Provokation und Herausforderung: Zwei Worte, die in Sachen Kunst immer gerne dann verwendet werden, wenn es um Tabubrüche und Grenzüberschreitungen geht. In der aktuellen Ausgabe von Christ&Welt wird dazu eine Debatte geführt, es geht um Passion und die Darstellung des Leidens anhand eines Altarbildes, das einen mit Fixer-Nadeln-Dornenkrone entstellten Christus am Kreuz zeigt.
Leider sind diese „Herausforderungen“ manchmal arg bürgerlich geraten, euch heute noch diene liturgische Kunst dem Prestige, hatte es vor über einem Jahr an derselben Stelle in derselben Zeitung geheißen. Andere so genannte Herausforderungen – und da stimme ich dem Artikel in C&W zu – sind einfach zu wörtlich und geben dem eigenen Inneren keinen Raum. Sie fallen ästhetisch sozusagen mit der Tür ins Haus.
Aber dann gibt es auch welche, die nicht loslassen.

Ein solches Werk durfte ich vor einigen Wochen in Amsterdam sehen, ich war zu einem Vortrag eingeladen und hatte danach etwas Zeit, mir in der Nieuwe Kerk einen dort ausgestellten Francis Bacon anzusehen. Es stellt die Trauer, Verzweiflung, Sprachlosigkeit des Künstlers angesichts des Selbstmordes seines Lebensgefährten dar. Als Form hatte auch er das Triptychon gewählt, offensichtlich ist die Anlehnung an Altarbilder. Der Tod ist ein Motiv, das Bacon immer wieder gepackt hatte und das mich als Betrachter irritiert zurück lässt, auch heute noch, einige Wochen später.
Kunst oder Machtgestus?
Zurück zum Anfang, zu den so genannten „Herausforderungen“: Ich mag keine Kunst, die wie ein Machtgestus daherkommt wie das in C&W dargestellte Triptychon „Wurzacher Altar“. Der Künstler Manfred Scharpf hat sein Ziel erreicht, wenn die Zuschauer geschockt sind, heißt es im Artikel. Das ist Macht, das ist schlechte Kunst.
Natürlich ist es unfair, einen Bacon dagegen zu halten. Aber das Thema ist wichtig, gerade wenn wir uns in der endenden Fastenzeit dem Leiden nähern und es nicht ästhetisch oder liturgisch wegdrängen wollen. Da ist Provokation hilfreich, aus einschläfernden Denkmustern heraus zu kommen.
Aber auch das kann daneben gehen. Und deswegen mag ich den Bacon, und ich mag andere Passionsbilder. Und deswegen bin ich verstimmt, wenn der große Machgestus als Herausforderung überhöht wird, damit ich, der ich mit der oberflächlichen Grausamkeit nicht viel anfangen kann, mich so richtig schlecht fühle.
Kunst kann mehr als das.
Ihr heutiger Blog, Pater Hagencord, reizt mich völlig zum Widerspruch. Ich kenne beide Trypticha. Und beide empfinde ich als gute Kunst, die in mir unterschiedlichste Gefühle und Assoziationen hervorrufen. Hier ist mein erster Kritikpunkt: Wie kommen Sie zu der Behauptung, was schlechte oder gute Kunst sei? Sie können doch nur mitteilen, was Sie anspricht und was nicht. Sie haben aber ein Generalurteil gefällt und das sehr wohl auch mit einer Macht, die mir auffällt. Häufig sehen wir ja nicht den Splitter im eigenen Auge, dafür sehr wohl aber den vermeintlichen Balken in den Augen Anderer. Kann es sein, dass Sie eine Affinität zu Manfred Scharpf verspüren?
Ich glaube nicht, dass wir hier mit Psychologisieren weiterkommen. Eher mit Physik: Jede Aktion ruft eine ebenso starke Reaktion hervor.
Wie ich zu der Behauptung komme? Weil sich nicht alles Kunst nennen kann. Andere beurteilen, ob etwas Kunst ist, nicht der Macher selber. Und so erlaube ich mir ein Urteil und freue mich über Widerspruch und Debatte.
