Ich mag rote Linien. Ich mag es, wenn man über Tagesaktualität hinaus sich alte Dinge hervor zieht, um die Gegenwart in neuem Licht oder anderer Perspektive zu sehen. Und wenn Papst Franziskus morgen – Sonntag – in der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde hier in Rom einen ökumenischen Gottesdienst feiert, dann lohnt es sich vielleicht, sich daran zu erinnern, dass die Päpste Benedikt XVI. und Johannes Paul II. das auch schon getan haben.
Beim letzten Besuch im März 2010 war ich schon in Rom, das habe ich damals mitbekommen. Die – frei auf deutsch gehaltene – Predigt von Papst Benedikt wirkt bis heute nach, die Gemeinde erinnert sich immer noch sehr gut:
„… Zum Christsein gehört das Wir-Sein in der Gemeinschaft seiner Jünger. Und da steht die Frage der Ökumene in uns auf: die Trauer darüber, daß wir dieses Wir zerrissen haben, daß wir doch den einen Weg in mehrere Wege zerteilen, und so das Zeugnis verdunkelt wird, das wir damit geben sollten, und die Liebe selbst nicht ihre volle Gestalt finden kann. Was sollen wir dazu sagen? Wir hören heute viele Klagen, die Ökumene sei zum Stillstand gekommen, Vorwürfe gegenseitig; ich denke aber, zu allererst sollten wir doch dankbar werden, daß es soviel Einheit gibt. Es ist doch schön, daß wir heute, an Laetare, hier miteinander beten, miteinander die gleichen Lieder singen, miteinander das gleiche Wort Gottes anhören, es miteinander auszulegen und zu verstehen suchen dürfen, daß wir auf den einen Christus hinschauen, den wir sehen und dem wir gehören wollen, und daß wir so doch Zeugnis davon geben, daß er der Eine ist, der uns alle gerufen hat und dem wir im Tiefsten alle zugehören. Ich glaube, wir sollten vor der Welt vor allem dies sichtbar machen: nicht allerlei Zank und Streit, sondern die Freude und die Dankbarkeit dafür, daß der Herr uns dies schenkt und daß es wirkliche Einheit gibt, die immer tiefer werden kann und die immer mehr auch zum Zeugnis für das Wort Christi, für den Weg Christi werden soll in dieser Welt. Natürlich dürfen wir uns damit nicht zufrieden geben, auch wenn wir voller Dankbarkeit sein sollen für diese Gemeinsamkeit. Daß wir dennoch in wesentlichen Dingen, in der Feier der heiligen Eucharistie nicht den gleichen Kelch trinken können, nicht am gleichen Altar stehen, muß uns mit der Trauer erfüllen, daß wir Schuld auf uns laden, daß wir das Zeugnis verdunkeln; es muß uns innerlich unruhig machen, auf dem Weg zu mehr Einheit zu sein in dem Wissen, daß zuletzt nur er sie schenken kann, denn eine Einheit, die wir selbst aushandeln würden, wäre menschengemacht und so brüchig, wie alles, was Menschen machen. Wir geben uns ihm, suchen ihn immer mehr zu kennen und zu lieben, ihn zu sehen, und überlassen ihm, daß er uns damit wirklich ganz zur Einheit führt, um die wir in dieser Stunde in aller Dringlichkeit zu ihm beten. …“
Sehr geehrter P. Hagenkord,
Sie schrieben: „Ich mag rote Linien.“ Ich kenne die „rote Linie“ eigentlich nur als Metapher für eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte. Meinten Sie den „roten Faden“, als eine Kontinuitätsmetapher? Oder soll ich Ihren Beitrag eher so lesen, dass Papst Franziskus eine Linie überschreitet am 15.11.?
Nein, Sie haben Recht, das ist wohl eine etwas unschöne Übersetzung aus dem Englischen. Roter Faden ist wirklich besser.
