Mit Räumen muss man umgehen lernen. Es ist ein Thema, zu dem ich hier immer wieder zurück komme. Räume haben es mir angetan, neulich erst war ich in einer Ausstellung in Leipzig, dann im öffentlichen Raum Dresdens, vor der Frauenkirche. Und jetzt wieder, wenn ich darf, und zwar in einer Ausstellung in Berlin.
Räume sprechen. Wer einmal eine Kathedrale besucht hat und auf sich hat wirken lassen, kennt das. Kirchen, davor Tempel und so weiter der-räumlichen Religion. Es ist ja kein Zufall, dass die ersten Christen nicht etwa Tempel übernommen haben, sondern Basiliken, nicht die alten Kult-Orte, sondern Versammlungsorte. Das sagt einiges über die christliche Religion aus.
Aber auch Machtinhaber aller Zeiten haben Räume genutzt. Und zwar nicht zur zur Darstellung, sondern auch zur aktiven Machtausübung. Sei es durch Transparenz, wie beim Reichstagsgebäude für den Bundestag in Berlin, sei es durch ästhetische Unterwerfung, gigantische Schreibtische, lange Korridore etc.
Bibliotheken sollen zur Konzentration anregen, Büros zur Effektivität, Kirchen zur Einkehr oder Anbetung, und dann sind da Schulen, Fabriken, Theater, Museen und so weiter und so weiter. Und nicht zuletzt unsere eigenen vier Wände.
In alle Richtungen
In Berlin werden derzeit Räume und Installationen ausgestellt, die Künstler entworfen haben. Es sind also ganz besondere Räume, die keinen “Nutzen” haben, wie wir das im Alltag vermuten würden. Raum kostet Geld, da ist es schon ein Luxus, Räume um der Räume willen zu haben. Also braucht es Kunst, die uns das vor Augen und vor Sinnen führt. “Moving in every direction” heißt die Ausstellung, zu sehen im Museum Hamburger Bahnhof, noch bis Mitte September.
Da gibt es wunderbare anregende Räume zu besehen und begehen, ein wenig Beuys geht immer, aber da sind auch andere Namen, bekannte und eher unbekannte, die präsentieren. Meine Lieblingsräume sind zwei Installationen, die aus Klang bestehen. Man steht irgendwo, schließt die Augen und hört. Drumherum entsteht dann Raum, aus verschiedenen Richtungen kommen Klänge, lösen sich aber und ziehen sozusagen an einem vorbei. Wunderbare Erfahrungen.
Leider gibt es aber auch einiges an intellektualistischer Arroganz zu besichtigen, die entsteht, wenn Kunst nicht mehr die Kommunikation sucht, sondern sich abwendet von Menschen, die vielleicht nicht alles richtig verstehen, was sich der Künstler oder die Künstlerin in ihrem Studio so alles gedacht haben.
Manchmal muss man auch einfach nur lachen. Die Beschreibung und Anleitung zum Beispiel braucht man meistens, weil viele Künstler Voraussetzungen machen, welche die meisten Besucher wohl nicht mitbringen. Man muss also selber viel hineinbringen und wissen, worum es geht, um zu verstehen. Mit Verlaub, dazu brauche ich keine Kunst, dazu lese ich ein Buch.
Von allem etwas
Aber jetzt bin ich ungerecht, das meiste ist wirklich anregend, befragend, Kunst eben.
Wenn man danach durch das Rest-Berlin geht, das gerade wieder einen Bau-Boom erlebt – zumindest in der Innenstadt ist mir das aufgefallen – dann würde man sich wünschen, dass etwas mehr Wagnis probiert würde und die Kunst da die eine oder andere Idee entzünden würde. Nicht als Dekor, aber als Anregung oder gar Inspiration.
Räume muss man halt lernen, und das gilt auch für öffentliche Räume, Plätze zum Beispiel, Bahnhöfe, Eingangshallen … .
Wenn ich nun noch einmal auf den Titel zurück kommen darf, “Bewegung ist in alle Richtungen”, dann fällt mir ein Kulturtheoretiker ein, der garantiert hier Pate gestanden hat, der Jesuit Michel de Certeau. Raum so schreibt der Kulturphilosoph 1980 von der Aneignung der Dinge und definiert den Raum, indem er in vom Ort absetzt (L’invention du quotidien. Vol. 1, Arts de faire’ ).
Ein Ort ist etwas anderes als ein Raum. Orte organisieren Dinge, nebeneinander, in Beziehung zueinander, übereinander, all das folgt vor allem der einen Regel, dass nicht zwei Dinge gleichzeitig am selben Ort sein können. Räume hingegen entstehen erst durch Richtungen und durch Zeit, schreibt Certeau. Raum besteht in der Begegnung von beweglichen Dingen. Er ist nie stabil, wie auch das gesprochene Wort nicht. Kurz: Raum ist praktizierter Ort. Die von den Stadtplanern geometrisch definierte Straße wird durch dadurch zum Raum, indem Menschen auf ihr gehen.
