
Seine Fotos entstehen im Rechner. Wenn man sich die großformatigen Bilder von Andreas Gursky ansieht, dann fragt man sich unwillkürlich, ob es dazu überhaupt eine Entsprechung in der Wirklichkeit gibt und geben kann. Gibt es nicht, kann es nicht. Seine Fotos sind keine Abbildungen, sie wollen keine Authentizität im Sinne von Entsprechung. Wenn Gursky verschiedene Fotos im Computer zusammen komponiert entsteht ein Bild, das genau so wirklich ist wie eine „getreue“ Abbildung, aber etwas zeigt, was vielleicht nur hinter den Dingen zu sehen ist. In einer von ihm selbt kuratierten Ausstellung sind seine Werke jetzt in Düsseldorf zu sehen.
Die Bilder sind vor allem erst einmal eindrucksvoll. Man steht vor der Farbigkeit, der klaren und weiten Komposition und sieht erst einmal Ästhetik. Erst beim zweiten und dritten Blick fallen dann die Details auf, und hier werden Gurskys Bilder erst richtig interessant. Man braucht aber Zeit, sich der Monumentalität und der Farbigkeit zu entziehen, um diese Details zu entdecken. Erst scheinen sich die Bilder zu wehren, ihre Ästhetik als Schutz in den Vordergrund zu schieben. Die Fotos sind flächig, weit, riesig, farbig, glänzend. Sie hören am Rand auch nicht auf, sondern scheinen nur einen Ausschnitt von etwas den Rahmen überschreitendes festzuhalten. Man vermutet mehr. Sie überwältigen erst einmal durch ihre Strenge und die Farbigkeit.
Dann aber sieht man, dass hinter all der Ordnung Unterordnung steckt, Ausbeutung von Menschen, dass die Entfremdung des Menschen gezeigt wird, versteckt hinter dem Schönen, Faszinierenden, dem Konsum, der Ordnung, der Farbe. Es ist wie im richtigen Leben: Hinter der Oberfläche steckt etwas, was gesehen werden will, aber man muss genau hinsehen und sich Zeit nehmen, um es auch zu entdecken.
Die Sprache der Überwältigung
Zwei Bilder haben es mir besonders angetan. Zum einen sieht man – im ersten Teil der Ausstellung – die Anzeigetafel im Frankfurter Flughafen. Ein riesiges Bild, das fast vollständig von dieser Tafel eingenommen wird.

Gursky fotografiert aber wie gesagt nicht einfach, er komponiert seine Bilder am Rechner, aus mehreren Fotografien entsteht eine neue Realität. So ist diese Anzeigetafel übergroß, wie sie im „echten“ Frankfurt nicht existiert. Über 300 Flüge werden anzezeigt, der letzte geht 21.05 Uhr nach Klagenfurt. Darunter einige Menschen, die vom gigantischen abgebildeten Netzwerk fast weggedrückt und von den sie umgebenden Sicherheitsmaschinen fast verschlungen werden.
Es zeigt einen Schnittpunkt in diesem gigantischen Netzwerk der Reisen, eine Ortsansicht der ständigen Bewegung. Alles ist immer wieder neu mit allem verbunden, einen Überblick kann man gar nicht bekommen, sondern sich und seine Schritte nur nach den ebenfalls sich ständig ändernden Informationen richten, sich der Anzeigetafel unterwerfen. Um in dieses verschlingende Netzwerk eintreten zu können, muss ich der Tafel Gehorsam leisten.
Die Ordnung der Dinge
Ein zweites Bild möchte ich erwähnen: Ohne Titel IV von 1997. Gursky fotografiert ein Gemälde von Jackson Pollock, das in einem Museum hängt. Man sieht das Gemälde, man sieht die Wand, man sieht ein Stück Decke und ein Stück Fußboden. Decke und Boden sind dunkel und greifen die grau-braunen Farben auf dem Gemälde Pollocks auf. Zusammen mit der hellen Wand bilden sie so etwas wie eine Tricolore, drei fast schon brutale waagerechte Balken, die in abgrundtiefem Gegensatz stehen zum Chaos und zur Freiheit der wilden Linien auf dem Gemälde.
