Geburtskirche, Gethsemani, Coenacolo und natürlich die Grabes- und Auferstehungskirche: Jerusalem ist reich an Orten der Geschichte des Lebens Jesu Christi. Die Tage nach der Papstreise bin ich noch dort geblieben, vor allem habe ich mit vielen Leuten gesprochen, aber natürlich auch die Gelegenheit genutzt, diese Orte zu besuchen (und war einige Tage offline, auch ein zusätzlicher Bonus).
Am Vorabend des Festes Himmelfahrt war ich zum Beispiel auf dem Ölberg, dort wo wir genau diese Himmelfahrt verehren. Die Feier der ersten Vesper an dem Ort, wo es damals geschah, das hat eine geistliche Bedeutung. Bis zum nächsten Tag, denn da war ich zur Messfeier bei den Benediktinern in der Dormitio Abtei und hörte im Evangelium, dass Jesus den Jüngern zur Himmelfahrt voraus gegangen war, nach Galiläa. Nicht auf den Ölberg (Mt 28: 16).
An sich keine unbekannte Tatsache, aber dass an dem Tag noch mal zu hören war schon etwas komisch und machte auch im ersten Augenblick eine kleine Delle in meine weihevolle Stimmung.
Wo war die Himmelfahrt?
Mein Besuch auf dem Ölberg hatte noch einen zweiten Grund: Nicht nur die Auffahrt in den Himmel, sondern auch der Besuch meines Ordensgründers an ebendieser Stelle. Ignatius musste lange bevor er auf die Idee kam, mit anderen zusammen einen Orden zu gründen, das Heilige Land verlassen, weil er vielleicht in geistlicher Hybris alle bekehren wollte und das Gleichgewicht der Religionen dort in Unordnung zu bringen drohte. Damals wie heute: Stabilität geht vor. Die Franziskaner, welche die Verantwortung trugen, warfen ihn hinaus. Er wollte noch einmal den Stein sehen, von dem der Herr in den Himmel aufstieg, wie es in den Lebenserinnerungen heißt. Und er wollte danach noch einmal hin, weil er sich nicht gemerkt hatte, wie die Füße Jesu gestanden hatten.
Auch der junge Baske Ignatius kannte seine Bibel und das Matthäusevangelium, wo von Galiläa die Rede ist. Trotzdem geht er auf den Ölberg um zu sehen, welche Abdrücke die Füße Jesu bei der Himmelfahrt gemacht haben. Das spricht dafür, wie Ernst es Ignatius mit der Realität des Lebens Jesu nahm. Wenn es historisch ist – und sonst macht es keinen Sinn – dann muss es auch Spuren hinterlassen haben und Orte haben.
Nach seiner Priesterweihe viele Jahre später hat er dann seine erste Messe auch verschoben und in Rom gefeiert, in Santa Maria Maggiore. Wenn er schon nicht im Heiligen Land bleiben konnte, dann wenigstens die erste Messe an dem Ort feiern, wo die Krippe Jesu verehrt wird. Ein wenig Heiliges Land in Rom.
Mit diesem Widerspruch, der sich in Ignatius zeigt, leben wir bis heute, wenn wir die Orte Ernst nehmen.
Heilige Orte
Aber ich schweife ab. Es ist wichtig, dass unsere Berichte keine Phantasien sind. Aber meistens wissen wir nicht genau, wo das alles stattgefunden hat bzw. es gibt sich widersprechende Berichte. Oder der Ort ist nicht mehr da: Zum Beispiel die Via Dolorosa, der Weg, den Jesus mit dem Kreuz gegangen ist. Tausende Menschen gehen den jedes Jahr nach, aber das Straßenniveau der Stadt war vor 2.000 Jahren 30 Meter tiefer. Es ist also nicht derselbe Weg. Kann es gar nicht sein.