Um-Gang mit dem Raum
Raum ist Praxis. Genau diese Idee liegt den Räumen in der Ausstellung zu Grunde. Sie “sind” nicht einfach, sie “werden” erst, wenn jemand hindurch geht und schaut und hört. Man organisiert den Raum auch durch das Sehen und Durchgehen, in ein noch nicht und danach erst, in ein neben und ein hinten und ein vorbei. Man verbindet Dinge und schafft so räumliche Veränderungen im Um-Gang mit dem Raum.
Wem das jetzt alles zu abstrakt ist: ich will damit nur meine Eingangsthese untermalen, man muss den Umgang mit Räumen lernen. Oder er-gehen. Oder praktizieren. Um zu schlechten oder manipulativen Ästhetiken aus dem Weg gehen zu können. Um kritisch sein zu können. Um den pragmatischen Innenstadt-Gebäuden nicht auf den Leim zu gehen.
Und außerdem macht es auch noch Spaß.
Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen Pater Hagenkord, doch Räume an sich sprechen nicht, sie mögen etwas erzählen, etwas das uns im Wesentlichen anspricht, doch dieses innere Anrühren beruht auf uns selbst, auf unserem Innersten, dessen wir uns im Ich annehmen können, wenn wir dies auch wirklich wollen. Manche „Kunstwerke“, da gehe ich mit Ihnen, die lassen Kunst als Mittel zum Zweck erscheinen, wenn ich mir da den Strich auf der Leinwand vorstelle, der einigen so wertvoll ist, dass sie dafür unsagbar viel Geld ausgeben, das durch harte Arbeit verdient werden muss. Auch Klecksen kann ich persönliche nichts abgewinnen und doch scheinen sie eine tiefere Bedeutung in denen auszulösen, die sie sich als Kapitalanlage an die Wand hängen.
Raum steckt in uns, denn er lässt uns die Resonanz spüren, die wir selbst aufnehmen können, wenn wir uns darum bemühen. In solchen Momenten des in sich Ruhens, da stellt man fest, wie tief doch die Verbindung unter uns sein muss, dass wir uns ohne Worte so zum Ausdruck bringen können. Unser Menschsein gibt uns tiefe Einblicke in ein Wesen, dessen Stärken und Schwächen wir sehr wohl kennen und doch fällt es uns oft so schwer mit ihnen menschenwürdig umzugehen.
Was macht den Unterschied, ob wir einem Künstler gegenübertreten, indem wir eines seiner Kunstwerke auf uns wirken lassen, oder uns mit ihm persönlich über das unterhalten, was ihn so sehr bewegt, das er es gerne festhalten möchte. Kunstwerke sind für mich ein Ausdruck dessen, was unser Wesen im Stande ist zu verarbeiten und dabei bemühen wir uns darum, dass möglichst viele Menschen von dieser Arbeit angesprochen werden.
Was hindert uns daran diese Wahrheit an den Tag zu legen, wenn wir persönlich für das Wesen eintreten das in uns steckt, indem wir uns seiner Sprache bedienen, die im Stande ist menschliche Werte so auszudrücken, dass sie jeden aus ganzem Herzen ansprechen können? Genau wie ein Raum voller Wesen sind wir Menschen ein Wesen voller Raum mit Resonanz, die wir für uns in Anspruch nehmen können?
Manchmal wünsche ich mir, alle Menschen könnten sich selbst als den Lebensraum annehmen, der ihnen die Erde als ein Geschenk anbietet, der für jeden den Platz bereit hält, an dem er seine Werte aus einem Wesen leben kann, das ihn täglich so reich beschenkt.
Ich habe keine Ahnung, warum ich plötzlich unter Roswitha geschrieben habe und ab wann das geschehen ist.
Auch das ist Kunst!
Für die Ausstellung im Schloss Morsbroich ging das Werk nach Leverkusen und wurde dort eingelagert, da die Ausstellung noch aufgebaut werden sollte. Der SPD-Ortsverein-Leverkusen-Alkenrath feierte am 3. November 1973 in diesem Museum ein Fest. Zwei SPD-Mitglieder, Hilde Müller und Marianne Klein, suchten eine Schüssel zum Gläserspülen und entdeckten die scheinbar mit Heftpflaster und Mullbinden verschmutzte Badewanne, ohne zu ahnen, dass diese mit ihren Materialien ein Kunstwerk war. „Wir dachten, das alte Ding könnten wir schön sauber machen und benutzen, um darin unsere Gläser zu spülen“, erinnern sie sich, „so wie die aussah, konnten wir sie nicht gebrauchen. Deshalb haben wir die Wanne geschrubbt.“
So können Künstler auch verdienen: Die Stadt Wuppertal als Leihnehmer wurde durch Schirmer verklagt und 1976 vom Wuppertaler Landgericht in erster Instanz zu 40.000 DM und vom Oberlandesgericht Düsseldorf in zweiter Instanz zu 58.000 DM Schadensersatz verurteilt; Schirmer bekam dabei auch die Badewanne zugesprochen.
Und da sagte ein echter, rechter Pinselkönner: „Kunst ist, der Schöpfung nahe zu kommen.“ Und es kann sechsmal gesagt werden, dann sah selbst Gott, dass es gut war.