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PaterBerndHagenkord.blog

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Kategorie: Spiritualität / Geistliches Leben

Artikel und Beiträge über geistliches Leben

Im Chor der Rechtschaffenen?

Veröffentlicht am 13. Dezember 202013. Dezember 2020
Der Kern des Glaubens Der Blick nach oben: Trinität und Maria

Wenn das Christliche über das Christliche hinaus langt, dann erntet es gemischte Reaktionen. Erst neulich beklagte eine große deutsche Zeitung, dass Kirchen „das Profane“ predigen und „im Chor der Rechtschaffenen“ singen. Austauschbarkeit sei die Folge.

Der Kern des Glaubens sei aber das Heilige, die Hinwendung zu Gott, vor allem die liturgische. Immer wieder hören wir diese Kritik: statt sich um ihren Auftrag zu erfüllen werde Kirche zu einem Teil der Zivilgesellschaft.

Der Kern des Glaubens

Bis zu einem gewissen Punkt kann ich das nachvollziehen und sehe die Kritik als wertvoll an, weil sie auf Schwachpunkte hinweist. Aber auch nur bis zu einem gewissen Punkt, und der kommt in diesem Text auch vor. Denn das „Eigentliche“ des Glaubens ist nicht dem Diesseits entgegen gesetzt, wie der Journalist schreibt. Es ist kein Widerspruch. Die Anbetung des Heiligen ist kein Rückzug aus der Welt. Und wenn sie das wird, dann verpasst sie Gott.

Diesem als Widerspruch formulierten Gedanken begegnet man leider immer wieder. Schmerzhaft ist das vor allem, wenn christlich engagierte Menschen das Geistliche als Ablenkung oder als weniger wichtig oder als „konservativ“ oder dergleichen abtun.

Als Christinnen und Christen gehört aber beides in unseren Glauben. Das eine ohne das andere wird leer, das andere ohne das eine Austauschbar. Rückzug ist keine Option. Denn in Gott zeigt sich nicht die Verneinung, sondern die Bejahung der Welt und des Menschen. Das Christliche muss über das Christliche selbst hinaus langen, das ist die Dynamik des Festes, auf das wir zugehen. In diesem Sinne Ihnen noch gesegnete Adventstage.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Anbetung, Christentum, Diesseits, Engagement, Gesellschaft, Glaube18 Kommentare zu Im Chor der Rechtschaffenen?

Francescotopie

Veröffentlicht am 9. Dezember 20209. Dezember 2020
Unsere Welt ist nicht alternativlos Dynamik und Bewegung: Stillstand geht nicht mehr

Unsere Welt ist nicht alternativlos. Auch wenn wir so leben, als ob. Wir tun so, als ob unsere Welt und unsere Form von Gesellschaft der Gipfel des Zivilisatorischen wären. Fortschritt, Messbarkeit, Rationalität und Vorrang des Ökonomischen sind die Grundkonstanten unseres Denkens. So haben wir uns unsere – westliche – Welt gebaut. Und wir tun so, als müsse das so sein.

Aber die Welt ist nicht alternativlos. Behauptet auch Papst Franziskus: „Die COVID Krise hat sichtbar werden lassen, dass unsere Lösungen und unsere Weise die Welt zu organisieren nicht der Realität entspricht. … Eine Wirtschaft, die Wachstum um jeden Preis als oberstes Ziel betrachtet, ist nicht weiter haltbar.“

Unsere Welt ist nicht alternativlos

Dahinter verbirgt sich eine Vision. Keine gesetzte Vision, kein genaues Konzept, keine Prophetie einer besseren Welt. Dahinter verbirgt sich vielmehr eine Dynamik, beginnend mit der Einsicht, dass es so nicht weiter gehen kann. Ich möchte diese besondere Version einer Vision Franziskotopie nennen.

Das Wort habe ich sozusagen geklaut. Oder geliehen. Und zwar vom senegalesischen Autor Felwine Sarr, dessen Buchtitel „Afrotopia” ich etwas abgewandelt habe. Sarr spricht davon, dass wir die „Vorstellung von menschlichem Vorschritt“ aus der kollektiven Vorstellung der Welt verdrängen müssen. Nur so schaffe man Raum für andere Möglichkeiten. „Das Offene denken bedeutet, das Leben, das Lebbare, das Gangbare anders zu denken als im Modus der Quantität und der Habgier.“ (Sarr, S.14)

Anders denken als im Modus der Quantität

Ganze Kapitel dieses Buches klingen wir mit Papst Franziskus parallel gelesen. Sarr spricht natürlich über Afrika und dessen genuine, nicht von außen bestimmte Zukunft. Bisher würde ein ganzer Kontinent von außen beschrieben, die Mythen des Westens, ausgedrückt in „gängigen Worthülsen wie ‚Entwicklung‘“, abzulösen. Interessant ist, dass das ein geistiges Buch ist, das von Vorstellungen von Welt und von Mythen spricht. Besonders hier gibt es starke Parallelen zum Papst, auch wenn die Absichten unterschiedlich sind.

Ähnlich argumentieren aber auch die vom Papst in seinem Buch genannten Wissenschaftlerinnen. Oder die sich in deutscher Sprache gut verkaufende Ökonomin Maja Göbel, die von Denkbarrieren spricht und schreibt.

Franziskotopie, das wäre also der „andere Ort“ – Topos – von dem man aus denkt. Ausgangspunkt für den Papst ist der Rand, von dem man aus schauen muss, um neue Perspektiven zu entdecken. Aber sind auch allgemein religiöse Überzeugungen, die einzigartige und nicht von Fortschritts-Vorstellungen geprägte Einsichten schaffen können. Religionen „sind Quelle des Guten“, sagt Papst Franziskus. „Sie erzeugen Überzeugungen der Solidarität und des Dienstes, welche die Gesellschaft als Ganzes stärken können. Sie sind Orte der Versöhnung, an denen die Menschen erfahren, aus dem Markt Ihnen niemals wird geben können: ihren Wert als Menschen, und nicht nur ihren Wert als Arbeitnehmer oder Verbraucher.“

Keine Statik, kein Stillstand

Franziskotopie – das Wort ist aber auch geliehen von Michel de Certeau SJ und seiner Idee der Heterotopie, des „Andernorts”. Das sind keine statisch verstandenen Orte, sondern dynamische Räume des Vorläufigen. Orte organisieren Dinge, nebeneinander, in Beziehung zueinander, übereinander, all das folgt vor allem der einen Regel, dass nicht zwei Dinge gleichzeitig am selben Ort sein können. Räume hingegen oder Andern-Orte entstehen erst durch Richtungen und durch Zeit, schreibt Certeau. Raum besteht in der Begegnung von beweglichen Dingen. Er ist nie stabil, wie auch das gesprochene Wort nicht.

Sehr abstrakt, zugegeben, aber man darf ja ruhig mal den Kopf anstrengen. In jedem Fall soll das sagen, dass die Ideen des Papstes nicht in freiem Raum schweben. Er ist mit seinem spirituellen Beitrag Teil einer weiteren Debatte.

Und dass wir die führen müssen, dass machen uns die Krisen klar. Ein zurück kann es nicht geben, wie der Papst formuliert: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“.

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Covid, Gesellschaft, Papst Franziskus, Papstbuch, Vision, Zukunft1 Kommentar zu Francescotopie

Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

Veröffentlicht am 4. Dezember 20204. Dezember 2020
Träumen ist keine Phantasterei Ein sehr persönlicher Papst

Es geht um etwas, was uns übersteigt. Was größer ist. Wohin wir nur kommen, wenn wir uns zu träumen erlauben. Träumen ist keine Phantasterei, träumen bedeutet hinaufreichen, über den Horizont blicken, sich nicht von vermeintlichen Mauern einschränken zu lassen.

So etwas braucht es heute. Und deswegen hat Papst Franziskus ein Buch darüber geschrieben. Heute kommt es auf den Markt: „Wage zu Träumen! Mit Zuversicht aus der Krise.” Es ist kein Ratgeber-Buch, kein seichter Ermutiger. Es ist ein Projekt, das Großes will.

