Meinungsfreiheit höre dort auf, wo Fakten geleugnet würden. So melden Nachrichtenagenturen an diesem Freitag die Reaktion von Armeniern in Deutschland auf das Verbot der Leugnung des Völkermordes an den Armeniern. Frankreich hatte ein solches Gesetz verabschiedet, jetzt solle auch Deutschland das tun, fordern die Vertreter der Armenier.
Meinungsfreiheit hört dort auf, wo Fakten geleugnet werden. Ich kann die Betroffenen verstehen, fast 100 Jahre lang hat man oder wollte man vergessen, was ihnen angetan wurde. Aber die Meinungsfreiheit einschränken ist ein massiver Eingriff in die Art und Weise, wie wir Demokratie verstehen.
Zudem: Es ist ja ironischerweise gerade die Meinungsfreiheit, die sich hier durchgesetzt hat. Man hielt sich nicht an das verordnete Schweigen sondern redete und forschte.
Mir wird bange, wenn ich solche Worte hören, so verständlich sie auch sind.
Und dann ist da ja auch noch Deutschland. Wir haben auch so ein Gesetz. Bei uns steht das Leugnen des Holocaust unter Strafe. Wie ich finde: zurecht. Hier wird durch Leugnung massiv Schaden angerichtet, und das gewollt. Der Riegel ist gut gesetzt.
Aber wie passen diese meine beiden Meinungen zusammen? Ich bin mir sehr unsicher geworden.
Sicher bin ich mir aber, wie man den Betroffenen – den Nachfahren der Armenier wie der Juden – von gesellschaftlicher Seite am besten helfen kann: Indem wir ihr Schicksal nicht vergessen. Und das ist zuletzt eine Bildungsfrage. Wenn in Schulen und in Büchern und anderswo nicht vergessen wird, was die Schattenseiten und Abgründe unserer Geschichte sind und waren, was die Kulturen sind und waren, die am meisten zu leiden hatten, wenn wir die Bräuche und die Musik und die Kultur und vor allem anderen die Menschen nicht vergessen, dann brauchen wir letztlich auch kein Verbot.
Gegen die Dummheit der Menschen kämpfen selbst die Götter vergeblich, weiß schon Schiller. Und auch die Gesetze. Ja, in Frankreich kann man jetzt bestraft werden, wenn man den Völkermord an den Armeniern leugnet. Aber hilft das gegen Menschen, die historische Einsichten nicht wahrhaben wollen?
Noch eine Frage
Meinungsfreiheit hört da auf, wo Fakten geleugnet werden. Noch eine Frage: Wer bestimmt, was diese Fakten sind? Als studierter Historiker reagiere ich allergisch auf die Feststellung, dass etwas „historisch bewiesen“ sei. So was ist Unfug. Wir haben Wissen, aber das haben wir, weil wir Fragen stellen. Manche Fragen sind gut, manche führen uns weiter, andere führen in Sackgassen.
Leugnung ist keine ‚Frage’, das ist klar. Aber wo ziehen wir die Grenze? Was sind dies sogenannten ‚Fakten’ und wer darf bestimmen, was ein Fakt ist?
Ich bin da sehr unsicher geworden. Verbote sind auf jeden Fall nicht der beste Schritt.