Es ist ein entscheidendes Jahr für das Pontifikat Papst Franziskus: Diese Einschätzung hört man immer wieder, wenn man mit Fachmenschen spricht, mit Vatikan- und Kirchenkennern, Journalisten und kirchlichen Insidern. Wir stecken in der Mitte einer ganzen Reihe von Prozessen, die seit dem 13. März 2013 begonnen wurden: Kurienreform ist vielleicht das erste, dann der Synodale Prozess mit den beiden Versammlungen der Bischofssynode zum Thema Familie, demnächst eine weitere Enzyklika, Ernennungen, die ersten Dinge die in der Kritik stehen und die Frage, wie der Papst damit umgeht: Das alles steckt in diesem dritten Jahr des Pontifikates Papst Franziskus.
Nun sehen wir Vatikaner ja oft den Wald vor lauter Bäumen nicht, jeden Tag ist etwas zu berichten, immer wieder neue Initiativen, Menschen, Reisen, Themen. Trotzdem oder vielleicht deswegen möchte ich versuchen, an dieser Stelle in mehreren Folgen so etwas wie ein Koordinatensystem zu entwickeln. Die Idee dahinter wäre es, die einzelnen Handlungen, Worte, Zeichen, Themen und so weiter des Papstes etwas verstehbarer zu machen. Es soll keine Analyse sein, dafür ist es sicherlich noch zu früh, ich habe auch etwas gegen Bilanzen, das klingt immer so abschließend, aber so ein Koordinatensystem lässt sich nutzbringend beschreiben und ist nach über zwei Jahren sicherlich auch möglich.
Beginnen möchte ich mit der ersten Koordinate auf dem Balkon, am 13. März 2013. Das ist nicht sonderlich originell, fast alle Papstbeschreibungen fangen mit dem Abend nach der Wahl an, aber es ist bezeichnend. Es war einer der definierenden Momente dieses Pontifikates oder anders: es fasst etwas zusammen, was sich danach immer weiter entwickelte.
Kommunikation und Distanz
Wie sehen einen Papst, der Distanzen abbaut. Sein berühmtes „buona sera“, sein Weglassen von trennenden zeremoniellen Gewändern, sein bewusst einfaches Auftreten, das Fahren mit dem Bus, das alles baut Distanz ab. Das kann man dann jeden Mittwoch auf dem Petersplatz sehen oder viel mehr noch bei den Pfarreibesuchen in Rom oder anderswo in Italien: Umarmungen allüberall. Der Papst will Nähe, physische Nähe.
Wir sehen einen genialen Kommunikator. Seine Sprache ist klar und verstehbar, ein Dokument wie Evangelii Gaudium braucht keinen Fachmann für Kirchen-Sprech, um es den Menschen nahe zu bringen, ganz zu schweigen davon, dass es eines der wenigen kirchlichen Dokumente ist, dass zum Lachen anregt.
Zum einen liegt das an der Sprache selber, die sofort verstehbar ist. Er zitiert nicht, schreibt wie er spricht und will vor allem eines: verstanden werden. Es sind keine Texte für die Ewigkeit, sondern kommunikative Akte.
Kommunikative Handlungen
Dazu gehören auch die Sprachbilder, die der Papst nutzt, vor allem in den Morgenmessen. Maria ist keine Postbeamtin, die täglich Briefe zustellt. Wir sollen keine „Museums-Christen“ sein. Kirche ist keine Zollstation. Wir haben alle einen Hochschulabschluss in Sünde. Und so weiter. Diese Bilder werden sofort verstanden, ich behaupte einmal bevor sich das Gehirn analytisch damit befasst hat. Das gilt auch für die bei uns kritisierten Sprachbilder, die Karnickel zum Beispiel. Jedem der dabei war war sofort klar, was der Papst sagen wollte.
Eine Ausnahme muss ich hier machen, und zwar das verkorkste Wort vom Schlagen von Kindern. Aber dass der Papst auch mal Fehler macht, ist eigentlich etwas Beruhigendes, wie ich finde.
Zur Kommunikation gehören auch die Gesten, die Umarmungen, die Handbewegungen. Auch hier ist es besonders intensiv bei den Besuchen, die er in Gemeinden macht und wo er ganz nah bei den Menschen ist, ohne Raum dazwischen. In Neapel war das ganz besonders auffällig, dort hat er eine Volkstribunen-Rede gehalten und nur das wenigste von seiner Aussage lag in den Worten. Der Papst zitiert gerne den heiligen Franziskus: „Verkündet mit allem das Evangelium, und wenn es sein muss, dann auch mit Worten.“
Gesten an den Mauern
Denken Sie an die Mauer in Bethlehem: Der Papst steigt ungeplant von seinem Wagen herab und geht zur Mauer und legt Hand und Stirn klagend an die Mauer, in derselben Geste, wie er es einen Tag später an der Westmauer des Tempels in Jerusalem tun wird. Das ist stark, da braucht man nichts mehr zu sagen.