Der geistige Rückblick auf das eigene Leben bringt einen immer wieder in die Situation der Umkehr, der neuen Erkenntnis einer bereits tot geglaubten Angelegenheit. Ich würde mich sogar so weit aus dem Fenster lehnen, zu behaupten, ohne diese Zeit der Rückbesinnungsmöglichkeiten die speziell der Mensch in aktuelle Erkenntnisse umsetzen kann, gäbe es keine menschliche Evolution sondern nur eine natürliche Evolutionsgeschichte. Ich glaube auch, dass sich die menschliche Vergangenheit als gemeinsame Geschichte identifizieren muss, die in ihrer Komplexität von Beginn an verarbeitet wurde, um an ihre Fragwürdigkeit zu appellieren, die aber trotz alledem so erlebt wurde und die offenen Fragen dem Raum überließ, auch wenn wir das heute vielleicht ganz anders erkennen können, weil wir einige dieser Fragen bereits lösen konnten. Der Glaube in seiner Reinheit und Güte erlaubt es dem Menschen diese Geschichte anzunehmen, um sie in ein reines Gewissen zu führen, das an der allgemeinen Erkenntnis arbeitet, um an seinem menschlichen Urgrund zu wachsen, in dem Gefühl für Gerechtigkeit. Leider finde ich persönlich nur noch wenig Bildungsmaterial, das mir die Unvoreingenommenheit entgegenbringt, die eine flexible Denkweise zulässt und meine geistigen Möglichkeiten nicht in ihrer Kreativität einschränkt. Meist sind aktuelle Denkansätze als bestehender Wissensstand verpackt und beinhalten doch oft ein sehr privates Meinungsbild, das dann den Leser in seinen Blick einfängt und ihn nicht als denkendes Subjekt unter eigenen Gesichtspunkten lenkt. Dieser rote Faden, den sie hier ansprechen, Herr Pater Hagenkord, der findet sich in unserem Leben kaum noch und es wird immer schwerer daraus ein Leitbild zu formen, gerade für die bestehenden Generationen. Vielleicht wird deshalb auch die Selbstfindung immer wichtiger, in dieser täglichen Herausforderung sein Ich im Ganzen zu identifizieren, um es dann als solches auch sinnvoll einsetzen zu können. Ich glaube der Mensch will sich in ein Ganzes einbringen, nur weiß er nicht genau, wie das funktionieren soll und versucht deshalb seine Ideen zu verwirklichen statt sich die Wirklichkeit als solche zu erarbeiten, geistig reversibel durch die Möglichkeiten, die uns die Zeit als Menschheit bietet. Für mich ist Gott die Ursache allen Lebens und der Mensch steht dafür im Urgrund der göttlichen Entwicklungsmöglichkeiten, die aber nur durch die Lebendigkeit Gottes ans Licht finden können. Der Glaube ist, wenn sie so wollen, die menschliche Errungenschaft aus dem Anfang, vor Gott, Gott hat ihn uns vermittelt, durch seinen Sohn. Was wäre der Mensch ohne den Glauben und wo stünde er heute ohne Jesus und die Auseinandersetzung mit diesem lebendigen Teil eines Ganzen? Ich glaube der Mensch wäre ein Wesen ohne Geschichte, ohne Vergangenheit und dadurch auch ohne die Möglichkeit zu lernen und sich weiter zu bilden, auszutauschen durch ein Kommunikationssystem, das erst durch diese gemeinsame Grundlage möglich gemacht wurde. Auch wenn uns die Sprache vielleicht heute noch oft voneinander trennt, so sind es ihre Grundlagen, die unsere differenzierten Lebensweisen sinnvoll gestalten können. Sprache ist der Beginn einer Evolution, die alle Menschen in ein gemeinsames Leben führt und ihnen die göttlichen Eigenschaften „zuschreibt“, die nur die Menschheit in der Lage ist als abgeschlossener Wesensbestandteil des Ganzen für die Gerechtigkeit einzusetzen.
Wieder einmal mehr, mein Dank an Sie Pater Hagenkord, sie fordern den Geist und nicht den Widerstand im Menschen mit ihrer Art Texte zu verfassen.
Papst Franziskus heute in der lutherischen Gemeinde:
– die herausragende Bedeutung des Gewissens in einer ökumenischen Ehe und das gemeinsame Suchen der Partner nach Lösungen..
als Gastgeschenk überbrachte er einen Kelch. ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser beim Abendmahl seinen Platz findet..
sehr bewegender Besuch in einer großen Natürlichkeit .