Es ist nicht leicht, Papst Franziskus zu Gast zu haben. Er besucht ein Land, das damit die Blicke der Welt auf sich gerichtet sieht. Ein Land, das zu den aufstrebenden Schwellenländern gehört, will man mal politisch-ökonomisch denken, das schon jetzt zu den größten Volkswirtschaften der Welt gehört. Man will seinen Platz in der Welt einnehmen. Und dann besucht der Gast Drogenentzugskliniken, Gefängnisse, spricht von den Armen und an die Seite gedrängte, den Rechtlosen, holt Obdachlose an den Altar und ermahnt alle zu mehr Solidarität – wenn auch ohne den erhobenen Zeigefinger – und weist allein dadurch auf Missstände hin. Nicht einfach, Gastgeber des Papstes zu sein.
Ich habe in den vergangenen Tagen mehr als nur einmal an die Deutschlandreise Papst Benedikt XVI. gedacht, vor allem an die Konzerthausrede mit ihrer „Entweltlichung“. Der Papst ist damals, im September 2011, durch das Land gezogen und hat Dinge gesagt, die quer lagen zum Mainstream des Denkens. Vieles ist angeeckt und sollte das auch.
Franziskus geht es ganz ähnlich. Das Jubeln und die Massen an Jugendlichen dürfen nicht darüber hinweg täuschen, dass es eine Herausforderung für die Gesellschaft und vor allem für die Politik des Landes ist, dass der prominente Gast mit jeder Geste und jedem von ihm selbst gewünschten Teil des Programms einen Finger in eine weitere Wunde legt. Wie gesagt: Ungleichheit, Gefängnis, Drogenklinik, Armenviertel und Gewalt, gerechte Welt. Und dazu kommen dann die Inhalte seiner Ansprachen, zum Beispiel an die Jugendlichen: Macht „lío“!, wie das spanische Wort in der Ansprache an die argentinischen WJT-Teilnehmer lautete, also „macht Wirrwar, Durcheinander!“ In einem Land, das gerade wochenlange Demonstrationen vor allem der jungen Generation gesehen hat, kann man das nicht einfach weglächeln, der Papst ist unbequem.
Die Rechte und die Würde der Afrobrasilianer
Paulinho ist ein Freund von mir, ein brasilianischer Jesuit. Er gehört zur afro-brasilianischen Bevölkerung, die erst seit wenigen Jahrzehnten ihr Selbstbewusstsein gefunden und ihre eigene Kultur neu belebt hat. Es gibt in Brasilien mittlerweile einen Festtag der Afrobrasilianer, sie werden endlich als genuiner Teil der Gesellschaft und der Kultur anerkannt. Paulinho hat mir mehr als einmal erzählt, was für ein Kampf gegen die „weiße“ Gesellschaft das für diese Volksgruppe bedeutet hat. Die Geschichte Brasiliens hat da viele Schattenseiten, auch die der Kirche.
So war zum Beispiel der Jesuitenorden lange Zeit der größte Sklavenhalter nach dem brasilianischen Staat, ein Teil unserer Geschichte, der erst seit wenigen Jahrzehnten aufgearbeitet wird. Dass jetzt einer der Nachfahren dieser Sklaven selbst Jesuit und dazu noch Oberer ist, mag heute normal sein, ist aber noch nicht lange.
Schwächen dort, Schwächen hier
Brasilien ist ein verwundetes Land. Die Rede des jungen Lehrers, der im Theater den Papst begrüßte, macht das mehr als alle anderen Ansprachen und Gesten deutlich. Es ist nicht leicht, Gastgeber für den Papst zu sein, aber das wiederholte Ansprechen der Schattenseiten ist sicherlich – wie Franziskus es ausdrücken würde – der einzige Weg vorwärts, um zu mehr Versöhnung zu kommen.
Und jetzt der Blich zurück auf uns selber, denn wenn wir nur nach Brasilien blicken würden, würde das die Absicht des Papstes verfehlen. Denn auch unsere Schattenseiten spricht er an. Jede und jeder hat sie und nur in Begeisterung zu baden würde Franziskus verfehlen.
