Die Frage nach Leitung ist „in“. Und das nicht erst seit heute. Um das aber zu können, um herauszuragen unter all den anderen, um sich zu qualifizieren gibt es dafür all-überall Ausbildungskurse. Auch in der Kirche. Exerzitienkurse leiten kann man lernen, Gruppen leiten und moderieren, Institutionen, Verwaltungen, Events, und all das andere, was im Leben der Kirche und nicht nur da heute alles geleitet werden muss. Selber habe ich unzählige Gruppenleiter-Kurse für Jugendliche organisiert. Was man aber scheinbar nicht lernen kann: geleitet werden.
Leiten ist ja nur die eine Seite, geleitet werden gehört ja auch dazu. Wer bringt uns das bei? Dafür gibt es keine Kurse, offenbar nimmt man einfach an, dass Leitung nur am Chef liegt. Nicht an denen, die geleitet werden. Aber ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass das falsch ist. Auch geleitet werden will gelernt sein.
Was man nicht lernen kann: geleitet werden
Auslöser für die Gedanken zu geleitet werden war die Frage, wie weit ich bereit bin, mich kontrollieren zu lassen. Es gab eine Menge Rückmeldungen dazu und eine Reihe von Gesprächen. Ein erstes Ergebnis: Was für das Leiten gilt, gilt auch für das geleitet Werden: Nicht von der Angst, sondern vom Stern leiten lassen, in den Worten des Papstes. Das ist das erste biblische Beispiel aus der Jesusgeschichte: die Weisen machen sich auf und lassen sich leiten, erst vom Stern, dann von einer Aufgabe, die ihnen im Traum gegeben wird. Dasselbe passiert Josef, auch er lässt sich von einem Traum leiten, nach Ägypten zu gehen mit Maria und Jesus. Und so weiter.
Auf den Philosophen Blaise Pascal geht der Gedanke zurück, dass ein König nicht wie ein König behandelt wird, weil er einer ist, sondern dass er wie ein König erscheint, weil er wie ein solcher behandelt wird. Soll heißen, Autorität wächst von unten. Es gibt kein „Blut“, keinen „Adel“ und kein Vererben von Macht, das sich nicht auf die Akzeptanz der anderen stützt. Wenn wir alle auf einmal aufhören würden, sagen wir den Adel als Adel zu behandeln, dann wäre er keiner mehr.
Macht und Autorität
Wir unterscheiden Auctoritas von Potestas, also Autorität von Amtsgewalt. Letztere wird übergeben, übertragen, erstere wird erworben. Erstere hat aber auch eine interessante Bedeutung vom Wortstamm her, Autorität ist das, was wachsen lässt.
Wenn es um das geleitet Werden geht, ist das besonders wichtig. Ich lasse denjenigen Macht über mich ausüben, der mich wachsen lässt. Das ist der Deal beim Leiten. Leider ist das noch nicht bei allen angekommen, zu oft wird Autorität mit Potestas verwechselt, als ob in der Kirche ‚geleitet werden‘ mit ‚keine Entscheidung treffen‘ gleich gesetzt wird. Dem ist aber nicht so. Ich lasse leiten. Ich Anerkenne die Leitung, die dadurch erst zur Leitung wird.
Lehrer wissen, wovon ich rede. In einer Schulklasse kann man sich schlicht nicht durch einen Verweis ‚Hey, ich bin hier der Chef‘ durchsetzen. Eine Berufung auf Autorität klappt nicht. Selbst Strafen sind nur eine Notlösung. Echte Autorität in der Schulklasse kommt woanders her, vom Mitmachen der Schüler.
