Via Cassia, eine der alten römischen Straßen nach Rom, etwa 14 Kilometer außerhalb der alten Stadt: Hier liegt ein kleiner und auch heute noch unscheinbarer Ort, La Storta. Für Jesuiten ist es ein ganz besonderer Ort, weil es ein ganz besonderer Ort für den Gründer, Ignatius, war. Dort war ich zu einem Sonntagsausflug. Es ist nicht weit weg, was ja das Problem ist: Naheliegendes überlässt man dem “später einmal”.
Die Geschichte, die mit dem Ort zusammen hängt, ereignet sich 1537, als die Mitglieder der jungen Gemeinschaft die einmal der Jesuitenorden werden sollte in Venedig zu Priestern geweiht worden waren und nun nach Rom zogen, entweder um dann als Missionare weiter nach Jerusalem zu ziehen, sollte sich trotz des Krieges auf dem Mittelmeer die Gelegenheit ergeben, oder um sich dem Papst zur Verfügung zu stellen.
„Sie gingen nach Rom in drei oder vier Gruppen geteilt, und der Pilger [gemeint ist Ignatius] mit [Peter] Faber und [Diego] Laínez. … Er hatte sich entschlossen, nachdem er Priester wäre, eine Jahr noch keine Messe zu lesen und sich vorzubereiten und die Muttergottes zu bitten, sie wolle ihn zu ihrem Sohn stellen“. Eine ganz typische Art des Betens Ignatius‘: Jemanden um Vermittlung bitten. „Und als er an einem Tag, einige Meilen, bevor er nach Rom gelangte, in einer Kirche war und betete, verspürte er eine solche Veränderung in seiner Seele und hat so klar gesehen, dass Gott Vater ihn zu Christus, seinem Sohn, stellte, dass ihm der Mut nicht ausreichen würde, daran zu zweifeln, dass vielmehr Gott der Vater ihn zu seinem Sohn stellte.“
Ignatius nennt das im Exerzitienbuch (einem Handbuch für Geistliche Übungen) die „erste Wahlzeit“: Etwas ist so klar und deutlich, dass man gar nicht daran zweifeln kann.
Das Zitat oben stammt aus dem Buch, dass wir den ,Pilgerbericht‘ nennen. Früher nannte man es die Autobiographie des Ignatius, aber das stimmt nicht. Es ist ein aus der Erinnerung niedergeschriebener Text eines der Mitarbeiter des Ignatius, Pater Luis Goncalves da Camera. Der Titel ist aber Ignatius eigenes Wort, er nennt sich selbst den „Pilger“.
An dieser Stelle im Pilgerbericht, nach der kurzen Erzählung des Ereignisses tritt nun der Verfasser da Camera in Ich-Form hervor und fügt ein, was ein weiterer der drei dort nach Rom Gehenden, Diego Laínez, ihm bestätigt habe. Was genau, das berichtet Laínez 1559 selber im Zusammenhang mit der Frage, wie der Name des Ordens zu Stande gekommen sei.
„Es schien ihm [Ignatius], dass Gott ihm diese Worte ins Herz einprägte: Ich werde euch in Rom gnädig sein.“ Laínez fügt an, Ignatius habe damals geglaubt, dass das mit Leid und Tod zu tun habe. Gleichzeitig habe Ignatius ihm, Laínez, aber auch davon berichtet, was der Inhalt seiner Vision gewesen sei: Christus mit dem Kreuz auf der Schulter sei ihm entgegen getreten. Gott der Vater, an dessen Seite Jesus gewesen sei, habe seinem Sohn gesagt: „Ich will, dass du diesen als deinen Diener annimmst.“ Worauf Jesus gesagt habe „Ich will, dass du uns dienst.“
In diesem Ereignis und den damit zusammen hängenden Traditionen verdichtet sich vieles von dem, was für Jesuiten zentral ist. Da ist das Bitten um etwas, eine Grundhaltung, um überhaupt ins Gebet treten zu können. Ein geistlicher Prozess ergibt sich auch daraus, dass man sich bewusst ist, was man von Gott erbittet.
Dann ist da das Warten, das Üben. Ignatius bekommt das, was er sucht, nicht sofort, sondern an einem sehr unscheinbaren Ort, so unscheinbar, dass er auch heute noch auf einer Verkehrsinsel liegt und man schnell vorbei fährt.