Lieber Pater Hagenkord,
ich bin ebenfalls, wie Claudia, etwas irritiert über Ihre Beurteilung, was gute und schlechte Kunst ist. Was Kunst ist, kann eigentlich nur jeder für sich selbst beurteilen und darf somit nicht der Allgemeinheit aufgedrückt werden, denn das wäre ja „Machtausübung“.
Ich persönlich finde das Projekt von Manfred Scharpf gelungen – Jugendliche, auch Nichtchristen, nähern sich über dieses Kunstprojekt dem Christentum und es beginnt somit eine Auseinandersetzung mit der Religion. Was das mit Macht zu tun haben soll, verstehe ich überhaupt nicht. Können Sie das bitte erläutern? Ich finde das Triptychon von Francis Bacon nicht ansprechend und nicht aus sich heraus sprechend – der Wurzacher Alter von Manfred Scharpf dagegen sehr! Aus dem Triptychon hätte ich ohne das Vorwissen (Selbstmord des Lebensgefährten) nichts erkennen können. Beim Kunstprojekt des Manfred Scharpf erkenne ich Christus in den heute leidenden Menschen und hat mit seiner Aussage sehr starke Ähnlichkeit mit dem Kreuzweg von Hetty Krist:
http://www.liebfrauen.net/page.php?k1=main&k2=musikkunstkultur&k3=kunstundgeschichte&k4=kreuzweg
Ich sehe es als Macht, wenn eine bestimmte Reaktion auf ein Bild angestrebt wird, hier zum Beispiel der „Schock“. Ich bin nicht mehr frei, mich zu dem Werk zu verhalten, es will etwas ganz bestimmtes von mir. Deswegen benutze ich hier das Wort „Macht“.
Außerdem widerspreche ich dem Gedanken, dass alles Kunst ist, solange es sich nur so nennt. Es unterliegt eben nicht einem rein subjektiven Urteil, „es gefällt mir“ oder „es sagt mir was“ ist noch nicht dasselbe wie Kunst. Man darf Kunst beurteilen, sie ist kein Freiraum der Unantastbarkeit. Denken Sie den Gedanken mal weiter: Wenn wirklich die Subjektivität beurteilt, was Kunst ist, dann regiert nur noch der Preis eines Werkes über die Qualität. Wollen viele haben = gute Kunst. Sagt keinem was = Hungerleiderkunst. Es wird aber sehr viel Kunst gefördert, und das zu recht, ohne dass die Zustimmung möglichst vieler Subjektivitäten eingeholt wird. Man kann beurteilen, was gute und was schlechte Kunst ist. Ich behaupte nicht, dass mein Urteil unfehlbar ist, ganz und gar nicht, aber ich darf mir mein Urteil erlauben wie auch Sie sich das Ihre. Nur finde ich „sagt mir nichts“ nicht wirklich eine Grundlage für die Beurteilung von Kunst.
Ich befürchte, dass die Bewertung von besonders „bildender Kunst“ immer eine subjektive bleibt. Ist sie doch eine wesentliche Ausdrucksform für Gefühle und Gedanken, welche den Menschen bewegen. Kunst ist hierbei weniger das, was Kritiker und Spekulanten für wertvoll und handelbar halten, sondern vielmehr all das, worin der Künstler ein Stück von sich selbst gegeben hat. Sei es ein großes oder ein eher bescheidenes Werk. Es ist immer Ausdruck einer expressiven Schaffenskraft und des Bedürfnisses, sich mitzuteilen. Sie bedeutet „Arbeit mit dem Unbekannten“ mit Hilfe einer „nichtverbalen Sprache“. Die Unbestimmtheit der Kunst nennen die einen Freiheit, andere aber Beliebigkeit. Kunst soll den Pluralismus einer freiheitlichen Gesellschaft verkörpern, doch die Praxis bringt bestimmte Positionen ins Museum während anderen der Weg in die Öffentlichkeit verschlossen bleibt. Für mich ein sehr spannendes Thema, mit dem ich mich seit Jahrzehnten auch als Kunstschaffende intensiv auseinander setze. Aber auch bei der öffentlichen Förderung von Kunst gilt reine Subjektivität, es wird auch gefördert, was häufig opportun ist. Da stimme ich Ihnen zu, es gibt auch die sogen. Hungerleiderkunst, die es nicht in die Museen schafft. Und was ist mit der außereuropäischen Kunst, die fremdartig wirkt und mit ihren Metaphern nicht so schnell zugänglich ist und von uns viel zu selten wahrgenommen wird, weil sie einfach nicht in unsere gewohnten Denk- und Sehmuster hineinpasst.
