Renaissance-Malerei gibt es eigentlich in Italien genug. Sollte man denken. Deutschland ist für diese Zeit nicht gerade als eine kulturelle Hochburg bekannt, als Avantgarde, Dürer vielleicht einmal ausgenommen. Um so schöner ist es, in einer Ausstellung eine eher unbekannte Seite von Kunst neu zu entdecken.
Das Kunsthistorische Museum Wien widmet sich in „Fantastische Welten“ einem eher vergessenen Blick auf die Welt. Und es ist eine Welt voller Bäumen. Ganz überraschend.
Nehmen wir nur einmal das Bild Der Heilige Georg und der Drache von Albrecht Altdorfer. Das erste, was man sieht, ist dass man fast nichts sieht. Stellen wir uns dieselbe Szene als Fresko in einem italienischen Palazzo vor, dann haben wir einen blauen Himmel vor Augen, im Hintergrund eine Stadt auf dem Berg, davor ein Ritter auf dem Pferd und ein durchbohrter Lindwurm zu seinen Füßen. Strahlende Farben und eine klare Strukturierung des Bildes auf seine Aussage hin. Bei Altdorfer sieht man den Ritter kaum. Man muss genau hinsehen, um ihn in all den Zweigen zu entdecken, auch farblich hebt er sich nicht ab.
Dass die Natur so dermaßen im Vordergrund steht, dass kennen wir vielleicht von Caspar David Friedrich oder von anderen Malern des 19. Jahrhunderts. Für die Renaissance ist uns das eher fremd.
Erdig, wuchernd, voller Ausdruck
Ende des 15. Jahrhunderts war eine Schrift wiederentdeckt worden, die nicht ganz unschuldig ist an der Entwickung. Tacitus hatte die ‚Germania’ geschrieben, und darin war der Raum östlich des Rheins beschrieben worden. Die Menschen des ausgehenden Mittelalters konnten sich dort wiederfinden: Die Germanen seien sittliche Menschen mit einem sehr geordneten Sozial- und Familienleben. Aufrichtig seien sie, tapfer und so weiter. Lange Haare und Bärte, Krieg und Stammeswesen, all das bestimmt die Kultur. Aber Tacitus weist auch auf die Menge Alkohol hin, die getrunken wird, und auf andere Schwächen. Kurz: Wild aber auf ganz eigene Weise zivilisiert.
Die Nachfahren der Germanen hatten also auf einmal im beginnenden 16. Jahrhundert eine eigene Geschichte, nicht nur eine Ableitung der römischen Geschichte, die sich in Italien und Frankreich kulturell fortsetzte. Und diese – und damit kommen wir zurück zu den Bäumen auf Altdorfers Bild – hat mit Wald zu tun.
Die Natur ist wie auf vielen der in Wien ausgestellten Bilder zu sehen ist ein Sehnsuchtsort. Man sieht es bei Altdorfer, bei Dürer, aber auch bei Lukas Cranach d.Ä. und anderen, die dort in Bildern, Holzarbeiten oder anderem ausgestellt sind. Wenn man die Werke betrachtet, fallen unwillkürlich Worte wie „Gewühl“ ein oder „Leiber“, „grotesk“ und „wuchern“ etc. Die Werke sind expressiv und sehr dramatisch inszeniert, und so sucht man automatisch Worte, die dem entsprechen.
Und immer gibt es Wald: So setzt Altdorfer zum Beispiel eine Kreuzigungsszene in einen Wald, eine große Holzschnitzerei des Sündenfalls dreht sich fast vollständig um den im Zentrum stehenden Baum. Einige Stiche wie auch das Gemälde von Altdorfer oben sind so voller Baum, dass man die Menschen kaum sieht. Und man kann fast physisch die Kräfte wahrnehmen, die an den Menschen zerren: Wind und Erde, alles ist kraftvoll und widerständig. Alles ist irgendwie in Bewegung.
Kreuzigung im Wald
Natur ist hier nicht Ornament. Natur ist hier auf eine Weise Teil der Welt, die sich so etwa in italienischen Fresken nicht findet.
Interessant wird es, wenn man dann biblische oder historische Geschichten sieht. Da ist der Jerusalemer Tempel selbstverständlich eine gotische Kathedrale, der Palast des Pilatus auch, Römer treten als Ritter auf mit Harnisch und allem drum und dran, die Kunst wird mit der Gegenwart angefüllt. Das ist auch frömmigkeitsgeschichtlich interessant, weil mit der Devotio Moderna und dann ganz ausdrücklich bei Ignatius von Loyola und anderen man biblische Geschichten sozusagen als Teilnehmer oder teilnehmender Beobachter meditieren soll. Und ganz automatisch macht man das natürlich mit dem, was man kennt. Historismus ist den Menschen damals völlig fremd, man hätte unseren Einwand heute nicht verstanden, dass es doch damals in Jerusalem gar nicht so aussah.
Es ist Renaissance, aber sie ist erdiger als das, was mich hier in Italien umgibt. In jedem Fall aber eine Renaissance, die sich anzuschauen lohnt. Die Welt ist fantastisch, und manchmal braucht es eine Ausstellung, um diese Entdeckung wieder machen zu können.
Echt eine Überraschung, diese einladende Besprechung der Ausstellung im Wiener Kunshistorischen Museum! Ich war bereits einige Male dort, da kann man Freunden, die nicht mehr ganz bibelfest sind, anhand der Kunst so ungeniert von der Kindheit Jesu, seiner Passion und von der Auferstehung erzählen! Einmal ganz abgesehen von der herrlichen Belebung der Natur! Ich vergesse allerdings auch nicht zu erwähnen, dass Altdorfer als honoriger Ratsherr von Regensburg 1519 ein übler Rädelsführer der Vertreibung der Juden aus der Stadt Regensburg gewesen ist. Kurz vor Abriss der alten gotischen Synagoge stellte er noch rasch eine Radierung der Synagoge her, die er dann als Souvenir verkaufte. Da tut es gut zu lesen, dass der Regensburger katholische Bischof Rudolf Voderholzer vor wenigen Wochen der jüdischen Gemeinde Hilfe beim Bau einer neuen Synagoge angeboten hat.
Danke für den Blog – speziell und überhaupt!