Und das ist das schöne am Papst: Er kann die Schwächen ansprechen, ohne moralinsauer zu sein, ohne den Zeigefinger zu erheben, immer im Geist des Wortes, das ihm so wichtig ist: ‚Zärtlichkeit’.
Es ist nicht einfach, Gastgeber für Franziskus zu sein, Zuhörer Franziskus’ zu sein. Aber es lohnt sich.
Die Kraft des Hl. Vaters ist atemberaubend anzusehen. Dabei ist er mental so frisch wie ein Zwanzigjähriger. Er will, dass der Heilige Geist in den Menschen alles Überlebte aufwirbelt, um Neues schaffen zu können. Gegenwärtig habe ich den Eindruck, er erhält genug von den Menschen, die er trifft zurück, um selbst gesund dabei zu bleiben. Beten wir, dass dies so bleibt.
Ein sehr schöner Artikel, lieber Herr Pater Hagenkord. Danke. :-).
Könnte man hier im Blog vielleicht auf den Begriff „Wirrwar“ noch einmal genauer eingehen?
Wieviel „Wirrwar“ dürfen etwa europäische Jugendliche „anrichten“? Was wird von ihnen erwartet? Der Papst hat gemeint, die Jugend soll das Evangelium verkünden.
Wie?
„Wirrwar“ zu fordern, ist zudem etwas gefährlich… gerade von einer so alten (und durch und durch hierarchischen/durchstrukturierten) Institution wie der katholischen Kirche.
Die Menschen (zumindest die Europäer) suchen, wenn sie sich einer Kirche anschließen, doch auch nach etwas was Beständigkeit und Spiritualität verspricht… auch junge Menschen suchen danach.
Gestern fand‘ ich die Klosterschwester die beim WJT vorgesungen hat von allen musikalischen Interpreten am Schönsten anzuhören. Mit „Wirrwar“ hatte diese Präsentation gar nichts zu tun… die Schwester war aber um einiges glaubhafter als diese seltsame Truppe die das Lied des WJTs sang. (Entschuldigung, aber da müssen Sie wirklich etwas ändern): Junge Menschen suchen nach Authenzität.
Ich verstehe durchaus, dass der Papst mit „Wirrwar“ vielmehr die Aktivität und Kreativität der jungen Menschen besonders hervorheben will, die Altes hinterfragen um Neues schaffen zu können.
Aber manche Leute könnten unter „Wirrwar“ auch etwas ganz anderes verstehen (Nina Hagen ist zum Beispiel wirr im Kopf … und neuerdings, und ihrer Meinung nach, eine Christin, die die Lehre Jesu unters Volk bringen muss).
Der Papst ist ein sehr charismatischer Mensch, aber er fordert doch sehr viel. Seine Botschaften wirken immer so grandios einfach formuliert, aber im Grunde sind sie hochkompliziert. Das Christentum ist eine sehr komplizierte Religion, wie ich finde.
In anderen Religionen hält man sich an die unzähligen Regeln oder Wege… aber im Christentum muss man ständig nachdenken. Das ist eine Religion, die im Grunde sehr schwer zu vermitteln ist.
@ veruschka
Ja , ich muss Ihnen mit Ihren Ausführungen recht geben. Die Worte unseres allzeit geschätzten Papstes Franziskus
– Macht „lío“! Macht Wirrwar, Durcheinander! Macht Krach, geht auf die Straße, rüttelt auf, lehnt euch auf gegen Korruption und Ungerechtigkeit –
sehe ich auch eher als eine Lunte, Lunten, die viele Pulverfässer zur Explosion bringen könnten.
In allen Altersschichten gibt es besonnene, weniger besonnene und auch unbesonnene Menschen.
Niemand weiß, wie solche Worte auf ein gemischtes Publikum aus verschiedenen Erdteilen wirken könnten.
Ich möchte aber betonen, dass ich derartige Aussagen unseres Pontifex eher als einen „Lapsus Linguae“, aus seiner überschwänglichen Ergriffenheit vom Begeisterungssturm dieser jungen, enthusiastischen, gläubigen Christen geboren, sehen würde.
Vor allem ich als Deutscher fühle mich bei derartigen Statements allerdings aus vergangener Erfahrung überaus betroffen.