Ziel der bildenden Künste ist im Grunde, Gefühle im Betrachter zu wecken. Ein Schockzustand ist bei Betrachtung eines Bildes eine extreme Gefühlsregung, die zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dieser Kunst (oder Künstler) führen kann. Dieses Risiko ist Scharpf vermutlich bewusst und klar kalkuliert eingegangen. Ich frage mich, ob das Hervorrufen von „angenehmeren“ Gefühlen bei einer Bildbetrachtung nicht ebenso ein Machtfaktor des Künstlers darstellen kann, nur wird diese Macht als nicht so dominant empfunden, da sie sich subtiler und wohliger gestaltet? Inwieweit gibt der Betrachter eines Bildes oder einer Fotografie dem Künstler „Macht“ über sein Gefühlsleben?
Es ist wirklich nicht legitim das Bild von Francis Bacon gegen das von Manfred Scharpf zu setzen. Zumal gerade Bacon zu meinen Lieblingsmalern gehört. Es geht mir auch so: wenn ich Bilder von Francis Bacon in einer Ausstellung sehe „arbeiten“ sie oft noch tagelang in meinem Kopf. Da ich weder das Originalgemälde von Manfred Scharpf kenne, noch den Artikel in Christ und Welt gelesen habe, nur so viel dazu: Kunst liegt nicht im subjektiven Auge des Betrachters, dort liegen: gefallen, Schönheit, es spricht mich an, ich mag mich damit auseinandersetzten und noch vieles mehr. Was passiert denn im Zweifelsfall: unser berühmt, berüchtigtes Lieschen Müller geht in eine Miro-Ausstellung und ruft aus: „och das kann ich auch, dass ist doch keine Kunst……“ Gibt es gute oder schlechte Kunst? Da würde ich durch keinerlei Fachkenntnis verdorben einfach sagen, wenn es schlecht ist es keine Kunst ….
@Claudia und S.G. Vor kurzem habe ich eine ungeheuer spannende Dokumentation gesehen „Amen – Das Heimweh der Kunst nach Gott“ ein Film über Kunst, Glauben, nicht glauben, wo sind die Grenzen zwischen Blasphemie und Kunst, können sich moderne Kunst und Kirche nach Jahren der Entfremdung und Entfernung wieder annähern?? und vieles mehr. Alles in allem sehr anregend, aufklärend und mit einem unheimlich faszinierenden Pater Mennekes SJ, der durch diesen Film führt.
http://www.youtube.com/watch?v=RgmobrirfEY
Falls der Link sich nicht öffnen lässt: einfach You Tube und dann den Titel: „Amen Das Heimweh der Kunst nach Gott “ eingeben
Liebe Chrisma
Wer aber entscheidet was schlecht ist ? Schlecht gemacht ? Für wen ?
Kunst kommt von können. Nicht nur das pure Handwerk (tradtionelles Kunstverständnis), sondern auch die Idee (ohne Idee keine Entwicklung). Die Kunst hat daher wohl irgend etwas mit Perfektion und/oder Einzigartigkeit zu tun. Und dabei liegt es doch auch im Auge des Betrachters, was Kunst ist. Unter Unbegabten ist ein mäßig Begabter ein Künstler. Unter Hochbegabten ist derselbe mäßig Begabte ein Stümper. Und so ist eben auch die Perfektion/Einzigartigkeit relativ. Bis jemand kommt der noch perfekter ist und/oder ganz anders (also einzigartig). Und wenn die Einzigartigkeit/Perfektion vom Puplikum nicht erkannt wird (weil das Puplikum nicht geschult ist die Einzigartigkeit/Perfektion zu erkennen), so bleibt sie doch vorerst einzigartig/perfekt.
@ Peter Lehmann, die Ästhetische Theorie von Theodor Adorno hilft bei der Einschätzung was das denn so ist mit der Kunst auf sich hat und so einige andere gute bis sehr Bücher und Kunsthistoriker sind hilfreich. Aber ich bin im Zeitalter von Google wohl der letzte Mohikaner der meint das eine Fachausbildung hilfreich sein könnte.
