Christsein heute – Gedanken zu einem Papstschreiben, Teil 2
Über das Erkennen der Versuchung zur Erkenntnis des eigenen Weges kommen: eine von Papst Franziskus immer und immer wieder verwendete Methode geistlichen Wachsens und Vorangehens. Auch in Gaudete et Exsultate, dessen zweites Kapitel ich hier anschauen will.
Wer sich verläuft und rekonstruiert, wie und warum er sich verlaufen hat, der findet auch wieder zurück auf den richtigen Weg. Wer nicht weiß, wo er falsch abgebogen ist und in welche Richtung, kann auch mit der richtigen Richtung nichts anfangen, wenn ich das mal etwas grob übersetzen darf.
Subtile Feinde
Es geht dem Papst um zwei Grund-Versuchungen. Der Papst nennt sie “subtile Feinde der Heiligkeit”, aber so subtil sind die manchmal gar nicht. In der dem Papst eigenen Kombination von theologischem Sprechen und pastoraler Übersetzung in ein und demselben Satz sagt er:
“In ihnen kommt ein als katholische Wahrheit getarnter anthropozentrischer Immanentismus zum Ausdruck. Betrachten wir diese zwei Formen vermeintlicher doktrineller oder disziplinarischer Sicherheit, die Anlass gibt zu einem narzisstischen und autoritären Elitebewusstsein, wo man, anstatt die anderen zu evangelisieren, sie analysiert und bewertet und, anstatt den Zugang zur Gnade zu erleichtern, die Energien im Kontrollieren verbraucht. In beiden Fällen existiert weder für Jesus Christus noch für die Menschen ein wirkliches Interesse” (35).
Es geht um Pelagianiamus und Gnostizismus, bzw. um deren heutigen Erscheinungsformen.
Immer wieder nimmt der Papst Bezug auf diese beiden -ismen, die das Drama der menschlichen Freiheit umreißen. Auch die Glaubenskongregation hat sich vertiefend damit befasst. Hier im Blog bin ich deswegen auch schon einige Male auf die beiden – Pelagius und die Gnostiker, vor allem aber auf die -ismen die sich darauf gründen – zu sprechen gekommen.
Über die Versuchung zur Erkenntnis
Deswegen zeichne ich hier nicht noch einmal nach, was der Papst genau sagt, das ist auch besser direkt zu lesen. Ich möchte nur auf etwas anderes hinweisen, was mir in diesem zweiten Kapitel wichtig scheint.
In der Mitte, zwischen den beiden Versuchungen, steckt ein kleiner Abschnitt über die “Grenzen der Vernunft”. Es geht um die Art und Weise, auf die Wahrheit zu reagieren. Da es uns nicht gelingt, sie so auszudrücken, wie wir sie vom Herrn empfangen haben – unserer menschlichen Begrenztheit wegen und weil Gott immer größer ist als alles, was wir ausdrücken können – müssen wir mit dieser Begrenztheit umgehen.
Um damit umgehen zu können, hat Gott uns zwei Dinge gegeben, die Freiheit und die Vernunft. Wir können uns dieser Begrenztheit also stellen ohne vorherbestimmt zu sein und wir können die Bergrenztheit als solche begreifen.
Begrenztheit begreifen
Eine erste Lektion daraus: “Deshalb können wir nicht beanspruchen, dass unsere Art, die Wahrheit zu verstehen, uns ermächtigt, eine strenge Überwachung des Lebens der anderen vorzunehmen” (43). Eine Warnung an all diejenigen, die es als ihre religiöse Pflicht sehen, Religion über Vorschriften zu vermitteln. Wir haben nicht die “Ermächtigung”, Gott hat uns das Mandat dazu nicht gegeben, mag ich übersetzen.
