Im Kanton Solothurn in der Schweiz war im Frühjahr eine Einsiedelei zu vergeben. Wohl gemerkt, man suchte dort keinen Käufer, sondern einen Einsiedler oder eine Einsiedlerin, die die Tradition fortsetzt und dort lebt. Als ich das las, habe ich erst einmal mit dem Kopf geschüttelt und gedacht, wirklich viele Menschen wird das nicht interessieren.

Weit gefehlt. Der Rat der Stadt musste viele Bewerbungen sichten und dann auswählen. Bekommen hat den „Job“, wie eine Schweizer Zeitung es schrieb, dann eine Frau, die davor ein Heim für Kinder in schwierigen Lebenssituationen betrieben hatte.
Ruhe ist ein Luxusgut, zum einen weil es immer weniger davon gibt und wir uns selber abhängig machen von allerlei pipsenden Bildschirmen und Mobiltelefonen, andererseits aber auch, weil wir verlernt haben, Ruhe zu genießen. Muten Sie einmal einer Gruppe Menschen zehn Minuten Stille zu, da ist dann richtig was los, das wird richtig unruhig.
Still zu sein ist nicht ganz einfach
Ruhe für das gesamte Leben zu suchen, das ist noch einmal ein riesiger Schritt. Es gibt Mönche und Schwestern, die kontemplativ leben und schweigen. Aber Einsiedlerin sein, seinen Lebensrhythmus selber gestalten müssen und sich nicht auf die Tradition und die Gemeinschaft der Mitschweigenden verlassen können, das ist noch einmal eine ganz andere Nummer.
Und ich hatte keine Ahnung, was das wirklich bedeutet, bis ich eine solche Einsiedlerin besucht habe. Auch im Kanton St. Gallen gibt es eine, Sr. Fabienne. Ihre Einsiedelei sieht zunächst einmal aus wie ein „normales“ Haus, sie hat auch einen Wagen und ein Mobiltelefon. Sie öffnet und empfängt Besuch. Es ist nicht so, wie ich mich das vorgestellt hatte, ganz und gar nicht. Berg Athos und so, in Höhlen und voller sichtbarer Askese.
Aber nach dem Gespräch und Interview mit ihr war mir klar, dass es sich um eine ganz moderne Frömmigkeitsform handelt. Das hat nichts mit „Mittelalter“ oder so zu tun. Oder besser: Es ist eine dem Modernen Menschen ansprechende Form von Spiritualität.
Vor meinem Besuch bei Sr. Fabienne war ich in Flüeli-Ranft, der Klause des Bruders Klaus. Der hatte Frau und zehn Kinder zurück gelassen, um sich ins Tal zurück zu ziehen und als Einsiedler zu leben, eine für uns heute nicht wirklich nachzuvollziehende Entscheidung. Das war das 15. Jahrhundert, Eremit-Sein war sozial eingebunden und ganz was anderes als heute.
Aber irgendwie hat sich in unserem geschäftigen und aufgeklärten und medial überladenen Leben diese Form erhalten.
Eine moderne Form
Es ist wie das Pilgern. Es sind Formen geistlichen Lebens, die außerhalb des Pfarreilebens stattfinden, sie sind individueller. Diese Formen bauen auf der einzelnen Suche auf, noch nicht auf Antworten. Sie erlauben das Tasten und Fragen und viel Spielraum für „geistliche Abenteuer“ nicht im romantischen Sinn, sondern im Sinn, dass man sich von Gott überraschen und leiten lassen kann. Wenn man sich ernsthaft auf solche Such-Formen des Geistlichen einlässt, dann verändern die das Leben.
Es sind auch Formen des geistlichen Lebens, die der völligen Unterschiedlichkeit der Lebenssituationen gerecht werden. Sr. Fabienne Boucher, die Eremitin, die ich in der Schweiz besucht habe, erzählt diesen Witz: Was ist das Gegenteil einer Eremitin? Eine andere Eremitin. Alles ist verschieden.
Der Besuch hat mich beeindruckt, nicht weil ich eine „spirituelle Heroin“ getroffen habe, sondern eine Frau auf der Suche. Und auch wenn es in alten sprachlichen Gewändern daher kommt, ist es doch etwas für Heute. Siehe das Interesse in Solothurn.
Nikolaus von der Flue war als Einsiedler gefragter denn als Mann mit Ämtern.
Vielleicht ein Hinweis für Interessierte: Am Sonntag, 20.07., strahle WDR3 Radio
von 8.30-9.00 Uhr (abzurufen über Podcast, WDR 3, “Lebenszeichen”) ebenfalls einen Beitrag über neue EremitInnen in NRW aus. Sehr interessant, wie verschieden diese Menschen sind, gerade von ihrer Biographie her. Sie meinen, dass Einsiedler der heutigen Zeit Zeichen Gottes und Ansprechpartner sind wider den Religiositätsschwund der Christen hier. Und alle sind im Alltag auffindbar …
Sehr lebendig, echt und lebenszugewendet. Verbunden in einem Inter-Gebets-Netz auch mit Solothurn … Einfach schön.
Braucht jede(r) von uns eine Alltagseremitage, um gut zu überleben in dieser
Gesellschaft?
Lieber P. Kutschera,
bitte posten Sie doch den Link zu diesem Gebets-Netz, ich habe vergeblich versucht, die Site zu finden.
Danke.
Buchempfehlung zum Thema:
http://allein-ist-auch-genug.jimdo.com/
MfG,
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick