Ignatius war sauer. Er war unterwegs, hatte jemanden getroffen und sie waren nebeneinander her geritten. Es war zum Streit gekommen, es ging um Theologie, was sonst. Der Fremde war abgebogen und nun stand Ignatius – während seines langen Prozesses der Bekehrung – vor der Frage, was tun. Hinterher und Rechenschaft fordern mit Säbel und Schwert oder weiter auf dem eigenen Weg? Eine Entscheidung musste her. Weil er sauer war, machte er wohl unterbewusst etwas Kluges: er ließ seinen Esel entscheiden. Und der trottete weiter und ignorierte den Streit.
An diesem 31. feiert die Kirche Ignatius als Heiligen, und wir Jesuiten feiern unseren Gründer. Es war noch ein langer Weg für Ignatius, von der Wegkreuzung durch seine Bekehrungen hin zur Gründung. Aber er erzählte diese Episode später selber und so fand sie Eingang in die Aufzeichnungen, die als der „Bericht des Pilgers“ bekannt wurden. Dieser Weg hat viele Irrwege, und Ignatius verschweigt sie nicht.
Eine Entscheidung musste her
Die Episode mit dem Esel ist so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was Ignatius später als „Unterscheidung“ als Rückgrat seiner Exerzitien aufnehmen sollte. An dieser Stelle habe ich ja schon einige Male die Tastatur zum Thema ergriffen, neulich ist mir aber ein interessantes Zitat zum Thema untergekommen, das ich zum heutigen Heiligen-Tag hier anbringen will. Es stammt von Theodor W. Adorno:
„Mündig ist der, der für sich selbst spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und nicht bloß nachredet; der nicht bevormundet wird. Das erweist sich aber in der Kraft zum Widerstand gegen vorgegebene Meinungen und, in eins damit, auch gegen nun einmal vorhandene Institutionen, gegen alles bloß Gesetzte, das mit seinem Dasein sich rechtfertigt. Solcher Widerstand, als Vermögen der Unterscheidung des Erkannten und des bloß konventionell oder unter Autoritätszwang Hingenommenen, ist eins mit Kritik, deren Begriff ja vom griechischen krino, Unterscheiden, herrührt.“ (Theodor W. Adorno, Kritik).
Unterscheidung und Kritik gehören zusammen. Natürlich nur, wenn wir Kritik nicht nur als Kritisieren verstehen, also als negative Sichtweise auf etwas.
Kritik und Unterscheidung
Spätestens seit den Kritiken Immanuel Kants ist das Wort fester Bestandteil der philosophischen Debatte. Und über den griechischen Ursprung des Wortes – belehrt uns Adorno – auch Unterscheidung.
Wir können einige Dinge lernen: erstens müssen wir wieder einmal betonen, dass Unterscheiden keine rein intellektuelle Aktion ist. Die Philosophie ist es, im geistlichen Leben kann es aber nicht sein. Deshalb ist auch der Titel des Stückes ironisch gemeint.
Zweitens steckt da aber auch eine positive Lehre für uns drin: sich gegen vorgegebene Meinungen wehren. Meinungen, die ja auch in uns selber drinstecken können. Aber auch das sich abgeben mit dem, was ist. Was ist, ist gut eben weil es ist, das verhindert Kritik und dann auch die Unterscheidung.
Sich wehren gegen die Meinungen
Wahrheit oder Falschheit ist nicht Gegenstand einer Unterscheidung, unterschieden werden nur Situationen. Unterscheidung, so der Papst, „gründet auf der Überzeugung, dass Gott in der Geschichte der Welt, in den Ereignissen des Lebens, in den Personen, denen ich begegne und die mit mir sprechen, am Werk ist.” Die Welt ist Gottes so voll, es ist an uns, aufmerksam zu sein. „Deshalb sind wir gerufen, auf das zu hören, was der Geist uns in oftmals unvorhersehbaren Arten und Richtungen eingibt.”