Was machen wir also, wenn wir zu diesen Orten gehen? Ein Mönch der Dormitio, mit dem ich darüber gesprochen habe, meinte zu mir, dass es nicht um den Ort an sich geht, sondern mindestens ebenso wichtig um die Traditionsgemeinschaft, in die ich mich in der Verehrung einreihe. Auch wenn die Tradition jung ist wie die des Salbsteins in der Anastasis, der Grabes- und Auferstehungskirche, dann bin ich mit meiner Verehrung Teil der Weitergabe des Glaubens. Ich verankere meinen Glauben nicht in einer falsch verstandenen Faktizität, sondern in der Tradition.
Ich höre schon den Protest, aber ich finde das einen wichtigen Punkt. Es ist für mich nicht wichtig, wie die Füße Jesu bei der Himmelfahrt standen. Da bin ich anders gestrickt als mein Ordensgründer. Viel wichtiger ist, dass wir an den großen Orten nicht die Orte selber feiern (oder noch schlimmer: dass wir feiern, dass wir selber da sind). Das unterscheidet Kirchen von Tempeln. In Tempeln werden Orte gefeiert, Anwesenheit von Göttern und so. In Kirchen nicht. An uns heiligen Orten feiern wir den, der sich nicht in Stein fassen lässt und in Tempeln einschließen lässt.
Das klingt selbstverständlich, wenn man aber den Fremdenführern oder pilgernden Menschen vor Ort zuhört, dann ist das schon was anderes. Da wird im Indikativ gesprochen, als ob man hieb- und stichfeste Beweise hätte.
Traditionsgemeinschaft, nicht angebetete Orte
Es ist hilfreich, sich das auch beim Gang durch Jerusalem immer wieder zu sagen, jedenfalls war es mir in den vergangenen Tagen wichtig.
Traditionen verändern sich. Orte verändern sich. Die Päpste Paul VI. und Franziskus haben zum Beispiel in Gethsemani einen Ölbaum gepflanzt. Damit ist der Garten verändert. Aber sie stehen in der Traditionsgemeinschaft, die an diesem Ort des Leidens Jesu vor seinem Tod gedenkt.
Und mich hat gefreut, dass ich das auf meine Weise in den vergangenen Tagen auch habe tun können.
Diese Ausführungen sind schon fast protestantisch! Vielen Dank. So kommen wir auch im Spirituellen der Ökumene etwas näher.
Danke für die Bilder!
Lieber Pater Hagenkord,
ich kann Ihre Aussagen voll und ganz unterstreichen. Vor allem Ihre Aussage: „Viel wichtiger ist, dass wir an den großen Orten nicht die Orte selber feiern (oder noch schlimmer: dass wir feiern, dass wir selber da sind). Das unterscheidet Kirchen von Tempeln. In Tempeln werden Orte gefeiert, Anwesenheit von Göttern und so. In Kirchen nicht. An unseren heiligen Orten feiern wir den, der sich nicht in Stein fassen lässt und in Tempeln einschließen lässt“.
Mein Mann und ich sind 2012 in Trier bei der Heilig-Rock-Wallfahrt gewesen und haben das ebenso empfunden. Es war uns nicht wichtig, ob dieser Rock jetzt wirklich das Gewand Jesu war oder nicht. Das Drumherum, die Traditionsgemeinschaft waren einmalig! Man spürte förmlich den Glauben der dort versammelten Menschen, den Geist Christi unter all den Leuten. Mein Mann, der Protestant ist (damals nicht in der Kirche, kein Kirchensteuerzahler), war schwer beeindruckt von dieser Atmosphäre. Wer weiß, vielleicht hat dort der Heilige Geist bei ihm bewirkt, dass er wieder in die Kirche eingetreten ist ;O). Nächstes Jahr wollen wir nach Turin und zum Turiner Grabtuch pilgern. Uns ist nicht wichtig, ob das Tuch echt ist oder nicht. Wir wollen durch diese Pilgerfahrt unseren Glauben stärken. Mal sehen, was da mit uns geschieht….