von Bingen wieder aufnehmen und fortsetzen: eine bedeutende Frauengestalt des Mittelalters, die sich durch geistliche Weisheit und Heiligkeit des Lebens auszeichnete. Hildegards mystische Visionen ähneln denen der Propheten des Alten Testaments.
Sie drückte sich in den kulturellen und religiösen Begriffen ihrer Zeit aus und interpretierte die Heilige Schrift im Licht Gottes, indem sie sie auf die verschiedenen Lebensumstände anwandte.
Alle, die ihr zuhörten, fühlten sich aufgefordert, einen konsequenten und engagierten christlichen Lebensstil zu praktizieren. In einem Brief an den hl. Bernhard bekennt die rheinische Mystikerin: „Mein ganzes Sein ist in die Schau einbezogen: Ich schaue nicht mit den leiblichen Augen, sondern sie erscheint mir im Geist der Mysterien… Ich kenne die tiefe Bedeutung dessen, was im Psalter, in den Evangelien und in anderen Büchern dargelegt ist, die mir in der Schau gezeigt werden. Sie brennt wie eine Flamme in meiner Brust und in meiner Seele und lehrt mich, den Text in seiner ganzen Tiefe zu verstehen“ (Epistolarium pars prima, I–XC: CCCM 91).
Hildegards mystische Visionen sind reich an theologischen Inhalten. Sie nehmen Bezug auf die wichtigsten Ereignisse der Heilsgeschichte und bedienen sich in erster Linie einer poetischen und symbolischen Sprache.
In ihrem bekanntesten Werk, das den Titel Scivias trägt – das heißt „Wisse die Wege“ –, fasst sie zum Beispiel in 35 Visionen die Ereignisse der Heilsgeschichte zusammen, von der Schöpfung der Welt bis zum Ende der Zeiten. Mit den für die weibliche Sensibilität charakteristischen Zügen entfaltet Hildegard im zentralen Abschnitt ihres Werkes das Thema der mystischen Vermählung zwischen Gott und der Menschheit, die in der Menschwerdung Wirklichkeit wurde. Am Baum des Kreuzes vollzieht sich die Vermählung des Sohnes Gottes mit der Kirche, seiner Braut, die voll der Gnade ist und befähigt wurde, Gott neue Kinder zu schenken, in der Liebe des Heiligen Geistes (vgl. Visio tertia: PL 197,453c).
Bereits aus diesen kurzen Hinweisen ist ersichtlich, dass auch die Theologie einen besonderen Beitrag von den Frauen erhalten kann, denn sie sind in der Lage, mit der ihnen eigenen Intelligenz und Sensibilität über Gott und die Glaubensgeheimnisse zu sprechen. Ich ermutige daher alle Frauen, die diesen Dienst ausüben, ihn mit zutiefst kirchlichem Bewusstsein durchzuführen, ihre Reflexion durch das Gebet zu nähren und den Blick auf den großen, teilweise noch unergründeten Reichtum der mystischen Überlieferung des Mittelalters zu richten, besonders auf den, der durch leuchtende Beispiele wie eben Hildegard von Bingen verkörpert wird.
Die rheinische Mystikerin hat noch weitere Schriften verfasst. Zwei von ihnen sind besonders wichtig, weil sie, wie Scivias, ihre mystischen Visionen wiedergeben: derLiber vitae meritorum (Buch der Lebensverdienste) und der Liber divinorum operum (Buch der göttlichen Werke), auch De operatione Deigenannt. Im ersten wird eine einzige gewaltige Vision Gottes beschrieben, der mit seiner Kraft und mit seinem Licht dem Kosmos Leben schenkt. Hildegard hebt die tiefe Beziehung zwischen dem Menschen und Gott hervor und erinnert uns daran, dass die ganze Schöpfung, deren Krone der Mensch ist, von der Dreifaltigkeit Leben empfängt.
Im Mittelpunkt der Schrift steht die Beziehung zwischen Tugenden und Lastern: Der Mensch muss sich tagtäglich mit der Herausforderung durch die Laster, die ihn vom Weg zu Gott abbringen, und mit den Tugenden, die diesen Weg fördern, auseinandersetzen. Er ist aufgefordert, sich vom Bösen abzuwenden, um Gott zu verherrlichen und nach einer tugendhaften Existenz in das „ganz mit Freude erfüllte“ Leben einzutreten.
Im zweiten Werk, das von vielen als ihr Meisterwerk betrachtet wird, beschreibt sie noch einmal die Schöpfung in ihrer Beziehung zu Gott und die Zentralität des Menschen, wobei eine starke Christozentrik biblischer und patristischer Prägung zutage tritt. Die Heilige legt fünf vom Prolog des Johannesevangeliums inspirierte Visionen dar und gibt die Worte wieder, die der Sohn an den Vater richtet: „Das ganze Werk, das du gewollt und mir anvertraut hast, habe ich zu einem guten Ende geführt, und so bin ich in dir und du in mir, und wir sind eins“ (Pars III, Visio X: PL 197,1025a).
In anderen Schriften schließlich offenbart Hildegard die vielseitigen Interessen und die kulturelle Lebendigkeit der Frauenklöster des Mittelalters, was im Gegensatz steht zu den Vorurteilen, die immer noch auf dieser Epoche lasten. Hildegard befasste sich mit Medizin und Naturwissenschaften ebenso wie mit Musik, da sie künstlerisch begabt war. Sie komponierte auch Hymnen, Antiphonen und Gesänge, die unter dem Titel Symphonia Harmoniae Caelestium Revelationum (Symphonie der Harmonie der himmlischen Offenbarungen) gesammelt sind. Sie wurden in ihren Klöstern mit Freude gesungen, wo sie eine Atmosphäre der Ruhe und des Frieden verströmten, und sind auch uns überliefert. Für Hildegard ist die ganze Schöpfung eine Symphonie des Heiligen Geistes, der in sich selbst Freude und Jubel ist.