Träumen ist keine Phantasterei

Das Träumen war immer schon wichtig für diesen Papst. „Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln…“ schreibt er in Evangelii Gaudium (27). Traum ist ein Schritt zur Veränderung, zum Wandel. Traum ermöglicht. In den Augen des Papstes selbst da, wo wir das gar nicht mehr sehen. Deswegen ruft er zum Beispiel Obdachlosen zu „Hört nicht auf zu träumen!“ Das Träumen, von dem der Papst spricht, ist kein Rückzug. Kein in sich Kehren, keine Innerlichkeit. Es will zu konkretem Handeln führen.

Dieses Buch will träumen. Was aus diesem Papst aber keinen Traumtänzer macht, im Gegenteil. Träumen ist nicht etwa eine Abkehr vom Realismus. Es braucht einen geschärften und ideologiefreien Blick auf die Wirklichkeit, um träumen zu können. Und träumerisch-realistisch war auch schon die jüngste Enzyklika. Und so kommt auch der ins Buch. Manchmal holzschnittartig, immer aufrüttelnd, oft sehr persönlich.

Ein sehr persönliches Buch

Wie gesagt, es ist ein sehr persönliches Buch geworden, vielleicht das Persönlichste. Der Papst erzählt von eigenen Krisen, von Rückschlägen und seiner Krankheit und berichtet auch vom Frust, den er damals in Deutschland erlebt hat. Aber er berichtet auch von dem, was er etwa im Studium von Romano Guardini gelernt hat. Über den wollte er ja promovieren, woraus nichts wurde. Aber geprägt hat Guardini den Papst sehr: „Guardini hat mir den Wert des unfertigen Denkens gezeigt. Er entwickelt einen Gedanken, aber dann begleitet er dich nur bis zu einem Punkt, bevor er dich innehalten lässt, um dir Raum zum Nachdenken zu geben. Er schafft einen Raum, in dem du der Wahrheit begegnen kannst.“

An dieser Stelle werde ich sicherlich noch auf das Buch zurück kommen, zuerst aber vielleicht zwei Dinge. Erstens: es lohnt die Lektüre!

Aufbau gegen Widerstände

Und zweitens möchte ich einen Aufruf des Papstes heraus nehmen, den ich für bezeichnend halte: das Nehemia-Projekt. Der Papst spricht über den Propheten und das alttestamentliche Buch gleichen Namens, in dem es um den Wiederaufbau Jerusalems nach der Katastrophe geht. Um Aufbau auch gegen Widerstände von außen. Und um die Freude, die Stärke schenkt. Das ist das, was ihn an Nehemia beschäftigt und wo er Berührungspunkte zu seinem eigenen Traum-Wagnis sieht. Und so schreibt er:

„Jetzt ist der Augenblick für ein neues Nehemia-Projekt gekommen, einen neuen Humanismus, der die Aufbrüche von Geschwisterlichkeit nutzbar machen und der der Globalisierung der Gleichgültigkeit und der Hyperinflation des Individuellen ein Ende setzen kann. Wir müssen wieder das Gefühl haben, dass wir einander brauchen, dass wir eine Verantwortung für andere haben“.

Und damit wären wir auch beim Anlass des Buches: wie kommen wir aus der Corona-Krise heraus? Was wollen wir danach aufbauen? Wie unsere Welt, in der so viel zusammen gebrochen sein wird, neu gestalten? Dass Papst Franziskus mit der Art und Weise, wir wir unsere Welt vor allem wirtschaftlich geordnet haben, nicht einverstanden ist, ist kein Geheimnis. Auch aus religiösen Gründen nicht. Aber während der Papst in der Vergangenheit eher allgemein gesprochen hatte, ist es nun eine sehr konkrete und weltweite Krise, für die er eine Perspektive entwickelt.

Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist, das ist das Mantra des Buchs. Und deswegen: „Wir brauchen die Fähigkeit der stillen Reflexion, Rückzugsorte von der Tyrannei des Dringenden.“ Wir brauchen die Fähigkeit zu träumen.

Was will der Papst mit seinem Buch?

Was will der Papst mit seinem Buch? Zunächst einmal nimmt er eine von ihm gewohnte Perspektive ein: Man sieht die Realität besser von ihren Schwachstellen aus, von der Peripherie. Das wird in der Krise besonders sichtbar. Nicht die Stärken bestimmen seinen Blick auf die Welt, sondern eben diese Schwächen.

Mit diesem Blick schaut er auf Covid, aber daneben zählt er auch die anderen Schwächen und Krisen der Welt auf, die im Augenblick in den Hintergrund gerückt sind, etwa fehlende Schulbildung für viele Kinder oder den Hunger. Seine Angst ist, dass wir alle hart daran arbeiten, den Zustand von vor der Krise wieder her zu stellen. Seine Angst ist es auch, dass das, was in der Krise sichtbar geworden ist, nachher wieder zugedeckt wird. Und so einsichtig das ist für Menschen, deren Existenz jetzt bedroht ist, so war das System von davor doch Teil des Problems. Deswegen sein Mantra: Man kommt nicht so aus einer Krise heraus, wie man hinein gegangen ist. Es ist an uns, das zu gestalten.

Das Mantra des Papstes

Und genau darum geht es in dem Buch: gestalten. Die Gleichgültigkeit und das sich nicht zum Nachbarn und Schöpfung kümmern, das seien keine Optionen mehr. Leider sei unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Welt genau darauf aufgebaut. Und geschützt werde das von einer inneren Haltung, der – wie er es nennt – „abgeschlossenen Geisteshaltung“, der er eine großen Teil des Buches widmet. Es ist eben keine abstrakte Kritik am „System“, sondern konkret, für jede und jeden handhabbar. Wir können auf uns selber schauen, wenn es um die Überwindung der Krise geht. Und das ist sein Anliegen.

Nicht „man müsste mal“, sondern ganz praktische schauen auf sich selbst und die eigene Haltung und das eigene Herauskommen aus der Krise. Natürlich hat der Papst auch wieder Wirtschaftskritik im Gepäck, das Wachstums-Prinzip sei nicht länger haltbar. Er argumentiert auch für ein Gundeinkommen und hat andere konkrete Ideen. Aber der Kern ist dann doch das, was wir geistlich als „Umkehr“ bezeichnen.

Der „Feind der menschlichen Natur“

So ist der spannendste Teil des Buchs eben die spirituelle Anleitung. Er spricht vom „Feind der menschlichen Natur“, also von dem, was uns von uns selbst, vom Nächsten und von Gott entfernt und letztlich destruktiv ist. Er macht sichtbar, wie dieser „Feind“ agiert und unser Leben beeinflusst. Er bedient sich durchweg einer spirituellen Sprache, welche die Worte Versuchung, böser Geist, Geisteshaltung und Demut kennt.

Der Schlussakkord: Wenn wir besser aus dieser Krise herauskommen wollen, müssen wir die Idee zurück gewinnen, dass wir als Volk ein gemeinsames Ziel haben. Die Pandemie hat uns daran erinnert, dass niemand alleine gerettet wird.

Das Ziel Gemeinwohl, das Ziel „träumen”

Gemeinwohl ist das Ziel, ausgedrückt in dem in unserer Sprache vielleicht etwas sperrig klingenden Wort „Volk“. Gemeinwohl ist viel mehr als die Summe des Wohls der Einzelnen. Und das ist ja aktuell, wie der Impfstoff-Nationalismus dieser Tage sehr deutlich zeigt.