Dahinter liegt aber eine zweire Lektion. Ich mag das mit den Worten eines Soziologen ausdrücken, der im November 2017 in der SZ interviewt wurde und dessen Einsicht bei mir hängen geblieben ist. Stephan Rammler sagt dort:
„Es gibt einen fast paradoxen Widerspruch von Intelligenz und Klugheit, der die gesamte Gesellschaft betrifft. Einerseits sind wir technologisch extrem intelligent. Andererseits schaffen wir es nicht, gesamtgesellschaftlich klug zu handeln. Das liegt aber nicht daran, dass der einzelne Mensch zu blöde wäre. Es gibt Tausende unterschiedlicher Gründe dafür, Bequemlichkeit zum Beispiel. Ein zentraler Grund ist sicherlich das, was ich Pfadabhängigkeit nennen würde: Wir haben in den letzten Jahrzehnten Leitbilder, Lebensgewohnheiten, Selbstverständlichkeiten entwickelt, von denen wir nicht mehr loskommen – selbst wenn sie uns langfristig umbringen. Nehmen Sie das Auto: Unsere gesamte Gesellschaft, der ganze Alltag ist drum herum gebaut. Das macht es so schwer, über alternative Mobilitätskonzepte überhaupt erst einmal nachzudenken.“
Über Alternativen nachdenken
Stephan Rammler spricht über die Schwierigkeit, unser Leben auf eine ökologisch verantwortbare Weise umzustellen. Vor allem aber spricht er von den Effekten, welche der Gebraucht von Freiheit haben kann.
Wenn ich in einer Versuchung drin stecke, dann habe ich es schwer, über alternative Konzepte überhaupt erst einmal nachzudenken. Wenn ich mir den Gedanken ausleihen darf: die Mahnungen des Papstes treffen deswegen auf Widerstand, weil wir zwar intelligent sind, die eigenen Schwächen nicht sehen. Weil wir in einem Verhalten und einem Verhaltensmuster drin stecken, das uns bestimmt. Nicht weil wir dumm wären, sondern weil eben drin stecken.
Wir haben über Jahre und Jahrzehnte das entwickelt, was er “Pfadabhängigkeit” nennt. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr scheint mir das auch auf andere Gebiete der menschlichen Freiheitsausübung zuzutreffen. Nicht nur das Autofahren.
Pfadabhängigkeit
Das macht das Erkennen der eigenen Schwäche so schwierig. Das schafft Widerstände gegen jede Einsicht, wo ich falsch liege und dass ich vielleicht auf dem falschen Weg liege. Der Papst beschreibt Versuchungen, “Feinde der Heiligkeit”. Diese sind aber durch uns selbst oft genug immunisiert, weil wir in den Pfaden drin stecken. Weil wir es schwer haben, diese Versuchungen als das zu erkennen, was sie sind.
Das Kapitel in Gaudete et Exsultate endet in der Mahnung, sich selber zu prüfen. Etwas, was für jegliches christliches Leben wichtig ist. Um nicht in diese Pfadabhängigkeiten zu geraten, oder um aus ihnen heraus zu kommen.
“Das macht das Erkennen der eigenen Schwäche so schwierig.”
Es stimmt, dass das was Sie “Pfadabhängigkeiten” nennen, das Erkennen von eigenen Schwächen schwierig macht.
“Das schafft Widerstände gegen jede Einsicht, wo ich falsch liege und dass ich vielleicht auf dem falschen Weg liege. Der Papst beschreibt Versuchungen, „Feinde der Heiligkeit“. Diese sind aber durch uns selbst oft genug immunisiert, weil wir in den Pfaden drin stecken. Weil wir es schwer haben, diese Versuchungen als das zu erkennen, was sie sind.
Das Kapitel in Gaudete et Exsultate endet in der Mahnung, sich selber zu prüfen. Etwas, was für jegliches christliches Leben wichtig ist. Um nicht in diese Pfadabhängigkeiten zu geraten, oder um aus ihnen heraus zu kommen.”
Nur leider ist für mich das Schreiben des Papstes wenig hilfreich. Denn ich kann an vielen Stellen schlicht nicht nachvollziehen, worüber der Papst gerade redet.
Z.b. ist mir völlig unklar, wen oder was der Papst mit Neo-Pelagianiamus und Neo-Gnostizismus konkret meint; also z.b. dass ich anhand von dem gesagten gar nicht schlussfolgern kann, ob irgendwas konkretes Verhalten/Denken/Haltungen jetzt eines von beiden sind oder nicht.
Wenn man mir irgendwas vorsetzt und mich fragen würde “Ist das ein Beispiel für das, was der Papst mit Neo-Pelagianismus/Neo-Gnostizismus meint?” würde ich sofort abwinken, das ich schlicht keine Ahnung habe und unfähig bin die Frage irgendwie sinnvoll zu beantworten.
Und folglich kann ich auch bei selbst gar nicht beurteilen, ob irgendwas an mir in der vom Papst gemeinten Weise problematisch ist, denn ich verstehe nicht was er meint.
