Er spricht Spanisch, obwohl wir in Brasilien sind. Das alleine zeigt schon Fremdheit an. Neves ist fremd in Manaus, fremd in Brasilien. Er ist ein Vertriebener. „Im Augenblick träumen wir noch nicht einmal von der Rückkehr, den die Situation in Venezuela ist schlimm, schlimm, schlimm,” sagt er. So klingt Perspektivlosigkeit.
Unter ihrem Land habe man Öl vermutet oder gefunden, so genau weiß er das nicht. In Venezuela sei das gewesen, weit im Norden von Manaus im Urwald Brasiliens, wo wir ihn treffen. Von dort vertrieben sei sein Volk zuerst in die Städte gegangen, und weil das furchtbar gewesen sei hätten sie sich nach Brasilien aufgemacht, um irgend eine Zukunft zu haben.
Fremd in Brasilien
Ich begegne Neves in einem Betonblock, so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, wie wir uns ein Dorf indigener Völker vorstellen würden. Und so ist es auch. Das sei nur vorübergehend, bis man was am Stadtrand finde, wo auch Landwirtschaft betrieben werden könne, sagt er. Aber bis dahin wolle man doch alles an Kultur halten, was irgendwie gehe.
Neves ist der Kazike der Gemeinschaft hier. Das heißt, er ist der gewählte Leiter. „Häuptling“ hätte man das früher genannt, aber das weckt zu viele falsche Assoziationen. Neves hat so gar nichts von all dem, was an Bildern vor dem inneren Auge aufsteigt. Und er ist gewählt, alle zwei Jahre bestimmen sie ihren Kaziken.
Verteilung von Essen steht auf seinem Aufgabenzettel, er ist zuständig für Gerechtigkeit dabei. Und die Suche nach etwas Neuem.
Wir schlendern durch die Unterkunft, offene Türen, offene Fenster, das Leben spielt sich offen ab. Wie auch in den Dörfern. Hier in Manaus wirkt das völlig fehl am Platz, ich ertappe mich dabei, mir einen Vorhang vor die Fenster zu wünschen, so viel Vertraulichkeit ist für uns Europäer schwer auszuhalten.
Seine Wünsche sind erst mal anders. Als erstes natürlich Eigenversorgung, etwas Landwirtschaft, man will nicht von Hilfen und vom Betteln leben. Und dann Bildung. Bildung vor allem für die Kinder, dann aber auch für die Jugend und überhaupt. Das ist übrigens etwas, was ich immer wieder höre, Bildung ist für die Indigenen wohl diejenige Ressource, mit der sich sich am besten in der Welt um sie herum zur Wehr setzen können. Und so falsch ist das ja nicht.
Bildung und Land
Aber dann klagt der Kazike auch, über die Vorurteile. Die Warao in Manaus seien ja doppelt fremd, als Indigene wären sie den Vorurteilen der Weißen ausgesetzt, als Vertriebene der Angst, dass sie jetzt den armen Brasilianern die niedrig bezahlten Jobs wegnähmen.
Und da leben sie nun im Beton, in der Hoffnung auf etwas Land, in der Hoffnung auf Bildung, damit es überhaupt Hoffnung gibt.
Verzweifelt klingt Neves nicht. Aber auch nicht zuversichtlich. Vorsichtig, so würde ich es charakterisieren. Er weiß, was seine Leute brauchen. Für große Träume reicht es da nicht. Erst mal ans morgen denken. Und dann ans übermorgen. Und irgendwann – vielleicht – dann auch wieder an Venezuela.