Der vergangene Sonntag mit dem Papstbesuch in der lutherischen Gemeinde in Rom hat eine Menge Aufsehen erregt. Dabei war aber nicht nur die Antwort des Papstes auf die Frage nach Kommunionempfang und das Gastgeschenk des Kelches interessant, sondern auch die Predigt.
Das Schicksal oder die evangelische Leseordnung der Schrift wollten es, dass der Papst einen seiner Lieblingstexte aus der Schrift für diese Predigt vorgelegt bekam, die Gerichtsrede im Matthäusevangelium (Mt 25). Der Text ist repetitiv, nach den ersten zwei Fragen „wann haben wir dich hungrig gesehen…“ und so weiter will man gleich einwerfen „jaja, habe verstanden“, aber der Tat geht weiter und exerziert alle Beispiele durch: hungrig, nackt, im Gefängnis und so weiter.
Der Papst spricht sehr gerne über diese Textstelle. Wir werden an diesem Verhalten gemessen werden, gerichtet werden. Wie wir uns in solchen Situationen verhalten, unserem Mitmenschen gegenüber und in diesem Mitmenschen Christus, bestimmt unser Verhältnis zu Gott. Nichts anderes. Und selbst wenn ich nicht weiß, dass ich mich da auch um Christus mühe, selbst dann oder vielleicht sogar besonders dann ist das das von Jesus gewünschte Verhalten.
Eine Wahl treffen
In der Predigt vom vergangenen Sonntag hat der Papst nun ein Wort hinzu gefügt, das er wenig nennt: „scelta“, auf dt. „Wahl“. Dieses Wort klingt bei einem Jesuiten und bei allen, die in dieser Spiritualität zu Hause sind, sofort an und deswegen ist es mir auch aufgefallen, als ich der Predigt zugehört habe. Für mich was das der Schlüssel für die Gedanken des Papstes.
Eine Wahl zu treffen ist der Kern der geistlichen Übungen, der Exerzitien, liegt im Herzen des geistlichen Rückrades, so dass ich die Gelegenheit hier ergreifen möchte, mir dieses Wort einmal vorzunehmen.
„Jesus hat immer gewählt“, sagt der Papst. In seiner Predigt zählt er jede Menge Situationen auf: die Jünger wollen Feuer vom Himmel regnen, lassen, er sagt nein. Er wählt das verlorene Schaf, er weist die Mutter der Jünger zurecht, welche die Plätze zu seiner Rechten und Linken sichern will. Jesus begleitet die Jünger nach Emmaus, er lässt sie sehen und dann umkehren, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn des Wortes. „Das ist eine Wahl Jesu“, so der Papst in seiner Predigt.
Diese Wahl, die Wahl die in Matthäus 25 beschrieben ist, nennt der Papst dann die „letzte Wahl“. „Und was werden die Fragen sein, die der Herr an jenem Tag stellen wird? Bist du zur Messe gegangen? Hast du eine gute Katechese gehalten? Nein, es geht in den Fragen um die Armen, denn die Armen stehen im Zentrum der Frohen Botschaft. … Jesus ist Gott? Das ist wahr. Er ist der Herr? Das ist war. Aber er ist ein Diener und seine Wahl hat er dazu getroffen. Hast du dein Leben für dich oder für den Dienst benutzt? Um dein Leben mit Mauern vor den Anderen zu schützen oder sie mit Liebe aufzunehmen? Das ist die letzte Wahl Jesu.“ Wozu habe ich mein Leben benutzt, wozu setze ich es ein?, das ist die Wahl, wie sie auch in den Exerzitien vorkommt.
Ein wenig Hintergrund: Exerzitien sind geistliche Übungen, um eine Wahl zu treffen, so definiert Ignatius selber in seinem Übungsbuch das, was man unternimmt. Und „Wahl“ ist erst einmal ganz wörtlich zu verstehen. Will ich in einen Orden oder nicht? Will ich Priester werden oder nicht? Wohin geht mein Leben, was soll ich machen, was will Gott von mir? Das sind die Fragen, zu denen man eine „Wahl“ treffen kann und wozu die Exerzitien helfen wollen.
Eine innere Haltung
Die Wahl ist aber nicht dasselbe wie eine Entscheidung. Das klingt etwas haarspalterisch, ist aber wichtig. In den Exerzitien bin ich nicht der, der entscheidet, sondern wenn man übt, betet, meditiert, dann entdeckt man – idealerweise – den Willen Gottes für sich. Die Wahl ist also eine Entdeckung, kein Situation in der ich Vorteile und Nachteile abwäge und dann selber entscheide. Die Wahl ist letztlich die Entdeckung, dass das, was ich wirklich will, dasselbe ist wie das, was Gott für mich will.
Und dieser Wahl begegnen wir auch in den Worten des Papstes in der Predigt. Es geht nicht darum, sich hin zu setzen und zu überlegen, was jetzt besser ist. Das ist hilfreich, der Verstand ist genauso Geschenk Gottes wie das Herz, aber letztlich ist es der Wille Gottes, den es zu entdecken gilt. Der zeigt sich ganz klar in Jesus und darin, wie er sich verhalten hat.
In den Exerzitien geht es dann noch weiter, die „Wahl“ wird idealerweise im weiteren Leben zu einer Haltung, also zu einer Grunddisposition, die immer wieder aktualisiert werden muss, die mich aber in allen Situationen des Lebens ohne dass ich groß nachdenken muss grundsätzlich in Richtung Evangelium tendieren lässt. Ich lasse mich also in den geistlichen Übungen bewusst formen, ich bin entschieden, ich habe gewählt. Ich lasse zu, dass zukünftig nicht mehr alle Optionen offen sind und alle Möglichkeiten gleich viel wert sind. Ich lasse mich und meine innere Haltung prägen.