Damit verändert der Papst das Papstamt. Benedikt XVI. hat es durch seinen Rücktritt geöffnet und dieser Papst verändert es nun. Franziskus will pastoraler sein, ein Hirte. Er hat viel über das Hirtenamt zu sagen und seine schärften Kritiken hebt er sich immer für Hirten auf, nicht nur für die Kurie sondern auch und besonders für Bischöfe, etwa beim WJT in Rio. „Psychologie von Prinzen“ ist eines der Worte, die er dazu geprägt hat.
Er will Begegnung. Begegnung ist überhaupt eines der Zentralworte für Papst Franziskus, vielleicht sogar mehr noch als „Barmherzigkeit“. Und Begegnung muss authentisch sein, man kann sie nicht planen und schon gar nicht beherrschen, Begegnung – da gleicht sie der Barmherzigkeit – verändert alle Beteiligten. Das ist eine Idee, die er im frühen Studium der Schriften von Romano Guardini gelernt hat.
Kultur der Begegnung
Hat er sein Ziel eines pastoralen Papstes schon erreicht? Das können Sie genau so gut beantworten wie ich. Vieles von dem, was Papst Franziskus tut, kann ein anderer Papst anders machen. Aber anderes ist ein für alle mal verändert. Papst Franziskus weckt in der Begegnung – und sei es nur aus der Ferne – eine Sehnsucht von Religion, so wie sie sein sollte. Auch bei mir. Ich spüre das in mir, dass hier jemand ist, der ein Christentum vertritt, wie ich es selber eigentlich auch möchte und das ich mit zu vielen Kompromissen vielleicht zugedeckt habe. Ich spüre, dass sein Reden von den vielen Versuchungen – und nichts kann dieser Papst so gut wie von Versuchungen sprechen – mich angeht und mich unruhig macht. Das ist letztlich Begegnung.
Und a propos Kultur der Begegnung: Letztlich ist das etwas, was wir nicht beim Papst abladen können: schauen wir mal, ob ihm das gelingt. Das ist zum nachmachen gedacht. Nur wenn diese „Revolution“ bei uns in den Gemeinden und Gemeinschaften ankommt, dann hat sie Erfolg. Sich zurück lehnen und abwarten geht bei diesem Papst nicht.
zu den Sprachbildern: Ich verstehe kein einziges dieser Sprachbilder die Sie da so locker auflisten (wirklich nicht!). Gut ich war nicht dabei als er das sagte. Trotzdem frustriert mich so eine Behauptung. Vielleicht machen Sie mal eine Umfrage wie solche Formulierungen verstanden werden. Es würde mich wundern, wenn die Antworten übereinstimmen. (Das mit dem Kinder schlagen ist kein Sprachbild, das verstehe ich. Mein beiden Großväter hätten das auch so formuliert. Das ist halt die Generation.)
Nun, die kurzen Zitate sind vielleicht wirklich zu kurz und verkürzend, sie geben einfach einen Sprechzusammenhang wieder. Sie fassen das zusammen, was er vorher gesagt hat. Deswegen ist meine Verwendung hier so verkürzend vielleicht unfair, ich bitte um Nachsicht. Aber meiner Erfahrung bei vielen Vorträgen und Begegnungen ist, dass der Papst damit bei den Hörern ankommt.
Machen Sie mit diesen Sprachbildern (natürlich incl. Kontext) doch mal eine Umfrage: 1) Verstehen Sie dieses Sprachbild? 2) Was bedeutet dieses Sprachbild? Auf was nimmt der Papst hier Bezug usw. – Meine Erfahrung ist halt bei 1) stimmen viele freudig überein. Der Papst redet einfach, klar, verständlich, man weiß was er sagen will usw.. Bei 2) ist es vorbei mit der Einigkeit. Da ist es dann so, dass man doch nur selbst genau verstanden hat und der andere eben nicht.
Danke für diesen Beitrag, ich empfinde es genau so wie Sie, Herr Hagenkord: dieser Papst hat eine sehr einfache, klare Sprache, die – oft verbunden mit Zeichen – jedermann/frau ohne besondere theologische Kenntnisse verstehen kann, in gewisser Weise eine Theologie der Basis, des Gottesvolkes. Immer wieder habe ich das Gefühl, er spricht mir aus der Seele.