Wie im Klassenzimmer
Das gilt auch für die Seelsorge und die Leitung dort. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat das treffend ausgedrückt: „Im Kern geht es auch um die Frage, ob wir eigenständige Gewissensentscheidungen von Menschen unterstützen und damit den Menschen zugestehen, mit Hilfe des Wortes Gottes und auch mit Hilfe seelsorglicher Begleitung zu eigenen Entscheidungen zu kommen – oder ob wir im letzten die Deutungshoheit beanspruchen, der sich die anderen Menschen dann einfügen.“
Womit wir das kritische Wort erreicht haben: Gewissen. Beim geleitet Werden überlasse ich jemandem anders die Führung, weil mich das wachsen lässt. Das nimmt mir aber nicht das eigene Gewissen. Das Gewissen bleibt was es ist, Ort der Begegnung mit Gott und Ort unserer verantworteten Entscheidungen, auch wenn diese aus dem Bauch heraus getroffen werden.
Leider kommt das nicht immer so deutlich vor. Oft werden die Gewissen in der Seelsorge wenn nicht missachtet so doch eingelullt. Zu viele Entscheidungen werden durch Überbetreuung durch Fachleute erledigt, wie der Papst in Evangelii Gaudium oder auch der Theologe Johan Baptist Metz beklagen.
Gewissen im Kopf oder im Bauch
Letzteren zitiere ich hier noch einmal, weil er das Rezept heraus aus der Misere hat: „Haben wir nicht selbst die Betreuungskirche so sehr verinnerlicht, dass wir meinen, alles an kirchlicher Erneuerung hinge schließlich davon ab, dass die Betreuer, also vorweg der Papst und die Bischöfe, sich ändern? Tatsächlich geht es darum, dass die Betreuten sich ändern und sich nicht einfach wie Betreute benehmen.“ Und das geht nur mit dem Gewissen, dem eigenen.
Und nein, beim Gewissen geht es nicht nur um die Warnung vor Falschem. Das Gewissen ist nicht die Warnleuchte am inneren Amaturenbrett. Es leitet mich auch wenn ich nicht falsch liege. Es ist in mir und leitet mich.
Die Qualifizierung lautet dann immer, dass es nicht das Gewissen als solches sei, sondern das gebildete Gewissen. Wenn man sich nicht um das eigene Gewissen kümmert, wenn man es wuchern lässt und nicht bildet, dann – so die Unterstellung – gelte das nicht wirklich. Das gebildete Gewissen, nicht das frei wuchernde, binde.
Keine Hintertüren
Aber Vorsicht: Gebildetes Gewissen ist nicht die Hintertür, durch die dann doch wieder extern vorgeschrieben wird, was das Gewissen Bitteschön zu entscheiden habe. Das entscheidet nicht über die „Gültigkeit“ von Gewissensentscheidungen. Hier werden nicht Regeln eingeführt, die dann doch das Gewissen bedingen.
Womit wir wieder beim geleitet-werden-Lernen sind: Darüber entscheiden wir. Autorität wird erworben, das alles kann nicht eingefordert werden. Letztlich liegt das an unserem Gewissen, wie wir uns leiten lassen.
Ob man das lernen kann? Vielleicht. In jedem Fall können wir lernen, das Gewissen zu nutzen. Und Leitung von dort aus zu sehen. Das hilft dann auch den Leitenden.
Potestas verursacht Angst. Und Angst verwirrt das Gewissen. Außer man ist sehr stark (oder man ist alt und hat gelernt nicht alles ernst zu nehmen).
Ich hatte einmal in einer ruhigen Minute eine Art „Gespräch mit Gott“. „Wie bist Du WIRKLICH?“, traute ich mich zu fragen.
„Das WILLST Du nicht wissen“, war die Antwort.
Lassen Sie mich den Gedanken noch weiter ausführen.
In meinen Augen sind Auctoritas und Potestas zwei komplementäre Größen. Oder, wie es ein populärer Science Fiction Film ausdrückt: „Du musst Dich für eine der beiden Seiten der Macht entscheiden“.
Gott hat sich dafür entschieden, dass er der Kleine, Unscheinbare, Niedrige ist, der immer „von unten“ kommt. Aus Galilea. Aus Bethlehem. Von einer jungen Frau.
Das Große, Schöne, Mächtige in der Kirche ist in Ordnung, solange es unsere Freude über die Erlösung zum Ausdruck bringt. Als „Folge“ des Glaubens, aber nicht als dessen „Ursache“.
