Medienethik ist etwas, was sich komisch anfühlt. Leser und User finden es wichtig, die akademische Philosophie rangiert sie aber eher als angewandte Disziplin in die zweite Reihe. Deswegen gab es vielleicht bislang in Deutschland auch noch keinen Lehrstuhl. Bislang.
Jetzt gibt es an der Hochschule für Philosophie in München aber einen solchen Lehrstuhl und seit diesem Dienstag ist der Inhaber bekannt: Prof. Alexander Filipović. Zur Vorstellung hatte die Hochschule zwei Absolventen geladen, die mittlerweile als Journalisten arbeiten, also genau die Schnittmenge, die der Lehrstuhl anpeilt. Es waren Stefan Leifert vom ZDF-Hauptstadtstudio und meine Wenigkeit. Kurz sollten wir aus unserer persönlichen Perspektive heraus würdigen und einschätzen, was wir auch gerne getan haben.
Als erstes darf ich hier die Worte des Kollegen Leifert wiedergeben: Über den Obama-Besuch, eine persönliche Niederlage und was Philosophie mit Journalismus zu tun hat.

Wenn ich von Kollegen oder Politikern im politischen Betrieb Berlins nach meinem Werdegang gefragt werde und dann dass Studium der Philosophie erwähne, entsteht immer wieder dieser kurze Moment der staunenden Ungläubigkeit: „Und damit Journalist geworden?“ Mal implizit, mal explizit, aber immer unverkennbar schwingt da die Vorstellung einer atemberaubend großen Kluft mit. Von der Tiefe des Nachdenkens an die Oberfläche des medialen Dauerrauschens? Von der Muße der Bücher in die Wörter- und Bilderfabriken der Massenmedien? Mögen beide Vorstellungen auch billigen Klischees entspringen: die Kluft lebt!
Auf die Frage: Was macht man denn so mit Philosophie im Journalismus? habe ich mir angewöhnt zu antworten: Was machte man denn ohne? Dazu eine kleine Momentaufnahme aus den letzten Tagen.
Am Tag nach dem Besuch Barak Obamas hatte ich die zweifelhafte Ehre, Gegenstand eines Artikels im Feuilleton der FAZ zu werden. Zweifelhaft deswegen, weil ich als Kronzeuge für das Ende des Journalismus´ im digitalen Zeitalter herhalten musste. Was war passiert?
Zu den jüngeren Leidenschaften meines journalistischen Alltags gehört das Medium Twitter. Ich habe mir angewöhnt, neben den klassischen Berichten für das Heute-Journal oder die anderen Nachrichtenformate des ZDF via Twitter kleine Randbeobachtungen aus dem politischen Betrieb über Twitter zu verbreiten: Zitate, Anekdoten, Absurdes. So kam der Tag des Besuchs von Barack Obama in Berlin. Ich unterzog mich den quälend langen Sicherheitskontrollen, um zur Pressekonferenz der Kanzlerin mit dem US-Präsidenten ins Kanzleramt zu gelangen. Für Journalisten sind das tote Stunden, die einen nervös machen. Der US-Präsident ist da und ich habe nichts besseres zu tun als stundenlang in Schlangen zu warten? Seit es Twitter gibt, ist es ein kleiner Sport geworden, in dieser Zeit die schönsten, lustigsten, absurdesten Randnotizen zu verbreiten.