Damit entfernen wir uns ziemlich von Adorno, aber sein Gedanke zur Kritik schwingt weiter mit. Es braucht Mündigkeit, selber beten und nicht nur nach-beten, wenn Unterscheidung als Gebet gedacht wird, was es meiner Meinung nach ist. Und es hilft beim Verstehen. In Vorbereitung auf die Jugendsynode, die das Wort „Unterscheidung“ ja im Titel hatte, gab es Anmerkungen dazu, und das nicht nur aus der deutschen Sprache. Die fanden Eingang ins Vorbereitungsdokument, wo die Übersetzer ihrerseits dann eine deutschsprachige Ergänzung einfügten.
Unverständnis
Instrumenten Laboris zur Jugendsynode im vergangenen Jahr 107. „Die Jugendlichen der Vorsynode weisen auch auf die Schwierigkeiten hin, die sie beim Verständnis des Wortes „Unterscheidung“ (Anm. d. Ü.: da es keine eindeutige Entsprechung des italienischen Terminus discernimento ins Deutsche gibt, wurde er in diesem Text je nach Kontext wiedergegeben durch „Unterscheidung“, aber auch „Erkenntnis“ [der Berufung] und „Urteils-/Unterscheidungsvermögen“) haben, das nicht zu ihrer Sprache gehört, auch wenn das Bedürfnis, das es bezeichnet, durchaus wahrgenommen wird: „Die eigene Berufung zu erkennen, kann eine Herausforderung sein, besonders durch die Missverständnisse, die dieses Wort umgeben.“ (VS 9)“.
Vielleicht hilft uns ja das Wort ‚Kritik‘, der ‚Unterscheidung‘ näher zu kommen, bei aller Begrenzung. Nicht bevormundet werden, das gehört jedenfalls eindeutig dazu.
…Die Welt ist Gottes so voll, es ist an uns, aufmerksam zu sein. „Deshalb sind wir gerufen, auf das zu hören, was der Geist uns in oftmals unvorhersehbaren Arten und Richtungen eingibt…”
Kritik ohne Bevormundung das und das von mir eingefügte Zitat gefällt mir. Beides in Einklang wäre eine gute Basis für eine Ausgangsposition sinnvoller Gespräche und Diskurse.
Schöner Artikel.
Danke sehr.
Bitte schön
ja, sehr schöner Artikel und Kommentar. Ich verstehe nun auch mehr, was Immanuel Kant unter „Kritik und praktische Vernunft“ meinen kann…
Die Kirche ist dezentral, immer gewesen, und hat mehrere Orden etc. Es gibt viel Platz. Die Leitung sollte beim Zusammenhalten der Herde Fingerspitzengefühl zeigen. Das tut sie zumeist.
Ich gestehe: ich bin in der oben angesprochenen Thematik nicht in für mich wünschenswerter Weise bewandert. Insofern kann mein Kommentar an dem bisher gesagten vorbei gehen. Dennoch einige Anmerkungen:
(1) Vernunft und Unterscheidungskraft sind m.E. nicht nicht so sehr individuell, sondern doch in hohem Maße sozial und kollektiv. Gemeinsames Wissen und gemeinsame Weltsicht hält die Gemeinschaft zusammen, gemeinsame Codes sind für ein System konstitutiv. Gerade in Fragen der Moralität führt Abweichen zur Exklusion.
(2) Das Individuum gewinnt seine soziale Zugehörigkeit durch Anerkennung bzw. durch Internalisierung des Gemeinsamen.
(3) im positiven Sinne ist Mündigkeit Ergebnis des demokratischen Diskurses bzw. des gemeinsamen Gebetes der Ekklesia.
(4) Unterscheidung der Geister zielte dann vor allem auf die Offenlegung von Machtgefällen innerhalb dieser Diskurse.
Unterscheidung: darin versuche ich mich zu üben – soweit ich es eben verstanden habe – seitdem ich das erste Mal Papst Franziskus davon sprechen hörte. Es ist tiefgreifender als etwas zu hinterfragen, soviel hatte ich verstanden.
Ihren Artikel finde ich in dieser Hinsicht sehr ‚erleuchtend‘, der Begriff Unterscheidung ist wunderschön veranschaulicht. Am meisten hat es mir die Stelle angetan, die auch KRP als Zitat eingefügt hat.
Ich wünsche Ihnen, Pater Hagenkord, Gottes Segen für Ihre neue Aufgabe!