„Indem wir diese Fragen stellen, öffnen wir uns für das Handeln des Geistes. Wir können beginnen zu unterscheiden, neue Möglichkeiten sehen, wenigstens in den kleinen Dingen um uns herum oder in den alltäglichen Dingen, die wir tun. Und indem wir uns diesen kleinen Dinge überlassen, beginnen wir, uns eine neue Weise des gemeinsamen Lebens vorzustellen, des Dienstes an unseren geliebten Mitgeschöpfen. Wir können anfangen, zu träumen.“

Was den Papst interessiert, sind nicht einzelne Rezepte, sondern der Prozess des Wandels. Es geht ihm religiös gesprochen um die Dynamik der Bekehrung. Um ein „Pilgern“, ein sich bewegen, ein nicht da stehen bleiben, wo man es vermeintlich behaglich eingerichtet hat und wohin man zurück will. Das geht aber nicht mehr,

Denn noch einmal: „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Wir kommen nicht aus der Krise heraus, wie wir hinein gegangen sind. Es ist an uns, das zu gestalten.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Aufbau, Buch, Corona, Covid, Gesellschaft, Krise, Papst Franziskus, Politik, War zu Träumen6 Kommentare zu Papstbuch: Das Nehemia-Projekt

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Veröffentlicht am 1. Dezember 20201. Dezember 2020
Der Welt geht es nicht gut Ein Buch, frisch aus Rom

Rassismus und Ausgrenzung. Die Missbrauchskrise. Die Polarisierung von Gesellschaft und Politik. Eine zerstörerische Form der Wirtschaft. Und natürlich allem voran die weltweite Corona-Krise: Der Welt geht es gerade nicht besonders gut. Papst Franziskus äußert immer wieder dazu, nun aber ausführlich und konkret an der Corona-Krise aufgehängt. Und er tut es  ausdrücklich aus einer geistlichen Perspektive. (Nebenbemerkung: die muss man nach den medialen Verarbeitungen der Vergangenheit allerdings erst gegen Widerstände entdecken. Aber das lohnt sich).

Es ist ein ganzes Buch geworden, entstanden aus Gesprächen und Austausch mit dem britischen Journalisten Austen Ivereigh. Die erste Version des Buches, die Originalsprache Englisch, ist seit heute auf dem Markt. Eine deutsche Übersetzung folgt am 4. Dezember. Und dann schreibe ich hier auch mehr zum Inhalt. Aber etwas schon mal vorweg:

Der Welt geht es nicht gut

„Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein. Aber die Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig es ist, für eine gesunde Welt zu arbeiten“. Dieses Papst-Zitat steht über dem nun veröffentlichten Buch, und es gibt sehr gut die Zielrichtung wieder. Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst sich dazu äußert, nun tut er es aber ausführlich und darüber hinaus leidenschaftlich und sehr persönlich.

Zur Transparenz ein persönliche Bemerkung: In den vergangenen Monaten konnte ich nicht nur das Buch schon lesen, sondern ich war auch an seiner Übersetzung beteiligt. Spannend, auch weil der Papst selbst bis zuletzt sehr aktiv bei der Erstellung beteiligt war.

Ein sehr persönliches Buch

Und auch wenn es ein Papstbuch ist, der Helfer beim Zustandekommen war der Papstbiograph Austen Ivereigh. Und dem habe ich zum Erscheinen einige Fragen gestellt:

Hagenkord: Austen, du hast das Projekt begonnen und ausführlich mit dem Papst an diesem Thema gearbeitet, was sagt Franziskus, das andere noch nicht gesagt haben?

Austen Ivereigh: Dies ist das erste Buch eines Papstes als Antwort auf eine globale Krise, ein Buch, das uns geistliche Orientierung inmitten einer Krise bietet. Natürlich hat er das schon seit dem berühmten Urbi et Orbi vom 27. März dieses Jahres an getan, aber hier tut er dies in einer konzentrierten, intimen, direkten Weise. Er spricht sozusagen zu jedem von uns als Individuen und zu uns allen als Gemeinschaft.

Das große Thema des Buches ist, wie wir vermeiden können, die Chance dieser Krise zu verpassen, indem wir Gott in die Geschichte – in unsere Geschichte – hineinlassen und den Versuchungen und Hindernissen ausweichen, die dazu führen, dass wir diese Chance verpassen. Es ist so etwas wie eine ausführliche Meditation zum Hölderlin-Zitat aus dem Prolog des Buches: „Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch“.

Ich glaube nicht, dass dies jemals zuvor getan wurde. Und obwohl das der Schwerpunkt ist, erstreckt sich das Buch weit über viele Themen, die er als Papst noch nie zuvor, zumindest nicht auf diese Weise, angesprochen hat. Von diesen Themen möchte ich sein Verständnis von Leitung durch Frauen als Zeichen der Zeit erwähnen; außerdem seine Meditation über die „abgeschottete Geisteshaltung“ als eine Form der Abwendung von der Sendung der Kirche – die Versuchung von Eliten und kleinen Gruppen von Puristen, sei es auf der linken oder rechten Seite der Kirche; ich möchte nennen seine Sichtweise auf die Unterscheidungsprozesse während der Bischofssynoden seines Pontifikats; und schließlich die These in Teil III des Buches, dass unsere vielfältigen Krisen ihren Ursprung im Verlust des Sinns für die Würde des Volkes haben und wie wir die Wiederherstellung dieser Würde zum zentralen, übergeordneten Prinzip unserer post-Covidischen Welt machen müssen. All dies ist neu. 

Hagenkord: Es ist nicht das erste Mal, dass der Papst über unseren Weg aus der Krise spricht, es gibt sogar ein kleines Buch mit seinen Texten. Was macht diesen neuen Text besonders?

Ivereigh: Was ‚Let Us Dream‘ als Text einzigartig macht, ist, dass er die Frucht der vielen Gespräche ist, die Franziskus und ich im Laufe des Sommers geführt haben, aber dass er nicht als Interview, sondern als Narrativ geschrieben ist. Es ist in drei Teile gegliedert: „Eine Zeit zum Sehen”, „Eine Zeit zum Wählen” und „Eine Zeit zum Handeln“.

Jeder Abschnitt fühlt sich sehr unterschiedlich an, aber jeder ist ein wichtiger Teil eines Prozesses der Umkehr: Lernen, die Wirklichkeit zu betrachten und von dem, was wir sehen, berührt zu werden; lernen, zu unterscheiden, was von Gott ist und was Gott ablenkt oder untergräbt; und mutig im Einvernehmen mit dem Guten Geist handeln, um eine neue Zukunft herbeizuführen: eine Wirtschaft, die sich um die Armen kümmert, Zugang zu Arbeit ermöglicht und der Natur Raum gibt; eine Politik, die den Menschen nicht nur eine Stimme, sondern einen Platz am Tisch gibt; und eine Gesellschaft, die die Geschwisterlichikeit widerspiegelt, anstatt sie zu untergraben.

Auch wenn ich die Fragen gestellt und die ersten Entwürfe gemacht habe, habe ich eigentlich nur das Gerüst bereitgestellt, an dem er seine Einsichten und Anleitungen aufhängen konnte. Auch die Tatsache, dass es sowohl in Englisch als auch in Spanisch verfasst wurde – wir haben zwei Originaltexte erstellt, von denen die anderen Übersetzungen, einschließlich der deutschen, angefertigt wurden – war ein weiteres Novum in der Geschichte solcher Bücher. Es gab bereits erste Reaktionen dazu, wie natürlich Franziskus auf Englisch klingt. Ich scherzte mit ihm, dass er in ‚Let Us Dream‘ der am natürlichsten englisch klingende Nachfolger des heiligen Petrus seit Adrian IV. im zwölften Jahrhundert ist, der einzige englische Papst überhaupt! Das gefiel ihm, glaube ich. 

Hagenkord: Glaubst du, dass Franziskus eine Chance hat, mit diesen Themen gehört zu werden?

Ivereigh: Er wird bereits gehört. Teile des Buches wurden zusammen für einen großen „Op Ed” in der New York Times letzte Woche verwendet, der einen großen Eindruck hinterließ. Es wurde in La Repubblica in Italien, ABC in Spanien und The Times hier im Vereinigten Königreich auszugsweise veröffentlicht. Und es hat wegen seiner akuten Beobachtungen über die Krise, über Frauen, über die Verfolgung der Uiguren (die eine verärgerte Reaktion der chinesischen Regierung auslöste) eine weltweite Berichterstattung ausgelöst – also ja, er wird gehört.