Drittens ist da das trinitarische Element: Die Dreifaltigkeit handelt in den Personen. Gott Vater spricht zu Jesus und Jesus wendet sich in Ignatius‘ Vision an den Beter. Es ist wie eine der geistlichen Übungen aus dem Exerzitienbuch aufgebaut, wo Ereignisse in der Vorstellungskraft wie auf einer Bühne dargestellt werden. Es gibt Worte wie „neben“ oder „auf der Schulter“, die wie Regieanweisungen wirken.
Dazu gehört auch, dass Gott Vater der Handelnde ist. Berufung ist nie etwas, was man ergreift. Man muss darum bitten, dienen zu dürfen. Ich mache – in der höfischen Sprache des Ignatius – ein Anerbieten, ich biete an, aber dann bleibt die Initiative bei Gott.
Typisch ist auch der Dialog zwischen den göttlichen Personen, etwas, was sich bei Ignatius in den Exerzitien oder auch in seinem geistlichen Tagebuch immer wieder findet.
Dann ist da das Kreuz: Nachfolge bedeutet immer auch das Kreuz. Jesus Christus ist ohne Kreuz nicht zu haben. In den Exerzitien gibt es den Moment, den Ignatius „Wahl“ nennt. Man bittet und wählt, was zum Heil der eigenen Seele (wie es dort heißt) hilfreich ist. Und mit der Wahl tritt man dann in die Meditation des Leidens und Sterbens Jesu ein. Die Szene von La Storta wirkt wie eine Darstellung dieser Szene: Ignatius hatte gewählt und bat nun um Annahme seiner Wahl. Und die geschieht, und zwar durch Jesus mit dem Kreuz.
Hier ist also ein wesentlicher Punkt all dessen, was wir Ignatianisch nennen: Das Handeln und Dienen folgt dem Suchen nach dem Willen Gottes im eigenen Leben, weswegen Ignatius sich den „Pilger“ nennt. Diesen Willen gilt es betend zu entdecken und dann – immer mit Gottes Kraft – dann danach handeln zu können.
Übersetzen wir die Ordensgründung in Geographie, dann kommt in La Storta ein weiteres Moment hinzu. Erst in Rom wird das, was sich in den Jahrzehnten davor um Ignatius und die anderen der ersten Generation entwickelt hatte, zur Gesellschaft Jesu, zum Jesuitenorden. Das „du“, das Jesus benutzt, beziehen wir seit dem immer auch auf den ganzen Orden, oder besser: Jeder einzelne Jesuit bittet Gott im Gebet, auch gemeint zu sein. Hier verbinden sich persönliche geistliche Entwicklung und Berufung mit dem Jesuitwerden, der Gemeinschaft, dem Orden.
Vor einigen Jahrzehnten hat eine Generalkongregation des Ordens das so formuliert: Jesuit sein bedeutet, „als Sünder in die Nachfolge Jesu berufen“ zu sein. Präziser kann man die Erfahrung von La Storta für heute kaum fassen.
Ganz buchstäblich liegt La Storta außerdem auf dem Weg nach Rom. In Rom würde sich dann das Schicksal Ignatius‘ und der Gemeinschaft entscheiden, und was „gnädig sein“ bedeutete, war ganz und gar noch nicht klar. Für Ignatius und alle nachfolgenden Generationen war und ist seitdem aber Anker der Überzeugung, dass der Orden ohne den Bezug auf die Weltkirche, auf Rom und den Papst, nicht denkbar ist. Dass Ignatius zuvor von Gott selbst ins Herz geschrieben bekommt, dass Rom der Ort sei, nimmt dem das Zufällige. Das soll so sein, das hat mit dem Willen Gottes zu tun.
Wir sehen also in La Storta die symbolische Repräsentation all der Erfahrungen, die zur Gründung des Ordens führten und die auch heute noch alle Novizen in Studium und Exerzitien in ihrem Leben nachgehen müssen. Das wird auch dadurch noch einmal unterstützt, dass Ignatius für die Klarheit, mit der er den Wandel in seiner Seele wahrnimmt, dieselben spanischen Worte gebraucht wie damals, in Loyola, auf dem Krankenbett, wo sein Weg in die Bekehrung beginnt.
Laínez fügt in seinen Erinnerungen noch an, dass auf Grund dieses Ereignisses von La Storta Ignatius auch „große Andacht“ zum Namen Jesu empfing (auch hier bleibt also Gott der Handelnde) und deswegen die Gemeinschaft „Gesellschaft Jesu“ nennen wollte. Und so geschah es und so ist es bis heute.
Danke für diesen ignatianischen geistlichen Impuls, für die Hinführung zu La Storta, den Einblick in das Werden der Gesellschaft Jesu. Gott, um den Platz für die eigene Berufung bitten und das JA zur Passion – da ist La Storta für mich jetzt.