Und meinem Eindruck nach geht das auch anderen so; habe in den letzten Tagen zwei englische Artikel gelesen von theologisch nicht vollkommen unbewanderten, die sich ganz arg verkürzend zusammenfassen lassen mit:
1. Artikel: X ist Beispiel für Neo-Gnostizismus
2. Artikel. Nicht-X (also das komplette Gegenteil von X) ist Beispiel für Neo-Gnostizismus
Was X ist, ist dabei egal, denn wenigstens einer von beiden Schreibern muss irgendwas missverstanden haben; eventuell sogar beide.
Das ist bedauerlich, das Sie das nicht nachvollziehen können oder verstehen. Eine Rückmeldung, die es selten gibt, denn die meisten Menschen verstehen mindestens ein wenig von dem, was der Papst sagt und schreibt.
“denn die meisten Menschen verstehen mindestens ein wenig”
Ich muss leider vermuten, dass mindestens einige nur denken zu verstehen und aus meiner Sicht eindeutig nicht verstehen.
Anlass hierfür sind auch einige Online-Diskussionen, die ich erlebt habe; in denen mir entsprechende Leute, die vermeinten den Papst richtig gut verstanden zu haben, vorwarfen, ich sei genau diesen Dingen verfallen, wie quasi einem “narzisstischen und autoritären Elitebewusstsein” geprägt von einem Wunsch andere z.b. zu analysieren und zu bewerten oder gar sie zu veruteilen.
Nur sorry, leider voll daneben; zu absolut 100%.
Ich kann sogar nachvollziehen, warum mich manche Leute so einschätzen; kann auch damit leben.
Nur heißt das, dass entsprechende Leute, obwohl sie meinen zu wissen, was der Papst hier mit entsprechenden “Neo- … ismen” meint, etwas als solchen “Neo-…ismus” identifizieren, was es gar nicht ist.
Und wer eben meint, einen Papst, der sich strikt gegen falsche Verurteilungen anderer ausspricht, richtig verstanden zu haben und dann basierend auf diesem Verständnis zu einer falschen Verurteilung gelangt, der muss irgendwas doch nicht richtig verstanden haben.
Weil Sie nicht verstehen müssen Sie vermuten, dass auch andere das nicht tun? Das ist steil!
Lieber Carn,
ich denke der Unterschied im Verständnis um den Papst liegt daran, ob man Mitträger seiner Würde für die Katholische Kirche sein will oder ihn als Außenstehender betrachtet.
Als Mitträger will man dem Papst dienen indem man sein Amt in der Nachfolge Christi annimmt, in die man selbst mit der Taufe durch die Katholischen Kirche in Ihrer ganzen Heiligkeit eintritt.
Außenstehende können diesen Schritt der Christenheit durch die Taufe vielleicht nicht nachvollziehen, was sie aber nicht unweigerlich zu besseren oder schlechteren Menschen macht sondern einfach nur an ihrem Ego rüttelt.
Genau dieses Ego jedoch ist es, das uns oft den Weg des Glaubens erschwert, weil es uns die Zeit nimmt uns damit anzufreunden, es als solches zu akzeptieren statt es immer durchsetzen zu wollen.
Was ist Neo-Gnostizismus?
… es kommt darauf an!“ Es kommt auf den Kontext an: Möchte ich den Neo-Gnostizismus als Idee verstehen, dann argumentiere und diskutiere ich. Es kann schon sein, dass dann Gegensätze auftauchen, die sich vernünftig nicht auflösen lassen.
Gehe ich aber von einer Situation, einem Problem aus, dann stehe ich vor der Aufgabe, zu unterschieden. Letztlich stehe ich vor der Frage, in welchem Bezug diese konkrete, persönliche Situation zu Gott steht. Genau damit verlasse ich meine ausgetretenen Pfade und sehe mich und meine Situation in einem neuen Kontext. „Make a difference!“ empfiehlt auch die moderne Soziologie: That makes a difference.
Ergänzung: der Neo-Gnostizismus macht diese Differenzierung nicht mit, sondern verbleibt auf der Ebene von Ideen, auch wenn die Probleme auf der Ebene von sozialen Situationen liegen.
Wäre der Neo-Gnostizismus dann nicht eher ein unbedeutendes Problem?
Wer kommt denn dazu, bei den Ideen stehen zu bleiben, ohne sich auch der Realität zu stellen und die Ideen dadurch sich ändern und wachsen zu lassen?