Und all das, bevor das Buch tatsächlich herauskommt und gelesen wird. Meine Hoffnung für ‚Let Us Dream‘ ist, dass sich die Menschen jenseits der Schlagzeilen und der aufmerksamkeitsstarken Dinge darin, die verblassen werden, mit der spirituellen Weisheit und Leitung im Herzen des Buchs beschäftigen. 

Hagenkord: Der Papst will unsere Meinung oder unsere Denkweise ändern. War er bei seinem ersten Leser, also bei dir, erfolgreich?

Ivereigh: Auf Englisch sprechen wir von „preaching to the choir”, und in meinem Fall gebe ich gerne zu, dass ich nicht nur sein Biograf, sondern auch ein Schüler bin. Mein Denken und meine Denkweise haben sich durch Franziskus in den letzten sieben Jahren grundlegend verändert.

Du könntest also erwarten, dass ich von meiner Einstellung nicht viel ändern musste, während ich mit ihm an ‚Let Us Dream‘ arbeite. Und doch hat es mich verändert.

Ich stelle mir die Frage, ob ich mich während dieser wiederholten Lockdowns hinter meine Rollen und Funktionen zurückziehe oder ob ich, wie Franziskus drängt, hinausgehe, um zu dienen. Ich denke viel über seine Herausforderung an uns nach, diese Gelegenheit zum Wandel nicht ungenutzt verstreichen zu lassen; ich höre den Nachrichten zu und frage mich: Warten wir nur darauf, zum Status quo ante zurückzukehren? Die Antwort darauf lautet größtenteils ja.

Und doch verfolgt mich das, was der Papst uns sagt: dass wir nicht zurückgehen können, dass man in einer Krise wie dieser entweder besser oder schlechter wegkommt, aber nicht mehr derselbe sein wird. Ich denke also, die Herausforderung des Buches ist, wenn überhaupt, größer denn je. 

Und ich glaube, dass es die Menschen verändern wird, so wie mich.

 

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Rom, Spiritualität / Geistliches Leben, VatikanSchlagwörter Austen Ivereigh, Corona, Ivereigh, Krise, Papst Franziskus, Wirtschaft2 Kommentare zu „Lange Zeit dachten wir, wir könnten in einer kranken Welt gesund sein”

Synodalität noch mal neu lernen

Veröffentlicht am 27. November 202024. November 2020
Der Synodale Weg holpert Erster Advent 2019: Pressekonferenz zum Stadt des Synodalen Weges mit Karin Kortmann (ZDK) und Kardinal Rheinhard Marx (damals Vorsitzender der DBK)

Er feiert seinen ersten Geburtstag: vor einem Jahr, am ersten Advent, hat die Kirche den Synodalen Weg begonnen. Zum Lösen der Knoten. Und bei aller Schwierigkeit sah es auch nach einem guten Start ins Leben aus. Bis dann Corona kam. Der Synodale Weg holpert seitdem, es ist nicht mehr so ganz klar, wie und vor allem wann es weiter geht. Die geplante zweite Vollversammlung musste ein erstes Mal verschoben werden, stattdessen gab es Regionalkonferenzen. Die zwar in der Geschäftsordnung oder Satzung nicht vorgesehen sind und deswegen keine Beschlusskompetenz haben, aber anders war eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen nicht möglich.

Nun gibt es schon wieder eine Verschiebung, wieder ist Corona der Grund. Das Ersatz-Format ist anders, aber fest steht, dass wieder keine Abstimmungen formaler Natur stattfinden können. Wie gesagt, der Weg ist holperig geworden. Und der erste Geburtstag, der eigentlich sowas wie die Halbzeit einleiten sollte, lässt vermuten, dass das Ganze noch viel länger dauern wird.

Der Synodale Weg holpert

Dabei ist es aber nicht so, also ob im vergangenen Jahr nichts geschehen sei. Da ist schon ziemlich viel Wegstrecke zurück gelegt worden, positiv wie auch negativ. Negativ, weil sich immer mehr mehr Menschen abwenden von „ihrer“ Kirche. Das wird auch di Synodalität nicht auf einen Schlag wieder gut machen können.

Weiter gekommen sind wir in der Debatte um den Missbrauch, so schräg das gerade in diesen Tagen auch klingen mag. Was ich damit meine: vor einem Jahr gab es noch den konzertierten Versuch, den Auslöser des Prozesses, die MHG-Studie, zu deletimieren. Und damit den Synodalen Weg auch. Gerade die traurigen Ereignisse um die Kölner Studie und den Umgang damit haben aber sehr deutlich gemacht, dass der Missbrauch und die damit zusammenhängenden Phänomene in den Prozess hinein gehören. Wir können kein Forum „Macht in der Kirche“ machen, ohne über den Missbrauch von Macht zu sprechen.

Nicht nur Text

Weiter gekommen sind wir auch als geistlicher Prozess. Wobei gerade hier – in meinen Augen – die größte Gefahr für den Synodalen Weg lauert. Wenn wir diese Dimension nicht für voll nehmen und nur Texte verabschieden wollen, dann passiert gar nichts. Weswegen die Bischöfe sich auch klar in ihrer Vollversammlung dahinter gestellt haben, die Laien im ZDK haben den Synodalen Weg und damit diese Frage gar nicht besprochen.

Im Rahmen der Pressekonferenz zum Abschluss der DBK Herbstvollversammlung hat Bischof Georg Bätzing die Debatte der Bischöfe zusammen gefasst und gesagt: „Das Evangelium so in den Mittelpunkt des synodalen Weges stellen, dass es ein geistlicher Weg wird.“ Und später: „Viele Bischöfe wünschen sich, dass die beiden geistlichen Begleiter noch viel pro-aktiver werden.“ Sie sollen nicht ‚Gebetsanimateure‘ sein, sondern „darauf achten, dass wir miteinander auf einem geistlichen Fundament unterwegs sind. Da wünschen wir uns auch mehr Interventionen, wenn die Wahrnehmung da ist, hier gleitet etwas vielleicht ab“.

„Hier gleitet etwas vielleicht ab”

Mir scheint, dass sich unter dem Begriff „geistlicher Prozess“ verschiedene und teils widersprüchliche Vorstellungen versammeln. Auch sind die geistlichen Elemente, wie wir sie vorbereitet hatten, teilweise zum Ort des Streits geworden, etwa wenn Leute den Raum verlassen oder gar nicht erst zur gemeinsamen Messe kommen. Aber trotzdem ist das ein Fortschritt, weil darüber gesprochen wird.

Nur kurz möchte ich hinweisen auf die vielfältige Beschäftigung mit dem Thema, sei es bei Tagungen oder auch in Fachzeitschriften. Auch das bringt uns weiter.

Jetzt also wieder eine Verschiebung. Schon aus der ersten haben wir gelernt, wir brauchen das Risiko zur Offenheit und dürfen uns nicht durch das Format vor der Realität verbergen.

Das Präsidium möchte – richtigerweise, wie ich finde – aus der Not der erneuten Verschiebung eine Tugend machen: Das sei eine „Chance, mit unterschiedlichen Formaten, Geschwindigkeiten und Prozessen neu Synodalität in unserer Kirche zu erlernen – eine Synodalität, die hoffentlich über den bisher geplanten Rahmen des Synodalen Weges hinaus Bestand hat“, heißt es in dem Brief an die Mitglieder des Synodalen Wegs. Das ist schon auch ein geistlicher Schritt: sich nicht an Formate festklammern.

