Zu den Attributen, die an dieser Stelle regelmäßig schlecht wegkommen, gehört „Bürgerlichkeit“. „Verbürgerlichung“ ist das Schimpfwort dazu. Das ist natürlich unfair, weil es in der Überzeichnung die Komplexität nicht trifft. Und natürlich gibt es bürgerliches Engagement, es gibt den Sinn für die Beteiligung an Staat und Gesellschaft, die bürgerlich zu nennen ist, und allerlei andere Dimensionen, denen man nicht wirklich gerecht wird.
Bürgerlich kann auch positiv sein. Damit will ich nicht die vorher gemachten Argumente wieder aus der Debatte nehmen, aber es kann ja helfen, den Blick etwas zu heben.
Eine Gelegenheit, mir das entstehende Bürgertum in seiner Selbstdarstellung einmal genauer anzusehen, hatte ich jetzt in Amsterdam. Eigentlich war ich ja zu einer Konferenz da, aber davor und danach muss man sich ja etwas gönnen.
Das Hermitage-Museum an der Amstel (ein Ableger der Hermitage in Sankt Petersburg) hat zwei Ausstellungen aus dem so genannten „Goldenen Zeitalter“ der Stadt. Die erste heißt schlicht „Holländische Meister“ und zeigt natürlich Rembrandt, daneben Frans Hals, Ferdinand Bol und andere Rembrandt-Schüler.
Es waren in Amsterdam nicht die Fürsten und nach dem Bildersturm von 1566 auch nicht die Kirchen, welche Kunst in Auftrag gaben, sondern die Bürger, also die Kaufleute, Ärzte, Händler. Und die wollten zwar auch allerlei Allegorie und biblische Malerei sehen, diese dann aber nicht in Kapellen, sondern in den eigenen Kontoren und Häusern aufhängen. Vor allem aber wollten sie sich selber sehen, und so sieht man eine ganze Reihe von Händlern, Kaufleuten, Künstlern, erst bunt gekleidet und gerne mit Degen, später ausschließlich in Schwarz mit dem berühmten komplizierten spanischen Kragen.
Die meisten Portraits sind natürlich, im Fall Rembrandt verblüffend sogar. Man kann das Selbstbewusstsein der Dargestellten geradezu anfassen, es sind alles Persönlichkeiten. Es sind Individuen, die sich immer in den Zeichen-Kanon ihrer Gesellschaft einfügen, also keine Indivudualisten, sondern wirklich Individuen.
Bilder für Häuser, nicht Kirchen
Man sieht ihnen an, dass sie keine Fürsten über sich haben, sondern alles selber, unter sich regeln. Bürger also, im ursprünglichen Sinn des Wortes.
Wobei wir dann auch schon bei zweiten Ausstellung sind, die im selben Gebäude untergebracht ist. Portrait-Malerei des Goldenen Zeitalters. Wobei der Titel etwas verwirrend ist: es sind nicht Einzel-Portraits, wie in der ersten Ausstellung, sondern vor allem Gruppen-Portraits, die hier zu sehen sind. Die Gruppen derer, die das Sagen haben in der Stadt.
Das berühmteste dieser Bilder ist das später „Nachtwache“ genannte Gemälde Rembrandts, das gar nicht weit weg im Rijksmuseum hängt. Hier in der Hermitage Amsterdam hängen nun die Schwestern und Brüder dieser Nachtwache, unter anderem die Bilder, die tatsächlich neben dem Bild gehangen haben, in dem Gebäude, für das es gemalt worden war.
Es sind Bürgerwehren, die hier zu sehen sind, das sich selbst verteidigende und nicht von Mächten abhängende Bürgertum in Waffen. Es sind natürlich nur diejenigen zu sehen, die was zu sagen hatten. Also die dazu gehörten. Es war nicht einfach, Offizier in einer solchen Bürgerwehr zu werden, mit Soldat-Sein wie heute hat das nichts zu tun, das wurden nur die Mitglieder des Patriziats, da musste man richtig viel Geld haben oder richtig heiraten.
Zu sehen sind auch die Verantwortlichen der wohltätigen Stiftungen, der Waisenhäuser und Krankeninstitutionen, der Armenhilfe und so weiter. Und auch hier wieder nur diejenigen, die dazu gehören, die Armen und Kranken sind allenfalls im Hintergrund, als Dekoration sozusagen für die eigene Wohltätigkeit, zu sehen.
Dazu gehören
„Wer zu sehen ist, zeigt damit, dass er dazu gehört, dass er es geschafft hat“, so sagt es ein Kommentar zur Ausstellung, und das trifft es präzise. Jede dargestellte Persönlichkeit strahlt genau dieses Selbstbewusstsein aus. Es ist die ökonomisch-soziale Elite, die man sieht. Den Rest der Gesellschaft sieht man nicht.
Schön ist, dass zum Abschluss der Ausstellung diese Tradition ins Heute verlängert wird, man sieht Gruppen-Portrait-Fotos aus den Niederlanden heute, vom König und seinem Stab angefangen über Freiwilligenorganisationen, wo die Leitung sich hat abbilden lassen.
Dazu gehören, wer sein, selber im Zentrum stehen und das auch zeigen wollen, seine Identität darauf aufbauen: Das sind die Elemente des Bürgerlichen, die man in den Ausstellungen sehen kann. Und wie immer sind die Stärken ganz nah bei den Schwächen: Wenn heute „Bürgerlichkeit“ und „Verbürgerlichung“ einen schlechten Klang haben, dann auch deswegen, weil diese Elemente des Bürgerlichen die Überhand gewonnen haben.
Die Selbstrepräsentation des Geschafft-Habens im Wohnzimmer: in Amsterdam war es zunächt Freiheit und neue Kunst. Aber es kann eben auch sehr schnell sehr klein werden, wenn man dort keine Luft hinein lässt.
Wie dem auch sei, sehenswert sind die Bilder allesamt.