Stimme in allem voll zu – besonders aber im letzten Absatz. Ich finde, Sie haben genau den Punkt erwischt bei diesem Papst. Das Problem ist nur: Wir Katholiken haben in den letzten Jahrzehnten immer viel zu stark gewartet und geschaut auf alles, was “aus Rom” kam – und uns viel stärker daran abgearbeitet als an unserem eigenen Christ- oder Katholischsein. Jetzt haben wir einen Papst, der nicht absoluten oder irgendwie theologisch abgestuften Gehorsam verlangt (wie etwa JPII in “Veritatis splendor”), sondern einen, der “nur” eine Initialzündung gibt – “und was will ich anderes, als dass es brenne” (oder so ähnlich) – und jetzt müssen wir selber ran. Schaumamal, wie weit WIR das schaffen…
Lieber Pater Hagenkord,
vielen Dank für diese Zusammenfassung. Schade, dass man nicht den ganzen Vortag von Hamburg vor sich hat.
Als Ratzinger Papst wurde, hat das deutsche Fernsehen (ARD?, ZDF?),eine Zusammenfassung der Pontifikate der vorigen Päpste gesendet, Pius XII, Johannes XXIII, Paul VI. Mir ist in Erinnerung geblieben, dass als Johannes XXIII schon im Sterben lag, ein Kurienkardinal (Merry de Val?) ihn um Verzeihung bat, weil er schon immer gegen ihn gearbeitet hat.
Ich frage mich, wie viele heute gegen Franziskus arbeiten. Dass sie keinen Erfolg haben, dafür müssen wir beten.
Die Kardinäle sind ältere Menschen. Und was man während eines langen Lebens lernt, ist, dass wenn es sich etwas ändert, ändert sich immer zum Schlechteren. Darum sind sie wohl gegen alle Neuerungen.
Ich bin sehr neugierig auf eine Fortsetzung Ihres Koordinatensystems.
Gott behüte Sie
Yvan S. Nagy
Wenn es so ist, wie Sie es sagen, sehr geehrter Pater Hagenkord, und ich stimme Ihnen zu, dass es so ist!, so einfach und klar verständlich, was uns Papst Franziskus vermitteln will, warum schreiben Sie dann Woche für Woche über ihn und analysieren und interpretieren alle seine Verlautbarungen und Gesten von Neuem? Kann man nicht auch einmal über etwas anderes reden? z. B. über Frauen in der Kirche? Oder über Ökumene?
Kann man nicht auch einmal selber denken und sich nicht immer mit dem im Vatikan schon Vorgedachten beschäftigen?
Niemand zwingt Sie, meine Gedanken zu lesen. Ich schreibe hier, was mich beschäftigt und biete das anderen an. Das hat meistens damit zu tun, was für Themen ich gerade bearbeite.
Warum das überhaupt nötig ist? Weil über das erste Verstehen hinaus es noch tiefere Schichten gibt, Theologie, innere Bezüge, die Frage was das für uns hier bedeutet und so weiter. Nur auf Rom hören ist selbst mir zu wenig, ein Austausch gehört dazu und dazu möchte ich beitragen.
Und das Thema Ökumene habe ich hier ausführlich behandelt, das Thema Frauen in der Kirche steht auf der Liste, aber mir fehlt im Augenblick noch eine Idee dazu.
Könnten Sie das Thema “Frauen in der Kirche” nicht beginnen mit einer Art historischer Rückschau? Mich würde sehr stark die Präsenz der Äbtissinnen bzw. auch der Nonnen innerhalb der kK interessieren. Wie viel Einfluss hatten und haben diese? Welche großen Frauengestalten in der kK gab es eigentlich? Mary Ward wäre hier sehr interessant. Erstaunlich ist ja, dass in Zeiten der Unterdrückung von Frauen das Kloster den Frauen die einzige Möglichkeit bot, unabhängig zu sein. Emanzipation und Selbstverwirklichung war dort möglich… lange bevor sie im weltlichen Bereich überhaupt zur Sprache kam. Das ist faszinierend. Kirche und Fortschritt passten und passen gut zusammen – entgegen mancher unüberlegter Statements. Auch das Mittelalter (mit ihm begann die große Blüte der Klöster) war etwa nicht so finster, wie es oftmals dargestellt wird.
Das wäre glaube ein wenig viel für einen Blog, das klingt nach einem großen Projekt.
Schade. Dann muss ich mich halt selbst schlau machen. Was aber auch interessant wäre, wäre eine Auswertung von schon geführten Interviews mit Nonnen und Ordensbrüdern. Im Vergleich würde man gut herausarbeiten können, was den Frauen im Vergleich zu den Männern so auf der Seele brennt… die typische weibliche Sichtweise auf Kirche (also von weiblichen Geistlichen), heißt von Frauen die sich voll und ganz mit der Kirche identifizieren.
Eine herzliche Umarmung Pater Hagenkord! Ich kann ihnen nicht genug danken dass sie uns Franziskus näher bringen möchten.
Franziskus ist für mich ein Mensch der mitten ins Herz trifft, mit jeden Tag mehr.
Ich würde mich sehr freuen wenn sie mal einen Vortrag in Stuttgart halten würden. In diesem Sinne ich freue mich auf weitere Analysen von Papst Franziskus.