Der Weg ist halt anders, als wir gedacht hatten.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Kirche, Missbrauch, synodaler Weg11 Kommentare zu Synodalität noch mal neu lernen

Corona: Man schnappt sich die Freiheit, die sich halt bietet

Veröffentlicht am 3. November 20202. November 2020
Kein Gottesdienst Theresienwiese, München Foto (c) Andreas Bohnenstengel

Ein Jürgen Fliege macht noch keinen Gottesdienst. Auch wenn Grabkerzen am Allerheiligenfest angezündet und der vielen Verstorbenen gedacht wird, muss das noch kein Gottesdienst sein. Zum Beispiel der Event auf der Theresienwiese. Auch wenn da gebetet wurde: alles nur Show.

Es war eine „Querdenker“-Demo gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Und weil zu viele Leute da waren, nannte deren Rechtsanwalt das kurzerhand nicht mehr Demo, sondern Gottesdienst. Denn dann hätten die Zahlen-Beschränkungen nicht gegolten.

Kein Gottesdienst

Alles nur üble Show. Liturgie und Gottesdienst ist was anderes. Und alles was Rang und Namen hat, nennt das auch eine Farce. Oder nutzt andere Worte. Auch wenn ich selber ein erklärter Freund gesellschaftlichen Engagements der Kirche bin: das da am Allerheiligenfest war Missbrauch von Religion.

Darauf könnten wir es beruhen lassen. Wenn die Stadt die Demonstranten nicht hätte gewähren lassen. Erst einmal jedenfalls. Auch wenn die Presseberichte danach von nicht eingehaltenem Schutzkonzept berichten, das es ja auch für Gottesdienste hätte geben müssen.

Der Schmutz der Theresienwiese

Wie zynisch muss man eigentlich sein, die angeblichen Freiheiten dadurch verteidigen zu wollen, indem man genau diese verrät? Zur Freiheit gehört auch die Freiheit der Religionsausübung, und genau die wurde hier in den Schmutz der herbstlichen Theresienwiese gezogen.

Alle vernünftigen Kräfte des Landes, der Kirchen und der Stadt München sind sich in ihrer Einschätzung einig. Warum als noch aufregen?

Weil es Anmaßung ist. Und das braucht Widerspruch. Sonst sickert das ein, wird jedes Mal ein Stück normaler und plötzlich haben wir die Freiheit der Religionsausübung ausgehöhlt. Nicht von angeblichen Diktatoren, sondern von selberklärten Freiheitsanwälten.

Liebe Quer“denker“, ihr dürft ja gerne jede Meinung haben, auch ohne Ahnung, aber bitte gefährdet nicht andere damit. Und auch nicht die Freiheiten, die ihr angeblich zu verteidigen gekommen seid.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Corona, Demo, Kirche, München, Querdenker6 Kommentare zu Corona: Man schnappt sich die Freiheit, die sich halt bietet

Den Blick auf Jesus nicht verstellen

Veröffentlicht am 30. Oktober 202030. Oktober 2020
Klerikalismus in der Liturgie Ort des Geschehens, Ort der Inszenierung

„Wo Gott kein Fest mehr wird, hat er aufgehört, Alltag zu sein“: ein Satz von Kurt Marti, der zur Zeit an meinem Rechner klebt. Der passt zu einer Tagung, an der ich – online – in den vergangenen Tagen teilgenommen habe. „Gottesdienst und Macht“ war diese untertitelt, der Untertitel „Klerikalismus in der Liturgie“ gab die Richtung an.

Es ging um Macht. Um Vollmacht, Autorität, um Zugang und Ausübung von Macht in der Liturgie. Und spätestens seit der MHG-Studie wissen wir, dass wir dringend über Macht und deren Missbruch sprechen müssen. Auch in der Liturgie, wie Bischof Ackermann zur Begrüßung sagte.

Klerikalismus in der Liturgie

Den Vorträgen und Debatten bin ich natürlich auch als Priester gefolgt. Auch mir stellt sich ja die Frage, wie ich selber auftrete, handle, Vollmacht als Priester ausübe. Es war also auch eine kleine Gewissens- und Praxis-Prüfung für mich. Außerdem ist Liturgie ja kirchlich kein harmloses Thema, mindestens die Debatte um die außerordentliche Form des Ritus zeigt das immer wieder.

Nun gab es bei der Debatte und der Tagung zwei verschiedene Kritiken an Amt und Macht: zum einen den Klerikalismus. Also nicht im Dienst an Gottesdienst und Gemeinde zu handeln, sondern für sich selbst. Oder auch: die Differenz zum eigenen Profil zu machen. Daneben gab es aber auch grundsätzliche Kritik: die Weise, wie theologisch und liturgisch Amt und Dienst begründet und gestaltet würden, sei nicht sachgerecht.

Nun mag ich die ganzen Debatten hier nicht nachzeichnen, sie ist ja auch noch nicht vorbei und wird mindestens im Synodalen Weg auch weiter geführt.

Glaube ist Fest

Mir geht es hier eher um den Satz vom Eingang. Diesen Charakter von Liturgie, also das Fest, darf das zeichenhafte Handeln nicht verdecken. Fest meint jetzt nicht gute Laune und so, sondern eine Sondersituation, die eben nicht Alltag ist. Im Fest sind die Dinge anders als im Alltag.

Dem steht aber nicht nur Klerikalismus entgegen. Wenn ich im Winter in der Kirche sitze und um mich herum die Menschen in Mänteln in Sitzbänke einsortiert sind, dann frage ich mich schon, ob das noch irgendwas mit Fest zu tun hat.

Wir müssen uns wieder um das Fest kümmern, um die Ausgestaltung und um das, was dem entgegen steht. Das Sprechen über und dann das Gestalten von Liturgie ist eine Quelle von Erneuerung. Wenn wir uns zum Ziel setzen, den Blick auf Jesus nicht zu verbauen. Es gibt Amt und Regeln, es gibt das allgemeine Priestertum und das geweihte Priestertum. Es gibt eine Vielfalt von Liturgien, zu denen vielleicht auch noch neue kommen können. Die Corona-Zeit ermöglicht vielleicht Kreativität aus Not.

All das will belebt sein. Theologisch, aber auch praktisch. Ohne da wird das nichts mit der Umkehr der Kirche und der Ausrichtung auf Verkündigung.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Neulich im Internet, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Glaube, Kirche, Klerikalismus, Liturgie3 Kommentare zu Den Blick auf Jesus nicht verstellen

Glauben sprechen

Veröffentlicht am 20. Oktober 202018. September 2020
Sprache ist eines unserer Mittel: Über Glauben, Sprache, ewige Wahrheiten und die Neuheit des Evangeliums. Das Ganze ist lebendig und nicht immer einfach. Einfach ist's, wenn ein Egel spricht. Fresko in Subiaco

Sprache ist eines unserer Mittel, Glauben zu Verkünden und zu erklären. Ein anderes – laut Papst Franziskus das vorzuziehende – ist das gelebte Christsein, das „Zeugnis“, wie wir es nennen. Aber  es ist die Sprache, die wir hier schon einige Male besprochen haben.

Es ist unsere Aufgabe, „ewige Wahrheiten“ und „deren ständige Neuheit“ übereins zu bringen. Was nicht einfach ist. Der Papst skizzierte das 2013 in Evangelii Gaudium, was ich hier nachreichen möchte.

Sprache ist eines unserer Mittel

„Manchmal ist das, was die Gläubigen beim Hören einer vollkommen musterhaften Sprache empfangen, aufgrund ihres eigenen Sprachgebrauchs und -verständnisses etwas, was nicht dem wahren Evangelium Jesu Christi entspricht. Auf diese Weise sind wir einer Formulierung treu, überbringen aber nicht die Substanz. Das ist das größte Risiko. Denken wir daran: » Die Ausdrucksform der Wahrheit kann vielgestaltig sein. Und die Erneuerung der Ausdrucksformen erweist sich als notwendig, um die Botschaft vom Evangelium in ihrer unwandelbaren Bedeutung an den heutigen Menschen weiterzugeben. « (Ut Unum Sint)“. (EG 41).