Mit dem ihm eigenen Humor nimmts etwas leichter Pablo Picasso: „Sie erwarten von mir, daß ich Ihnen sage, daß ich Ihnen definiere:
Was ist Kunst? Wenn ich es wüßte, würde ich es für mich behalten. Wohl nichts auf der Welt muß mehr unsinnige Bemerkungen über sich ergehen lassen, wie ein Gemälde in einer Galerie oder einem Museum“. Nix für ungut Peter Lehmann
@ Chrisma
Eben, relativ. Wie auch schlecht relativ ist.
Was heisst denn Macht, kommt Macht nicht überall zum Ausdruck nicht nur in der Kunst sondern überall, auch im Leiden kann sich Macht zeigen. Sehr viel sogar, mehr als sonst wo anders. Erregt das Kreuz bzw. das Leiden am Kreuz nicht auch oft genug Ärger und Atheisten möchten es am Liebsten verbieten. Ich finde nicht das es ein herausfordernder Machtgestus ist, Macht kann nicht ausreichend genug dargestellt werden. Ich verstehe nun mal gar nicht wie man unterschiedliche Künstler so miteinander vergleichen kann, jeder denkt sich doch etwas dabei wenn er sich an ein Werk macht. Ob es nun brotlos oder nicht oft steckt hinter Einfachen mehr als man auf Anhieb sehen kann. Sicher hat auch jener Künstler sich darüber Gedanken gemacht weshalb er seine Dornenkronen aus Spritzen gestaltet, Drogen sind sicher eine moderne Dornenkrone. Genauso wie Francis Bacon sich über Selbstmord Gedanken gemacht hat.
Meines erachtens ist Kunst sehr wohl Subjektiv und sollte und wird bestimmt immer aus der Sicht und dem Gefühl, der emotionalen Befindlichkeit, des einzelnen Betrachters gesehen werden. Das ganze erinnert mich an ein sogenanntes Abendmahlsbild über das man sich hier in Ihrem Blog schon mal aufgeregt hat weil es lauter Armselige, Nackte, Kranke und Leidende dargestellt hat, die sich um den Tisch des Herrn scharrten und das als anstößig bezeichnet wurde.
Ich frage mich, ob nicht mit jeder Kunst eine Reaktion seitens des Künstlers angestrebt wird und die sich wiederum im Letzten auf den Künstler selbst bezieht.
Jede Kunst -auf das Wort des Glaubens bezogen- macht „mich“ doch unfrei von dem, auf was sich jenes Werk bezieht, weil es eben etwas ganz bestimmtes von „mir“ auch will…..wie auch das „Urbild“ etwas ganz bestimmtes von mir will, was aber nicht unbedingt mit dem übereinstimmen muss, was die daraus entstandene Kunst „aussagt“ und somit die Kunst neben einer gewissen „Hilfe“ eben auch zu einem wirklichen Hindernis werden kann, wenn es zuviel Macht über „mich“ gewinnt…; im wahrsten Sinne des Wortes „atemberaubend“ gegenüber dem wird, was die Wirklichkeit ist, das was die Kunst darstellt, d.h. die Kunst aussagekräftiger und lebendiger wird als das was wirklich lebendig ist Der Mensch die Kunst und somit sich selbst zu zum Gott macht……
Ich will damit nicht sagen, dass dem in Wahrheit so ist, sehe aber darin eine große Gefahr, darin wir mit der Kunst uns selbst den „goldenen Schuß“ geben und jene besagte Dornenkrone gar nicht so verkehrt dargestellt ist. Nicht umsonst ist es ja der Wille Gottes, dass wir uns kein Bild von Ihm machen sollen und auch nichts von „etwas im Himmel droben, noch auf der Erde unten….“, was offenbar mehr als unseren Blick, sondern auch unsere ganzen Sinne trüben könnte……und die Folgen uns allgemeinhin bekannt sind.
Kunst ist Kunst ist Kunst Ist Kunst……Da kann man nix machen.Es lont sich aber, zum besseren Verständnis dieser Welt, dieses Planeten, einmal darüber nachzudenken, welche Kräfte und Mächte, welche Instanzen hinter den Heroinspritzen, hinter der Dornenkrone Christi stehen.