Kurz vor dem Auftritt von Merkel und Obama dann passierte es. Eine Vertreterin des Kanzleramts schritt zum Mikrofon, an dem in wenigen Minuten der leibhaftige US-Präsident stehen würde. Es wurde still und die versammelte Journalistenschar reckte die Köpfe. Die Dame räusperte sich, um dann zu verkünden: „Auf der Damentoilette wurde ein Ring gefunden!“ Der Saal lachte. Ich griff zum Handy und twitterte: „Wichtige Durchsage im Kanzleramt: Auf der Damentoilette wurde ein Ring gefunden!“
Als ich am Tag nach dem Großkampftag des Obama-Besuchs durch die Zeitungen blätterte, fand ich einen großen Artikel in Feuilleton der FAZ, der die Überschrift trug: „Auf der Damentoilette wurde ein Ring gefunden.“ Was folgte, war ein bodenloser Verriss der digitalen Echtzeit-Kommunikation, wie er schlimmer nicht hätte sein können. Der Tweet über den Ring auf der Damentoilette wurde zum pars pro toto einer Digitalkultur, die auf nicht weniger hinauslaufe als den Tod des Journalismus. Wenn der Ring auf der Damentoilette in den Erzählungen von Journalisten in einer Reihe stünden mit Obamas großer Rede zur Abrüstung, dann, ja dann habe der Journalismus seine Erklär-, Gewichtungs- und Filterfunktion und damit letztlich sich selbst aufgegeben.
Ich fühlte mich ungerecht behandelt. Hatte ich in meinem Bericht im Heute-Journal doch alles gesagt: über die transatlantischen Beziehungen, über Obamas Abrüstungs-Initiative, über der Auftritt vor dem Brandenburger Tor. Und jetzt bleibt eine Schmähkritik über einen Tweet von 140 Zeichen?
Warum erzähle ich das? Nicht, weil ich die These des FAZ-Kollegen für kulturpessimistisch und für ein Missverständnis der journalistischen Digitalkultur halte. Sondern, weil es mir vor Augen geführt hat, in welch spannender Phase der Journalismus, ja die Medienlandschaft als Ganze ist. Der Journalismus hat sich mit den sozialen Netzwerken Verbreitungskanäle erschlossen, deren Regeln noch gar nicht entworfen sind. Wir Journalisten lernen, indem wir benutzen. Mit trial and error erschließen wir uns eine Welt, die wir erstmal nicht besser verstehen als alle anderen auch. Welchen Regeln soll die Twitter-Kommunikation folgen? Was heißt journalistische Qualität hier? Lassen sie die über Jahrzehnte erlernten und bewährten Regeln einfach übertragen? Oder entsteht hier eine eigene Kommunikationsform mit eigenen Gesetzen? Oder eine Mischung aus beidem?
Und hier kommt die Philosophie ins Spiel. Was ist der Ort journalistischer Arbeit in einer digitalen Gesellschaft? Wie lassen sie die leitenden Prinzipien übertragen? Welche müssen neu erdacht werden? Stimmt unser Begriff von Medium und Journalismus, unser Modell von Sender und Empfänger noch? Der Journalismus wäre überfordert, müsste er diese Fragen selbst beantworten.
Und die Reihe der Beispiele für den Bedarf medienethischer Reflexion ließe sich auch über die Damentoilette hinaus natürlich fortsetzen: wie umgehen mit Tränen eines Kanzlerkandidaten? Inszenierung oder ein Moment unverstellter Menschlichkeit? Wie umgehen mit dem zum Pressefoto des Jahres gekürten Bild aus dem Israel-Palästina-Konflikt, das sich dem Vorwurf der Manipulation unterziehen muss? Wie umgehen mit dem verstörenden Bildmaterial aus dem Syrienkonflikt? Die Grenze zwischen Genialität und Scharlatanerie, zwischen beeindruckend und unerträglich ist unscharf.
Schön, dass es für Fragen wie diese nun einen Ort an der Hochschule gibt! Zwischen Kants Prinzip der Selbstzwecklichkeit des Menschen und dem Drücken des Auslösers der Kamera liegen eben doch nicht Welten, sondern nur ein paar Gedanken. Der Philosoph hat für seine Gedanken alle Zeit der Welt. Der Reporter vor Ort, der Redakteur am Schneidetisch, der Verantwortliche für die Nachrichtensendung oft nur ein paar Minuten. Diese Brücke zu schlagen zwischen Kant und Drehort, darin sehe ich – auch – die Aufgabe des neuen Lehrstuhls.
Als Journalist bin ich über den neuen Lehrstuhl für Medienethik sehr froh – als Absolvent dieser Hochschule sogar ein bisschen stolz.
Gestern erst auf Ihren Blog gestossen. Sehr schöner Artikel. Bravo