Mit dieser Erneuerung unserer Sprache (als eine der Ausdrucksformen, über Kunst etwa wäre eigens zu sprechen) tun wir uns schwer. Aber auch das Klickzahlen-erhöhende Bashing hilft nicht unbedingt weiter, es gibt da ja einen kleinen Markt mit Büchern, die viel kritisieren. Das hilft, es braucht aber mehr als Kritik oder den Rückzug auf das Unkritisierbare, auf das immer-wahre Wort, das nur wiederholt werden will.

Einfach ist’s, wenn Engel reden

Die Schrift spricht immer wieder davon, dass sich Engel direkt an einen Menschen wenden. Gott in direktem Kontakt zu den Menschen, über Wesen, die Gott näher sind als wir. Auf Gott hören geht auch heute noch, mit einer Weise – der Unterscheidung der Geister – werde ich mich demnächst mal hier beschäftigen.

Aber dann unsere Weise des Sprechens daraus zu machen, eine Weise die wirklich Kommunikation und Dialog ist und nicht bestimmen will oder klein beigibt, das ist ein nicht so einfacher Schritt. Aber auch hier gilt die Weisheit von Papst Paul VI.: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Gelehrte, und wenn er auf Gelehrte hört, dann deshalb, weil sie Zeugen sind“.

Einheit als Erweis der Vollmacht

Von diesem Papst stammt auch die Betonung des gemeinsamen Tuns. Verkündigung oder auch nur Sprechen über den Glauben ist nie nur individuelles, sondern immer kirchliches Tun. Es findet in Gemeinschaft statt, ob die nun präsent ist oder nur Kontext.

Paul VI. zum Beispiel spricht in Evangelii Nuntiandi über die Einheit als Erweis der Vollmacht, aber auch über den Skandal des Fehlens dieser Einheit. Das betont die Wichtigkeit dieser gemeinschaftlichen Dimension. „Die Kirche entsteht aus der Evangelisierung durch Jesus und die Zwölf. Sie ist deren normales, gewolltes, ganz unmittelbares und sichtbares Ergebnis”, beides ist nicht voneinander zu trennen: Kirche ohne Verkündigung ist nicht Kirche und Reden über Jesus ohne die Kirche, die Gemeinschaft der Hörenden, gibt es nicht (Nr. 14, siehe auch Nr. 16).

Dem dient der synodale Weg, das ist letztlich der Kern dessen, was wir da vorhaben. Aber nicht nur die im Saal versammelten, sondern letztlich alle, denen Glaube und Kirche am Herzen liegen.

 

 

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Engel, Glauben, Kirche, Sprache, synodaler Weg, Verkündigung8 Kommentare zu Glauben sprechen

Blumen, Blei und Bilder: Anselm Kiefer und die Bibel

Veröffentlicht am 16. Oktober 202012. Oktober 2020
in Bildern denken Anselm Kiefer in Kochel am See

Wir sollten viel mehr in Bildern denken, wenn es um die Bibel geht. Nicht immer historisch, nicht immer moralisch, sondern eben in Bildern. Eine kleine Debatte unter Jesuiten über einem Kaffee: was heißt das denn genau, in Bildern und nicht in Moral die Bibel zu lesen? Wir haben länger und engagiert debattiert, aber nicht wirklich mit einer Lösung gerechnet.

Zum Glück gibt es dabei Hilfen. Eine davon habe ich in Kochel gefunden, im dortigen Franz Marc Museum. Dieses beherbergt zur Zeit eine Ausstellung von Werken Anselm Kiefers, „Opus Magnum“ heißt die Präsentation.

In Bildern denken

Da gibt es einiges an Skulpturen, die sich biblischen Geschichten verdanken. „Jakobsleiter“ heißt eine Vitrine, „Die fünf klugen Jungfrauen“ eine weitere, „Moses eherne Schlange“ eine dritte. Aber auch nicht streng-biblisches, sich aber den biblischen Geschichten Verdankendes findet sich: „Tagebücher der Könige von Juda“ oder „Liliths Töchter“.

Da steht man dann vor einer dieser Vitrinen, drinnen eine Kombination aus verblühten Blumen, Blei, Stein und anderen Materialien, und der Titel weist einen auf einen Zusammenhang hin. Das war es aber auch schon, mehr gibt es nicht. Dann muss ich erst einmal genau hinsehen: was ist das? Wo sind Verbindungen? Wo sehe ich was Neues? Und dann kann ich Assoziieren.

Genau hinsehen und dann assoziieren

Früher war es ja üblich, Glauben und Glaubensinhalte darzustellen. Das waren theatergleiche und sehr körperliche Darstellungen, wie etwa bei Rubens, oder leicht verkitschte Szenen sehr europäisch aussehender Menschen. Das findet man hier in Kochel überhaupt nicht. Im Gegengeil, die Titel weisen zwar in eine Richtung, legen die Geschichte aber nicht aus. Weder historisch noch moralisch. Es sind Bilder.

Die schönste Erfahrung für mich beim Besuch der Ausstellung: Die Frage, was das genau bedeute, stellte sich nie. Bedeutung ist nicht wichtig. Bilder sind es, Assoziationen, innerhalb des Werks wie auch zwischen den Werken. Das hilft auch, wenn ich die Bibel in die Hand nehme. Den Text und die Geschichte erst einmal lassen, was sie sind. Nicht sofort nach Bedeutung fragen.

Nicht immer gleich Bedeutung

Eine Hilfe ist auch, dass nicht die wohlbekannten Bilder aufgerufen werden. Wenn ich auf die klugen Jungfrauen schaue, sehe ich erst einmal verblühte Sonnenblumen. Wenn ich auf die Jakobsleiter schaue, sieht die nicht sehr vertrauenserweckend aus. Die abgestürzten Engel darunter scheinen auch der biblischen Geschichte zu widersprechen.

Aber so ist das ja zum Glück mit Bildern. Das Fremde, hier das Material und die Zusammenstellung, lassen uns anderes sehen. Die Werke sind inspiriert, sie sind keine Darstellungen. Und das sollte uns ja mit der Schrift auch gelingen: uns in unserem Leben inspirieren lassen.

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Glaube und Vernunft, Kunst, Kultur und Können, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Anselm Kiefer, Bibel, Kunst, Schrift30 Kommentare zu Blumen, Blei und Bilder: Anselm Kiefer und die Bibel

Entscheiden und Unterscheiden

Veröffentlicht am 12. Oktober 202011. Oktober 2020
Zeiten von Unsicherheit Das nun erschienene Buch

Was tun in Zeiten von Unsicherheit? Eine Frage, die wir uns heute dauernd stellen. Nicht zuletzt die Debatten um den synodalen Weg, um Theologie und Vorstellungen von Kirche in unserer pluralen Welt machen das sehr deutlich. Wenn wir aber debattieren, was nun zu tun sei, gilt es einige Fallen zu beachten. Versuchungen, wie es die geistliche Sprache nennt. Und Papst Franziskus empfiehlt, zu unterscheiden, noch so ein Wort aus der geistlichen Tradition. Texte aus der Tradition des Jesuitenordens möge helfen zu verstehe, was damit gemeint ist.

„Ideen werden diskutiert, Situationen werden unterschieden.“ Das ist O-Ton Jorge Mario Bergoglio/Papst Franziskus, geschrieben in einem Vorwort zu einem Sammelband von 1987. Die Zeitschrift Civiltà Cattolica hatte den Text von Pater Bergoglio vor fast zwei Jahren neu veröffentlicht. Jetzt ist das Ganze auch auf Deutsch erschienen. Das Buch, das mit dem Text eingeleitet wurde, versammelt außer den Bergoglio-Einleitungen interessante Texte aus der Geschichte des Jesuitenordens, und dazu die Einleitung vom Pater Bergoglio.

Zeiten von Unsicherheit

An dieser Stelle habe ich darüber schon einmal geschrieben, anlässlich der deutschen Ausgabe erlaube ich mir aber eine Auffrischung.