Er sagt aber auch und verkündet damit sowohl religiöse als auch politische Botschaften und Werte in einer sehr entschärften Aussage:
„Die Jugend liegt richtig, wenn sie aufbegehrt, auch die Kirche ist gegen Gewalt, Korruption, Rassismus und ungerechte soziale Verhältnisse.
Die Reichen und die Politik sollten das wissen“.
Hier auch noch mal ein Link, der die guten, christlichen Absichten des Papstes Franziskus m. E. sehr trefflich herausstellt:
http://www.abendblatt.de/vermischtes/article118459247/Der-laechelnde-Papst-erobert-die-Jugend-der-Welt.html
Ich bin sicher, Papst Franziskus wird bei geeigneter Gelegenheit dazu sicher noch klärende Worte, basierend auf der Hl. Schrift, ausführen.
Etwas anderes würde ich auch aus seinem christlich fürsorglichen und dienenden Amtsverständnis heraus und im Sinne seines allzeit geliebten Wortes „Zärtlichkeit“ für alle, nicht erkennen wollen.
Ich bin sicher, dass er sich auch mit Papst Benedikt XVI. em. noch ausführlich über diese Problematik beraten wird.
Gott möge beide Papas segnen und sie noch lange, sich gegenseitig befruchtend, im Sinne unseres christlichen Glaubens, für unsere Kirche erhalten und erfolgreich wirken lassen.
Lieber Dolorus,
vielen Dank für Ihre ausführliche und freundliche Antwort und den Link!
Wenn ich nun ganz speziell meine Person nehme, dann macht es aber für mich keinen Sinn, „Gewalt, Korruption, Ungerechtigkeit und Hunger“ in meiner näheren Umgebung zu bekämpfen. Also bleibe ich eine Art „Wohnzimmerchrist“.
Aber gerade die reichen Länder der Welt, wie eben Deutschland könnten sehr viel für die benachteiligten Nationen tun, oder? Und gerade junge Menschen haben dafür ein offenes Ohr.
Ich würde es sehr befürworten, wenn der Papst eine Art „Jugendbeauftragten“ hätte.
Einen wie diesen jungen Mann aus Brasilien (siehe Artikel: „Die Nächstenliebe ist aus der Mode gekommen“). Bitte keinen Geistlichen und über 35-Jährigen. Das „zieht“ bei vielen jungen Leuten im Moment einfach (noch) nicht.
Ich möchte mich engagieren für ärmere/benachteiligte Regionen in der Welt (und ich denke viele Jugendliche oder junge Erwachsene sehen das auch so), aber ich weiß irgendwie nicht wie. Und, seien Sie mir bitte nicht böse, aber mir wäre als eine erste Anlaufstelle zu diesem Thema ein anderer (und sehr glaubwürdiger) Jugendlicher einfach lieber. Super schön wäre es etwa, wenn man ein Beratergremium bilden könnte (vergleichbar mit dem Gremium der Kardinäle, wozu ja auch Kardinal Marx gehört), das aus sehr vorbildhaften (aber nicht langweiligen) Jugendlichen jedes Hilfe benötigenden Kontinentes bestehen würde und mit dem man als interessierter Jugendlicher/junger Erwachsener etwa per Internet kommunizieren könnte. Ich denke, dass viele Jugendliche (auch solche, die nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen und nicht ganz so brav sind 🙂 aber den Papst wunderbar finden) davon angesprochen wären. 🙂
@ veruschka
Franziskus ruft sicher nicht zur Revolution auf aber sicher zu friedlichen Widerstand.
In Agentienen machen die Menschen KRACH indem sie mit Löffeln auf Töpfe schlagen. Sowas kennen wir hier natürlich nicht in etwas kühleren Europa. Die jungen argentinischen Menschen haben Franziskus sicher richtig verstanden.
Ich glaube, dass dies die Zeit der Barmherzigkeit ist, dieser Epochenwechsel —- dieser Ausspruch von Papst Franziskus, ist für mich der wichtigste. Ja, wir können ein Zeitalter der Barmherzigkeit mitgestalten. Dafür brauchen wir aber Mut.
Auch seine lieben Worte über Papst Benedikt XVI. sprechen für diesen Franziskus.