Danke Pater Hagenkort für diesen schon fast philosophischen Diskussions- Anstoß für Nichtphilosophen und den guten Erklärungen!
Ja, es scheint dringend notwendig unter uns Christen: es braucht Mündigkeit, Haltung und Authentizität im öffentlichen Raum. Und dem Vertrauen auf Gottes Mitwirken.
Aber nicht im Kontext von unbeteiligt sein, Gleichgültigkeit und Unzufriedenheit. Denn ein Heer Unzufriedener/ Unwissender/ Desorientierter/ Empörer könnte den Niedergang einer Kultur vorbereiten. Auch im christlichen Kontext.
Zu ihrer Überlegung Paul H. möchte ich ergänzen: Wir kennen heute im Positiven den Begriff „Schwarmintelligenz“. Aber hierbei kommt noch etwas anderes hinzu:
Vernunft hat keinen Einfluss auf Massen, aber unbewusste Gefühle scheinen sehr großen Einfluss zu haben. Masse kann im schlimmsten Fall weder Zweifel noch Ungewissheit kennen. Es scheint, dass trotz Vernunft die Gefühle wie „Ehre, Entsagung, religiöser Glaube, Ruhmes – und Vaterlandsliebe“ die großen Triebfedern der Kulturen seien. (Le Bon, 1911 – kirchenkritisch).
Papst Benedikt schreibt differenzierte Gedanken über die Vernunft, indem er von der „Vollständigen Vernunft“, der „verengten säkularen Vernunft“ und der Weite der Vernunft bzgl. dem Dialog der Kulturen schreibt. (Regensburger Vorlesung 2006). Leider wurden im Kontext dieser Vorlesung auch sehr viele weltweit kritische Stimmen laut, sogar als „Hasspredigt“ verurteilt.
Kritik der betenden Urteilskraft – eine fromm herbeigesehnte Entscheidung? Vergessen wir nicht das tragische Beispiel als ein zufälliges Bibelwort aus einer Tageslosung zu einer klaren Zusage Gottes herhalten musste, anstatt der Vernunft nach Frieden zu folgen … und es in einer Tragik endete.
Vernunft, Bedürfnisse und Gefühle – Unterscheiden ist notwendig
Vielleicht wie in der Geschichte von Ignatius: Es fällt schwer, Gefühle von Kritik, Abwertung, Missverständnis und Kränkung zu akzeptieren. Der Zugang zur Vernunft ist blockiert. In all der Sprachlosigkeit und all dem was weh tut: Gefühle sind da, auch Bedürfnisse. Sie zu erkennen, wäre manchmal auch der Weg in eine vernünftige Lösung/ Weg in einen Konsens.
In der gewaltfreien Kommunikation würde man erst aus dem erkannten Bedürfnis (Sicherheit, Verständnis, Kontakt oder Sinn) eine konkrete Bitte an das Gegenüber äußern. Als gute Möglichkeit, um zu einem vernünftigen Konsens zu kommen.
Ignatius hat vielleicht seinen unerfüllten Wunsch erkannt – und konnte dies dann vielleicht auch so stehen lassen. Großartig.
Allen Jesuiten zum Namenstag ihres Gründers alles Gute und Gottes Segen!
Danke Ihnen Pater Hagenkort für all Ihr jesuitisches Engagement für die Kirche von heute –
Ihren Anstoß zum offenen, breitgefächerten Diskurs von dem besonderen Ort, wo die Kirche ganz klein begonnen hatte – und sehr viel Kritik über die Jahrhunderte aushalten musste. Danke für all Ihre Offenheit , die angestoßenen Diskurse, Bekenntnisse und Ermutigungen.
Schade dass Sie sich nun auf Neues konzentrieren. So habe ich nach einem Franz von Sales- Vers geschaut, bin jedoch auf einen guten Papst Benedikt – Gedanken gestoßen:
„Christus nimmt nichts weg von dem, was ihr an Schönem und Großem in Euch habt, sondern zur Ehre Gottes, zum Glück der Menschen und zum Heil der Welt führt er alles zur Vollendung.“
Danke, das haben Sie sehr schön formuliert und ich würde mich dem gerne anschließen.