Im Buch abgedruckt sind Briefe von zwei Generaloberen des Jesuiten-Ordens. Von Lorenzo Ricci SJ (gewählt 1758), der erleben musste, wie die Bourbonen-Könige Europas den Orden anfeindeten und schließlich erreichten, dass der Orden aufgelöst wurde. Ricci selber wurde vom Papst in der Engelsburg festgehalten und starb dort auch, ohne Prozess. Jan Roothaan SJ (gewählt 1829 nach der Wiederzulassung des Ordens) erlebte Anfeindungen des erstarkenden antikirchlichen Liberalismus gegen den Orden.

Mehr braucht man nicht wissen, Bergoglio skizziert die Situationen auch nur kurz, um dann auf den geistlichen Inhalt einzugehen. Und die Lehren für Jesuiten – und nicht nur Jesuiten – heute.

Nicht gleich das innere Schwert ergreifen

In solchen schwierigen Situationen treten immer Versuchungen auf, damit beginnt P Bergoglio. Eine Versuchung ist es, über Ideen zu streiten und damit der Ursache für den Zweifel oder die Anfeindung zu viel Macht zuzugestehen. Die beiden Jesuitengeneräle empfehlen also getreu der geistlichen Haltung des Ordensgründers Ignatius, erst mal in sich selber nachzuschauen. Der Leser soll auf die inneren Stimmen hören, statt direkt innerlich das Schwert zu ergreifen und sich gegen etwas oder jemanden zu wenden.

Auffällig sei – so Bergoglio über die Briefe und ihre Schreiber – dass nicht versucht würde, mit den Anfeindungen zu streiten. Normal wäre das Gegenteil: Man beklagt die Ungerechtigkeit und definiert sich als Opfer. Man sieht etwas Bösartiges gegen sich am Werk und dieses Gefühl bestimmt dann die eigene Reaktion. Natürlich gibt es diese Ungerechtigkeit, aber das gerät in der geistlichen Tradition nicht in den Fokus. Thema ist vielmehr die innere Verwirrung, die durch die Anfeindungen ausgelöst werden. Ich wende mich mich nicht gegen etwas oder jemanden, ich schaue erst einmal auf mich.

Innere Verwirrung

Natürlich ging es damals um Ideen, etwa im Liberalismus, der Aufklärung, der Moderne, und auch dort gibt es Irrtümer und Fehler. Aber das lassen die beiden Schreiber erst mal beiseite. Weil Ideen diskutiert werden, die Situation, in der man sich befindet, aber unterschieden wird. Hier ist es wieder, das Wort „Unterscheidung“.

Wahrheit oder Falschheit ist nicht Gegenstand einer Unterscheidung, unterschieden werden nur „Geister“ in der Sprache der Spiritualität. Also was wir innere Bewegungen, Stimmungen, Emotionen nennen würden. Hier gäbe es die von außen ausgelöste Verwirrung, und die könne man unterscheiden: woher kommt das? Was löst das in mir aus? Und dann kann man sein Verhalten danach ausrichten. Nicht als Reaktion auf die Anfeindung oder auf eine Idee, sondern auf dem aufbauend, was ich als Gottes Willen für mich erkenne.

Es geht – und hier ist Bergoglio ausdrücklich – nicht darum, eine Lösung zu finden, die mir Ruhe gibt, bzw. die mich in Ruhe lässt. In Zeiten der Unsicherheit ist Sicherheit nicht die Lösung, sondern ein Friede – auch ein innerer Friede – der von Gott her kommt. Das ist eine steile Ansage, entspricht aber ganz dem geistlichen Vorgehen, das wir auch sonst bei Papst Franziskus sehen.

Nicht Sicherheit, sondern innerer Friede

„Es ist nicht Gott gemäß, die Wahrheit auf Kosten der Barmherzigkeit zu verteidigen, und auch nicht die Barmherzigkeit auf Kosten der Wahrheit, oder ein Gleichgewicht auf Kosten beider,“ heißt es in dem Text. Das muss man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen. Bergoglio buchstabiert das dann aus, man würde entweder ein wahrheitsliebender Zerstörer werden oder ein barmherziger Lügner oder ein paralysierter Verwirrter.

Zurück zur Situation, in der die Briefe spielen: Die Generaloberen sprechen auch von den Schwächen der Jesuiten, was nicht nur eine rhetorische Spielerei ist. Es geht in Zeiten der Anfeidung nämlich darum, den Willen Gottes zu suchen, durch Unterscheidung, und da gehören diese Schwächen oder Sünden und Fehler hinein. Es geht ersteinmal nicht darum, die Auslöser der Anfeindung als solche zu bekämpfen.

Wahrheitsliebender Zerstörer, barmherziger Lügner

Das Betrachten der Verwirrung, welche durch Versuchung oder Anfeindung ausgelöst wird, hat auch den Vorteil, dass ich mich selber nicht mehr in der Position des Opfers sehe. Ich schaue auf all die verschiedenen inneren Bewegungen und sehe mich nicht nur als Opfer, als ungerecht Behandelter. Das vermeidet Selbstgerechtigkeit, welche dem Blick auf den Willen Gottes immer im Weg steht.

Jorge Mario Bergoglio: Briefe in Bedrängnis. Trost in Zeiten der Not. Edition Communio, 2020

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Franziskus, Geschichte, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Bergoglio, Buch, Jesuitenorden, Krise, Papst Franziskus, Tradition, Unterscheidung5 Kommentare zu Entscheiden und Unterscheiden

„Was ganz konkret und naheliegend ist“

Veröffentlicht am 8. Oktober 20208. Oktober 2020
Text für stürmische Zeiten Ort der Inspiration: Assisi

Es ist ein Text für stürmische Zeiten. Eine Pandemie, inmitten von Finanzkrisen und Schuldenspiralen, inmitten von ökologischen Desastern und globaler Erwärmung, die uns alle gefährdet: wie soll ein gläubiger Mensch darauf reagieren? Politisch, sagt Papst Franziskus. So zumindest habe ich seine neue Enzyklika in meiner ersten Betrachtung genannt.

Ich könnte auch träumerisch-realistisch sagen, das träfe es genauso. Angesichts der Stürme um uns nimmt die Tendenz zu, sich nur um sich zu kümmern. Das geschieht entweder unter dem Deckmantel des Liberalismus oder dem des Populismus. Beides beschädigt aber unsere Gewissheit, Teil einer einzigen Menschheit zu sein. Gerechtigkeit und Frieden rücken so in weite Ferne, anstatt unter möglichen Lösungen für unsere Probleme aufzutauchen (FT 30).

Text für stürmische Zeiten

Der Weg, den der Papst vorschlägt: erstens träumen, zweites ganz praktisch handeln. Beides gehört zusammen. Franziskus ist kein Träumer, der fern von der Realität Utopien verfolgt. Träume müssen sich verwirklichen lassen, sonst bleiben sie formal (FT 219). Und hier kommt nun der Samariter ins Spiel: er handelt ganz praktisch. Er tut was.

„Wir können von unten, bei einer Sache beginnen und für das kämpfen, was ganz konkret und naheliegend ist, und bis zum letzten Winkel des eigenen Landes und der ganzen Welt weitergehen – mit der gleichen Sorgfalt, mit der sich der Reisende von Samaria jeder einzelnen Wunde des verletzten Menschen annahm. Suchen wir die anderen, und nehmen wir die uns aufgetragene Wirklichkeit in die Hand, ohne Angst vor Schmerz oder Unvermögen, denn dort liegt all das Gute verborgen, das Gott in das Herz des Menschen gesät hat.“ (FT 78)

Hier wird Nächstenliebe politisch, die Welt prägend.

Politische Nächstenliebe

Aber braucht es dafür überhaupt Nächstenliebe? Reicht nicht das Recht, oder ist das Recht nicht sogar die bessere Grundlage, weil nicht auf Emotion gebaut? Das ist eine Kritik an der Enzyklika. Franziskus will aber keine abstrakte Weltordnung schaffen. Er beobachtet und benennt die Schwächen er gegenwärtigen, setzt dann aber eine Motivation dagegen. Einen inneren Motor, der allen Menschen eigen ist, wenn sie nicht um sich selber kreisen: die Geschwisterlichkeit. Das Zusammen-Gehören.