@ carn: „Wer kommt denn dazu, bei den Ideen stehen zu bleiben, ohne sich auch der Realität zu stellen und die Ideen sich dadurch verändern und wachsen zu lassen?“ Da spricht gar nichts gegen. Es lohnt sich aber, genauer hinzuschauen:
Ideen und Situationen erfordern, so haben wir in diesem Blog gelernt, unterschiedliche Modi der Problemlösung: Ideen können diskutiert werden, Situationen müssen dagegen unterschieden werden.Wenn wir diese Unterscheidung in die Soziologie übernehmen, dann können wir ergänzen, dass beide Prozesse parallel und nicht sequentiell ablaufen:
Ein Problem kann also gleichzeitig als Idee und als soziale Situation erscheinen. Die zwei Perspektiven führen zu Unsicherheit, eröffnen aber gleichzeitig neue Dimensionen der Wahrnehmung (ähnlich dem binokularen Sehen, das die räumlichen Tiefe erkennen lässt).
Und hier können wir zurück zur Theologie schwenken: Wir haben in diesem Prozess unsere Unsicherheit vergrößert, was sich in Demut zeigt. Man könnte auch sagen, dass wir chaotische Systeme heraufbeschworen haben. Unsicherheit bedeutet aber Freiheitsgrade, die vom heiligen Geist ausgefüllt werden können. Versuchsweise könnte definiert werden:
Der Neo-Gnostizismus schließt den Geist aus durch Festlegung auf logische Argumentation mit bekannten Parametern (er bewegt sich im Rahmen einer Tautologie). Der Neo-Pelagianismus schließt den Geist aus durch die Festlegung auf erfolgversprechendes Handeln mit bekannten Ressourcen. Überraschungen werden ausgeschlossen. In beiden Fällen hilft: Unsicherheit zulassen!
Vielen Dank für diese Ausführung, endlich kann ich diesen beiden Begriffen etwas zuordnen, auch wenn ich sie ziemlich kompliziert zu verarbeiten finde, da sie als sehr komplexes System auftreten, das sich offensichtlich gegenseitig ergänzt:
Eine Idee, die nicht gut durchdacht ist, die kann meist auch ihr Versprechen nicht einlösen.
Ein Geist der auf Logik baut verliert die Vernunft, die ihn trägt aus den Augen.
Ich hoffe ich habe das einigermaßen richtig verstanden?
“Der Neo-Gnostizismus schließt den Geist aus durch Festlegung auf logische Argumentation mit bekannten Parametern (er bewegt sich im Rahmen einer Tautologie). Der Neo-Pelagianismus schließt den Geist aus durch die Festlegung auf erfolgversprechendes Handeln mit bekannten Ressourcen.”
So formuliert scheint beides in einer wesentlichen Eigenschaft übereinzustimmen, nämlich im (übertriebenen) Festhalten an (scheinbar) Bewährtem/Bekannten und einer Beschränkung darauf, was sich aus diesem Bekannten ergibt (in einem Fall eben, was sich daraus an logischen Schlussfolgerungen ergibt, und im anderen Fall, was sich an Handlungsoptionen ergibt).
Womit ich wieder an dem Punkt bin zu sagen, ich kann kein Beispiel dafür nennen.
Oder nur ein plattes, das nicht gemeint sein kann:
Konservative (die ja dazu neigen, sich sehr stark auf Bewährtes/Bekanntes zu stützen und Unsicherheit nur eher ungern zulassen).
Können Sie ein Beispiel nennen für Neo-Gnostizismus und/oder Neo-Pelagianismus?
Habe versucht Gaudete&Exuldate zu lesen. Komme zu dem Vorwurf, den Schopenhauer der Stoa gemacht hat: fehlende poetische Plastizität. Und mit dem Teufel sind der Papst und seine Ghostwriter schlicht sprachlich überfordert. Wer es mit demTeufel aufnehmen will, sollte zumindest Goethe heißen….
Goethe? Fehlende poetische Plastizität? Von all den Erwartungen, die Papst Franziskus erfüllen muss um es Leuten recht zu machen, ist das bisher die schrägste. Verzeihen Sie mir, aber das ist kein Roman. Oder ein Gedicht. Will es auch gar nicht sein. Es ist nicht Literatur. Wenn Sie danach suchen, werden Sie nichts entsprechendes finden.