Wenn man also als Jesuit nach zehn bis fünfzehn Jahren im Orden noch einmal Exerzitien in ihrer Vollform, also vier Wochen lang, macht, dann kann die „Wahl“-Option nicht sein, ob man im Orden bleibt oder geht. Hier ist die Bitte an Gott, die bereits getroffene Wahl zu bestärken. Auch das ist eine Wahl, die Bitte um die Formung meiner inneren Haltung.
Das ist die „letzte Wahl“, die wichtigste Wahl, die grundsätzliche Wahl, von der der Papst in der Predigt spricht. Es ist nicht die spontane Entscheidung, das Richtige zu tun. Es ist die Grundhaltung, sein Leben formen zu lassen vom Willen Gottes, der mit den Armen zu tun hat und mit der eigenen Offenheit für den Dienst.
Wofür lebe ich? Für mich selber oder für den Dienst? Wie Jesus? Dann ist klar, wie die Wahl ausfallen wird, wenn ich mich nur darauf einlasse.
Eine Entscheidung ist das, was das Leben fordert, eine Wahl ist die innere Einstellung zu dieser Entscheidung, die Gott hervorruft, um das Gewissen über die Zeit hinaus zu retten. Dieser innere Kampf um die eigene Person trägt den Menschen in seine wahre Bestimmung.
Ich finde ihren Beitrag auch sehr interessant für den Blick auf die Ehe zwischen Mann und Frau, denn dabei trifft man aus einem inneren Impuls heraus eine Entscheidung, die immer wieder auf den Anfang, diesen Impuls zurückführen sollte, damit man aus dieser Entscheidung heraus eine Wahl treffen kann, die sie in die Gewissheit führt, die sie braucht, um im Leben bestehen zu können.
Sie haben natürlich Recht, das gilt bei allen Wahlen, auch für die Ehe. Mein Blick ist da vielleicht etwas zu verengt, meiner eigenen Lebensentscheidung geschuldet. Danke also für die Erweiterung.
Weltweit können viele – auch Christen – bei d. Ehe nicht wählen, trotzdem sind nicht alle dauerhaft nur unglücklich.
Gute Entscheidungen treffen, eine gute Wahl treffen; dies ist für mich ein faszinierendes Thema, gleichzeitig erfordern diese Fähigkeiten einen langen Lernprozess, womöglich einen Lebenslangen. Demnach braucht es viel Übung und somit auch viele Übungsmöglichkeiten.
Wenn ich Sie richtigverstanden habe, lieber Pater Hagenkord, ist eine Wahl einer „einfachen“ oder doch nicht so einfachen Entscheidung übergeordnet. Während eine Entscheidung mehr oder minder selbst getroffen wird, bindet sich eine Wahl an einen anderen bzw. höheren Willen, in Ihren Beispielen an den Willen Jesu. Dies führt, wie Sie es weiter beschreiben, zu gewissen Einschränkungen; nicht mehr alle möglichen Optionen stehen zur Wahl, da aus der Wahl eine innere Haltung geworden ist.
Sehr gut, denke ich, insoferne dies freiwillig geschieht. Ansonsten fangen in meinem Kopf sämtliche Alarmglocken zu läuten an. Wie oft, all zu oft, heißt es: „Ich habe keine Wahl“, „Es gibt keine Alternative“. Und wie oft trifft dies tatsächlich zu? Könnte es daran liegen, dass Entscheidungen oder sogar eine Wahl zu treffen, manchmal so mühsam ist, oder die Möglichkeiten dies ausführlich zu üben einfach nicht angeboten werden, – mit oder ohne Absicht?
Besteht nicht die Gefahr, die menschliche Freiheit zu gunsten eines determinismus aufzugeben? Mir scheint, dass deterministische Tendenzen wieder stärker werden; die moderne Hirnforschung spricht davon, aber auch in den Religionen ist immer wieder davon die Rede; leider. Nun, ich klinge wohl etwas besorgt, doch wenn sich jemand nicht Jesus bzw. einem barmherzigen Gott anvertraut, sondern sonst jemand oder etwas, kann dies böse enden. Deswegen, das eigene Denken, die eigene Freiheit lieber nicht so einfach abgeben, denn Entscheidungen frei und eigenständig zu treffen, ist, so bin ich gewiss, ein hohes Gut.
Abschließend noch zwei Lese-Tipps für Englisch-Lesende und Englisch-Hörende:
1. Ein Buchauszug aus
What Is Ignatian Spirituality? by David L. Fleming, SJ.
http://www.ignatianspirituality.com/making-good-decisions/an-approach-to-good-choices/how-ignatian-spirituality-gives-us-a-way-to-discern-gods-will
Kurzlink:
http://is.gd/sJqwXF
2. Ein für mich ganz tolles Buch, das ignatianische Spiritualität vorstellt; hier in einer Version zum Lesen und Hören. Zwar ist der folgende Link ein kommerzieller Amazon-Link, doch die Entscheidung ob … ist natürlich frei. 🙂
The Jesuit Guide to (Almost) Everything: A Spirituality for Real Life [Kindle Edition]
James Martin
http://www.amazon.de/dp/B00395ZYWW/ref=pe_386171_48771151_TE_M1T1DP
Kurzlink:
http://is.gd/eLnCqr
Herzlichst, Euer entscheidungsfreudiger und freiheitsliebender Lese-Esel