Und genau das wird für Christinnen und Christen im Samariter sichtbar. Nur so, konkret und handelnd, entsteht das „Wir“.

„Wir werden immer neu gerufen, obwohl es auch als  grundlegendes Gesetz in unser Sein eingeschrieben ist: dass die Gesellschaft sich auf den Weg macht, um das Gemeinwohl zu erstreben, und von dieser Zielsetzung her seine politische und soziale Ordnung, sein Beziehungsnetz und seinen Entwurf des  Menschen immer neu gestaltet. Mit seinen Gesten hat der barmherzige Samariter  gezeigt, dass die Existenz eines jeden von uns an die der anderen gebunden ist: das  Leben ist keine verstreichende Zeit, sondern Zeit der Begegnung.“ (FT 66)

So entsteht ein „Wir“

Und so verlässt die Nächstenliebe auch den Status einer reinen Predigt, nett und ungefährlich. Wie seit Jahren schon die Barmherzigkeit wird auch die Nächstenliebe bei Papst Franziskus weltgestaltend und praktisch. Dazu enthält die Geschichte vom Samariter auch eine deutliche Kritik an Religions-Praxis:

„Bei jenen, die vorbeigehen, gibt es eine Besonderheit, die wir nicht übersehen dürfen: Sie waren religiöse Menschen. Mehr noch, sie widmeten sich dem Gottesdienst: ein Priester und ein Levit. Das ist eine besondere Bemerkung wert: Es weist darauf hin, dass die Tatsache, an Gott zu glauben und ihn anzubeten, keine Garantie dafür ist, dass man auch lebt, wie es Gott gefällt. […] Es gibt hingegen Weisen, den Glauben so zu leben, dass er zu einer Öffnung des Herzens gegenüber den Mitmenschen führt, und dies ist Gewähr für eine echte Öffnung gegenüber Gott. Der heilige Johannes Chrysostomus hat diese Herausforderung für die Christen mit großer Klarheit zum Ausdruck gebracht: »Willst du den Leib Christi ehren? Dann übersieh nicht, dass dieser Leib nackt ist«.“ (FT 74)

Selbstkritik der Religion

Die Enzyklika will ausbuchstabieren, was das nun heißt, Nächstenliebe und Geschwisterlichkeit zu praktizieren. Das geschieht nicht von selbst Es ist auch nicht selbstverständlich, selbst wenn ‚Nächstenliebe‘ ein beliebter Predigtbegriff ist. 

Aber wo soll man anfangen? Franziskus antwortete mit einer katholischen „Sowohl-als-auch“-Strategie: träumen und konkret handeln. Und daran schließt der Papst dann die Sätze an, die vor allen anderen auch in der Kirche selber abgelehnt werden, Sätze aus der katholischen Soziallehre. Das Recht auf Privatbesitz ist nicht absolut (FT 120). Das Recht von Migranten und Flüchtlingen (FT 129). Die Ungerechtigkeit von Krieg und Todesstrafe (FT 255). Das alle bekommt seine besondere Schärfe.

Da darf und kann die Gemeinschaft der Gläubigen nicht abseits stehen. „Wir dürfen nicht alles von denen erwarten, die uns regieren; das wäre infantil. Wir genießen einen Raum der Mitverantwortung” (FT 77). Da muss auch die Kirche das Wort ergreifen:

„Aus diesen Gründen respektiert die Kirche zwar die Autonomie der Politik, beschränkt aber ihre eigene Mission nicht auf den privaten Bereich. Im Gegenteil, sie kann und darf beim Aufbau einer besseren Welt nicht abseits stehen, noch darf sie es  versäumen, die seelischen Kräfte zu wecken, die das ganze Leben der  Gesellschaft bereichern können“ (FT 276).

Kategorien Allgemein, Franziskus, Glaube und Gerechtigkeit, Glaube und Vernunft, Kirche und Medien, Spiritualität / Geistliches LebenSchlagwörter Enzyklika, Fratelli Tutti, Glaube, Papst Franziskus, Politik, Samariter, Solidarität, Wirtschaft29 Kommentare zu „Was ganz konkret und naheliegend ist“

Du wirst noch Größeres sehen!

Veröffentlicht am 29. September 202029. September 2020
Der spirituelle Komparativ „Es sind die Dinge, die ihr nicht kennt, die euer Leben verändern“: Ein Plakat in Rom

Es ist der Satz, den Natanaël von Jesus zu hören bekommt. Der spirituelle Komparativ, Größeres sehen. Der Satz steht am Ende einer ganzen Kaskade von Berufungen. Johannes-Jünger sprechen Jesus an, dann erzählen die es andern weiter, und die dann wieder anderen. Das sitz ihm Kleinen die Kirchengeschichte, die Nachricht von Jesus wird weiter gegeben, und darin erklingt der Ruf des Herrn an jede und jeden.

Der spirituelle Komparativ „du wirst noch Größeres als dieses sehen“ erinnert uns daran, dass das aber nicht statisch bleibt, sondern eine Dynamik enthält. Größeres! Unsere Erfahrungen mit Gott und Glauben haben uns an einen gewissen Punkt gebracht, aber das ist nicht alles, scheint die Schriftstelle uns zu sagen.

Der spirituelle Komparativ

Dieser Satz Jesu klingt wie ein Versprechen, aber er ist auch mehr.

Das Plakat in Rom, das als Bild für diesen Beitrag dient, gibt einen Hinweis: das Größere ist nicht etwa bekannt. Es gibt kein kapitalistisches Verständnis von „immer mehr vom Selben“. Es gibt kein olympisches „höher, schneller, weiter“, dessen was wir kennen. Sondern das Größere ist im Kern unbekannt.

Unbekannt

Uns geht es wie den Aposteln. Wir wissen, wie wir hierhin gekommen sind. Aber was ist da das Größere? Die Kirche anhand der Kriterien, wie wir sie kennen? Und uns besser vorstellen?

Aber wie es dem Apostel gegangen ist, so wird es auch uns gehen: das Größere, das uns versprochen ist, ist noch unbekannt.

Der Papst spricht immer wieder vom Gott der Überraschungen, und genau das ist gemeint. Wer glaubt, zu wissen und sich auf diese seine Überzeugung zurück zieht, den nennt der Papst „in sich selber eingeschlossen“. Das sind diejenigen, die das Größere aus dem Reservoir des Bekannten hervorgehen sehen. Also letztlich aus dem Kontrollierbaren, weil wir es kennen. Gott durchbricht das durch Überraschungen, also durch ein Aufbrechen dieser Sicherheiten, die in unseren Plänen nicht vorkommen.

Nicht aus dem Reservoir des Kontrollierbaren

Die Beton-Form dieses Selbst-Einschlusses sind die Regeln und Normen, die einen gegen derlei Überraschungen absichern und im Fall eines Eintritts verteidigen sollen: „Die Norm gibt (…) die Sicherheit, sich überlegen zu fühlen, eine genaue Orientierung zu besitzen. Darin findet er seine Kraft, nicht im sanften Hauch des Geistes“, wie der Papst sagt.

Das Größere, auf das wir zugehen und zuglauben, lässt sich aber nicht einhegen. Es sind die unbekannten Dinge – so sagt das Plakat – die unser Leben ändern werden.

Ich lese dieses Jesus-Versprechen durchaus als etwas uns „Gefährdendes“. Das gehört dazu. Mein Plädoyer: keine Angst! Das kann man nicht dekretieren, aber wir können uns um innere Offenheit bemühen. Wenn wir denn wollen. Und wenn wir uns an die Seite von Natanaël stellen.

 

Kategorien Allgemein, Die deutschsprachige Kirche, Spiritualität / Geistliches Leben, Sprechen von GottSchlagwörter Berufung, Bibel, Glaube, Jesus, Kirche20 Kommentare zu Du wirst noch Größeres sehen!

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