Die Popularität, die Hildegard in ihrem Umfeld genoss, brachte viele Menschen dazu, sie um Rat zu fragen; daher sind viele ihrer Briefe überliefert. Gemeinschaften von Männer- und Frauenklöstern, Bischöfe und Äbte wandten sich an sie. Viele Antworten sind auch für uns weiterhin gültig.
An eine weibliche Ordensgemeinschaft schrieb Hildegard zum Beispiel: „Das geistliche Leben muss mit viel Hingabe gepflegt werden. Am Anfang ist es mühsam und bitter. Man muss manch Äußerlichkeiten und fleischlichen Gelüsten und anderen ähnlichen Dingen entsagen. Aber wenn man sich von der Heiligkeit faszinieren lässt, dann wird eine heilige Seele die Abkehr von der Welt als süß und erfüllend empfinden. Man muss nur klug darauf achten, dass die Seele nicht verwelkt« (vgl. E. Gronau, Hildegard, Prophetische Lehrerin der Kirche an der Schwelle und am Ende der Neuzeit, Stein am Rhein 1999).
Und als Kaiser Friedrich Barbarossa eine Kirchenspaltung hervorrief, indem er gegen den rechtmäßigen Papst Alexander III. gleich drei Gegenpäpste aufstellte, zögerte Hildegard nicht, ihn von ihren Visionen inspiriert daran zu erinnern, dass auch er, der Kaiser, dem Urteil Gottes unterworfen war.
Mit der Kühnheit, die jeden Propheten auszeichnet, schrieb sie dem Kaiser von Seiten Gottes folgende Worte: „Wehe, wehe der Niederträchtigkeit dieser Gottlosen, die mich beleidigen! Höre, geschwind, o König, wenn du leben willst! Sonst wird mein Schwert dich durchbohren!“ (vgl. ebd.).
Mit der geistlichen Autorität, die ihr zu eigen war, machte sich Hildegard in ihren letzten Lebensjahren auf, um trotz ihres vorgerückten Alters und der Mühsal, die das Reisen bedeutete, zu den Menschen von Gott zu sprechen. Alle hörten ihr gerne zu, auch wenn sie einen strengen Ton anschlug: Sie wurde als eine von Gott gesandte Botin betrachtet. Sie ermahnte vor allem die Klostergemeinschaften und den Klerus zu einer Lebensführung, die ihrer Berufung entsprach.
Insbesondere trat Hildegard der Bewegung der deutschen Katharer entgegen. Diese – Katharer heißt wörtlich die ,Reinen‘ – traten für eine radikale Reform der Kirche ein, vor allem, um Missbräuche durch den Klerus zu bekämpfen. Sie warf ihnen mit harten Worten vor, das Wesen der Kirche verändern zu wollen, und erinnerte sie daran, dass eine wahre Erneuerung der kirchlichen Gemeinschaft nicht so sehr durch die Veränderung von Strukturen erlangt wird, sondern vielmehr durch einen aufrichtigen Geist der Buße und einen tätigen Weg der Umkehr.
Dies ist eine Botschaft, die wir nie vergessen sollten. Wir wollen stets den Heiligen Geist bitten, dass er in der Kirche heilige und mutige Frauen wie die hl. Hildegard von Bingen erwecke, die in der Wertschätzung und mit dem Einsatz der von Gott empfangenen Gaben ihren eigenen wertvollen Beitrag leisten zum geistlichen Wachstum unserer Gemeinden und der Kirche in unserer Zeit.
(..) Für die heilige Hildegard gibt es Wachstum nur, wenn alles aufeinander bezogen, wechselseitig verbunden und in Gott vereint ist. Auch unsere menschliche Gemeinschaft soll wachsen, sie soll die Harmonie der Schöpfung zum Ausdruck bringen, in einem gegenseitigen Geben und Begleiten. Der Heilige Geist schenke uns die innere Bereitschaft, als Brüder und Schwestern diese Welt zu gestalten. Gott segne euch alle!
Was lange währt, wird endlich gut.Das Volk und nicht nur das katholische, hat lange ihren geistigen Wert erkannt.
Besser könnte man die Heilige Hildegard v. Bingen nicht beschreiben als das Papst Benedikt XVI tut. Eine wirklich große Mystikerin und Lehrerin ihrer Zeit bis heute. Alles aufeinander bezogen und wechselseitig verbunden.
Die Erhebung der heiligen Hildegard zur „Kirchenlehrerin“ mag man innerhalb und ausserhalb der röm.-katholischen Kirche begrüssen, a b e r solange der Mensch in der Gestalt/Person als Frau: der Mensch in dessen Weiblichkeit keine Gleichberechtigung erfährt, so lange sind solche Würdigungen für mich halbherzig – ja, sogar unglaubwürdig. Der eine und ganze Mensch ist eben Mann + Frau und „nur“ so Ebenbild Gottes. Ich selbst habe mit der Ernennung zum Kirc mehrhenlehrer/in-Sein meine Probleme, da der HERR eben sagt, dass wir alle „nur“ Schüler sind…““…unnütze Knechte…“ Jedenfalls wäre die Gemeinschaft der Glaubenden weitaus fruchtbarer wie auch furchtloser, wenn Rom den ganzen Menschen so sehen, erkennen, würdigen und fördern würde, wie GOTT den Menschen geschaffen hat.
So erkennt selbst ein Paulus, dass es i n Jesus Christus keinerlei Unterschiede mehr gibt: nicht einmal mehr Mann und Frau.“Wir alle sind EINER in Christus Jesus, unserem HERRN.“…