Die Aufhängung des Bildes zähmt es. Die museale Realität von Kunst nimmt ihr ihre Freiheit, scheint das Bild zu schreien. Obwohl Pollocks Bilder auch nicht gerade klein sind, wirkt es auf dem Foto wie gefangen, wie gefesselt, gezähmt eben. Ein Foto voller Dynamik und Widerspruch, das sich selbst gegen seinen Rahmen zu wehren scheint. Und natürlich, da das Foto ja selber auch aufgehängt ist, zeigt es auch ein gehöriges Etwas an Selbstironie.
Ölfilm auf Wasser: Das wars dann mit Romantik
Dazwischen hängen scheinbar ohne Worte neuere Arbeiten, vor allem seine Bangkok-Serie von 2011 (siehe oben, das erste Foto). Schwarze, abstrakte Bilder, die sich erst beim näheren Hinsehen als Öl und Dreck und Abfall entpuppen. Der Sehnsuchtsort Meer wird zum Medium der Reste unserer Zivilisation. Nix Romantik.
Hier dominieren nicht wie so häufig die Waagerechte, hier ist es die Senkrechte, die sich in Lichtreflexionen durch die Bilder zieht.
Dann ist da ‚Montparnasse’, eines der bekannteren Werke von 1993, es zeigt Mietwohnungen in einem Häuserblock, der wie ein Riegel die ganze Waagerechte des Fotos einnimmt. Wieder diese harte Waagerechte. Man sieht die Fenster kleiner Wohnungen und ahnt die Einrichtungen dahinter, individuell, menschlich, farblich unterschieden. Aber der Blick auf das Haus von außen demaskiert das, alles wird geordnet, dem rechten Winkel unterworfen, normiert. Fast automatisch möchte man zu Michel Foucaults Büchern greifen, es geht um Kontrolle, Ordnung, Unterwerfung und Gesellschaft.
Verschlingende Ordnung
Eine Fabrikhalle von oben, wimmelnde Menschen in gleichen orangen Overalls, eingeordnet in Reihen und durch die Oberlichter fast schon wie in optischen Schubladen verstaut. Es sind Menschen in Vietnam, die auf dem Betonboden der Galle sitzen und preiswerte Korbsessel für Europa flechten. Keine Individualität mehr, das Gewimmel entpuppt sich als Ordnung, Kontrolle, Unterwerfung unter den Produktionsprozess. Dass alle auch noch die gleiche Farbe tragen, sieht erst einmal ästhetisch aus, bleibt einem dann aber im Halse stecken.

Man sieht Massenlanglauf in einer fotografisch computergenerierten Eiswüste im Engadin, daneben Massenarbeit in einem wunderbar farbig leuchtenden Banken-Turm in Honkong, der aber auch überall sonst stehen könnte. Gurskys Bilder lösen das Indivuduum auf, es gibt keine Portraits, Menschen sind Exemplare von einer vermassten Gesellschaft, die wunderschön bunt aussieht, aber alle Individualität verliert. Programmatisch ist das Foto von den Körben, in denen Bergarbeiter ihre Privatsachen unterbringen und die dann an Ketten an die Decke hochgezogen werden (siehe Bild links). Bunt zusammen komponiert hängen auf dem Foto die Individualitäten der Menschen in kleinen Käfigen bunt nebeneinander: Ordnung, Einteilung, Regulierung, Nutzbarmachung.
Es ist der Widerspruch zwischen der glänzenden Ästhetik der Fotos und der gezeigten Entfremdung, die einen während des Besuches der Ausstellung nicht loslässt. Sie ist nicht platt und künstlich, man muss sich und sein Sehen schon ein wenig anstrengen, aber dann werden Gurskys Bilder – auch wenn sie im Computer entstehen – Bilder unserer Wirklichkeit.
Die Ausstellung ist noch bis zum 13. Januar im Kunstpalast in Düsseldorf zu sehen.
Lieber Herr P. Hagenkord, danke für die Präsentation. Wer Kunstwerke so gut beschreiben kann wie Sie es tun, ist selber ein Künstler 🙂