Und Gott KÖNNTE auch anders, wenn er WOLLTE.
Meint
Euer Christoph
Ich denke, dass viele unserer Brüder und Schwestern sich schon lange nicht mehr betreuen lassen. Sie sind ihrem Gewissen gefolgt und haben die Kirche verlassen. Sie haben intuitiv gespürt, was jetzt übetdeutlich wird. In unserem Laden herrscht eine Doppelmoral.
Ich finde wir sollten unsere Brüder und Schwestern ernst nehmen. Und ihnen dankbar sein, dass Sie uns den Spiegel vorhalten. Ich glaube auch, dass Sie uns sagen können, was jetzt für uns dran ist.
Ich glaube nicht, dass es nur eine Schuld der Kirche und eine stringente Schlussfolgerung aus einer Doppelmoral sein muss (die es natürlich hier und da gibt).
Es ist auch eine Tatsache, dass Menschen, denen es wirtschaftlich gut geht und insbesondere Stadtmenschen ganz generell mehr Probleme haben, zum Glauben zu finden. Das ist einfach eine statistische Tatsache und selbst Jesus hat zugegeben, dass es ja gerade die Kranken sind, die den Arzt brauchen.
Wenn uns die Starken und Gesunden verlassen, dann ist das halt mal so.
Aber gerade jetzt, im Zeitalter der Klimaproteste und einer immer stärkeren Polarisierung, wo der Turbokapitalismus der Mittelschicht das Leben immer schwerer macht, treten die „Wunden der Menschheit“ wieder stärker zutage und beginnen wieder zu schmerzen. Zumindest hier in Österreich ist das so. Da kann die Kirche ihre Chancen nutzen und wieder beginnen, für Gott den Heiland zu werben. Denn es ist SEINE Sache, um die wir uns kümmern sollen. UNSERE Wunden mögen schmerzen, sollen uns aber nicht beirren.
Wenn Sie sich auf meinen Beitrag beziehen, weiß ich nicht, worin dieser Bezug bestehen soll.
Ich habe den Gedanken vom Herrn Pater aufgenommen, dass Menschen sich schwer bzw. Nicht leiten lassen wollen und habe ihn für mich quer weiter gedacht.
Ich rede hier nicht von Schuld. Ich rede von Chance.
Und mit Ihrer Katastrophen Euphorie kann und möchte ich nichts zu tun haben.
Ich habe mich auf einen einzigen Satz in Ihrer Schrift bezogen „In unserem Laden herrscht eine Doppelmoral“ und habe versucht, diesen zu relativieren. Das war meine Intention. Wenn ich dabei übers Ziel hinausgeschossen bin, sorry.
Kennen Sie die Geschichte von dem Priester, der fromm geblieben ist, OBWOHL er Theologie studiert hat?
Kennen Sie die Geschichte von der Pastoralreferentin, die fromm geblieben ist obwohl Sie Theologie studiert hat und mit dem Priester aus Ihrer Geschichte als Chef arbeiten musste?
Wie wäre es, wenn Sie Klartext redeten?
Das ist ein Witz – vielleicht hätte ich ihn als Witz markieren sollen – den uns ein Priester erzählt hat – hätte ich vielleicht drunter schreiben sollen.
Ich will damit nur ausdrücken, dass das „Wissen über Gott“ (Theologie) manchmal gar nicht so wichtig ist, wie das „Leben mit Gott“ (Frömmigkeit).
Und ich selbst bin ja weder beim Einen noch beim Anderen ein großes Vorbild. Wenn Sie meine Lebensführung kennten, könnten Sie das alles mit einem lachenden Auge betrachten 🙂
Solche Witze funktionieren nur noch in einem bestimmten Miljö.
Auch wenn ich die Spreche dieses Milijös verstehe, gehöre ich nicht dazu. Und ich bin fest davon überzeugt, dass ich da für viele spreche. .
Ein Pfarrer, eine Kirche, eine Gemeinde ist nicht mehr.
Wenn ich was klären will muss ich versuchen die Paszoralreferentin zu erreichen. Sie ist die Seelsorgerin vor Ort.