Wir sprechen heute vermehrt von „religiöser Indifferenz“. Menschen sei Religion egal. Nun ist Indifferenz ja Teil der christlichen Tradition, und das auch noch in einem guten Sinn. Trotzdem ist der Begriff der religiösen Indifferenz nicht positiv gemeint: Pater Dominik Terstriep: Was ist der Unterschied zwischen Indifferenz und „Das-ist-mir-egal“?
„Das-ist-mir-egal” kann man von zwei Seiten her betrachten. Es gibt eine aktive Gleichgültigkeit. Die kann positiv ein Schutz sein. Jemand muss sich vor etwas schützen, das ihm bedrohlich erscheint, um weiter leben zu können. Er weiß sehr wohl, dass es die Gefahren um ihn herum gibt, sieht aber an ihnen vorbei, um – im Extremfall – überleben zu können oder weniger dramatisch, um weiter das tun zu können, was er gerade jetzt tun muss. Man kann z.B. an einen Studenten denken, der sich auf ein Examen vorbereitet und weiß, dass die Stoffmenge so groß ist, dass er das Ganze nicht wird beherrschen können. Dennoch versucht er sich so gut wie möglich vorzubereiten. Während der Vorbereitung auf die Prüfung ist ihm egal, was dann drankommen wird. Er tut sein Bestes, um arbeitsfähig zu bleiben und nicht durchzudrehen.
Oder eine Pflegerin im Hospiz, die jeden Tag mit dem Sterben konfrontiert wird. Sie kann nicht mit jedem Patienten mitsterben. Sie wird kaum sagen, der Sterbende sei ihr egal, aber sie schützt sich, indem sie den Tod, der auch sie einmal treffen wird, nicht zu nah an sich heran lässt. Oder denken wir an eine Frage oder einen Konflikt. Beide können jetzt nicht gelöst werden, man kommt da einfach nicht weiter. Sie werden auf die Seite gestellt, um dann hoffentlich später einmal wieder aufgegriffen zu werden.
Ins Negative schlägt diese Haltung um, wenn „Das-ist-mir-egal“ zu einem undurchdringlichen Panzer wird. Dann also, wenn nichts mehr mein Herz berührt. Das würde ich eine kalte und passive Gleichgültigkeit nennen. Man wird unempfindlich für alles um einen herum und dann irgendwann in diesem Panzer vereinsamen, vereinseitigen oder womöglich ersticken. Da gibt es nur noch das Ich und dessen Bedrohung die einen im Würgegriff hat.
Indifferent
Indifferenz ist eine aktive Haltung. Man könnte an einen Torwart denken. Er steht in einer gespannten Aufmerksamkeit in der Mitte des Tores. Er beobachtet ganz genau den Spielverlauf und den zum Schuss ansetzenden Spieler. Um die ideale Beobachterposition einzunehmen und für verschiedene Richtungen der Ballbewegung offen zu sein, wird er sich nicht dauerhaft in eine der Ecken stellen. Da wäre sein Handlungsspielraum extrem eingeschränkt wäre. Er wählt eine Position, die es ihm erlaubt, auf möglichst viele Situationen flexibel zu reagieren. Erfasst er, wohin der Ball sich bewegt, verlässt er die Mitte und wirft sich entschieden in eine Richtung, um ihn zu halten.
Bliebe er bewegungslos in der Mitte stehen, hätte er seine Aufgabe verkannt; jeder Ball, der nicht gerade auf seine Person geschossen würde, träfe das Tor. Um des höheren Zieles willen – Gegentore zu vermeiden und so den Sieg der eigenen Mannschaft zu erringen – verlässt er seine Mittelstellung zugunsten einer klaren Option. Der Sprung ist riskant, da er sich getäuscht haben könnte. Doch einfach stehen zu bleiben, wäre das die überzeugendere Alternative?
Der Torwart gebraucht seine Freiheit zu etwas, alles andere hätte zwar mit potentiellen Alternativen zu tun, die in einer in sich verharrenden, passiv-ruhigen Mitte aber nie zum Zuge kämen.
Ähnlich könnte man die Indifferenz verstehen, die einem helfen soll, Entscheidungen zu treffen: Das Stehen in der Mitte als möglichst große Offenheit für verschiedene Optionen, das Beobachten als Weg zu den nötigen Informationen, die eigene Erfahrung, Intuition und die Evidenz des Augenblicks als letztes Element, das zur Klarheit einer Entscheidung führt, der damit verbundene Verzicht auf einige Dinge, um andere wählen zu können.
In dieser Entscheidung, die sich auf ein höheres Ziel richtet, kommen die Fähigkeiten, die im Menschen liegen, das, was er von Grund auf ist, zur vollen Entfaltung. Indem er in einer Entscheidung von seiner Freiheit Gebrauch macht und sie in die größere Zielperspektive einordnet, gelangt er dorthin, wo er von Gott her sein soll. Wie der Torwart zwar auch an sich, aber nicht nur an sich, sondern an die gesamte Mannschaft denkt und für sie handelt, so ist die Indifferenz ein Sprung aus einem selbstverhafteten Ich in ein „Magis“, ein Mehr, das sich vom Maßstab egoistischer Interessen gelöst hat. Indifferenz christlich verstanden ist Leidenschaft zum Ziel: zu Gott hin, zu seinem Heil in der Welt.
Pater Dominik Terstriep lebt in Stockholm und arbeitet dort in der Studentenseelsorge. Er hat ein Buch zum Thema „religiöse Indifferenz“ verfasst.
Religiöse Indifferenz erlebe ich persönlich nirgendwo. Aber Abstand von Kirchen.Was ich nicht als Egoismus bezeichne.Auch die Kalten haben ihre Gründe. Ich selber bin kirchentreu, sage ich mal vorbeugend.Gott sucht den Menschen, wohl weniger Konfessionen.Konfessionen können eine Hilfe sein für Menschen auf dem Weg zu Gott.Unsere Kinder denken da meist anders.
Ich würde nicht mal sagen, dass sie ihnen egal ist, sondern – im Sinne des Beitrages – negative Indifferenz. Man stellt sich ins Tor, guckt zu, fühlt sich irgendwie überlegen – den Religiösen – und wenn der Ball kommt springt man flucks in die andere Richtung, damit er einen nicht trifft.
MC, Sie bringen mich zum Lachen.Und das ist gut.So ist es oft.Das Überlegenheitsgefühl besonders uns Katholiken gegenüber…. Einen schönen Sonntag wünsche ich. 😉
Ein neugierig machender Beitrag!
Bei Amazon lese ich zu dem Buch: “Wie hält man es mit dem Vielen aus, mit einer Unzahl von Informationen, Ansprüchen, Wahrheiten und Optionen? Indifferenz reagiert auf das Viele: strategisch als kühles Spähen, kalt als unempfindliche Gleichgültigkeit, menschlichgeistlich als gastfreundliche Offenheit, leidenschaftlich als Wahl des als richtig Erkannten.”
Wie man in der stressigen Zeit heute das als richtig Erkannte (den christlichen Glauben) leben kann, erachte ich als wichtiges Thema. Buch gleich gekauft; danke für den Hinweis!