Die Flüchtlingsdebatte hat das Gesicht von Kanzlerin und Ministern, nicht mehr ausschließlich das von Booten und weinenden Kindern und Menschen, die ihr ganzes Hab und Gut über einen Zaun zu bringen versuchen. Das ist gut so. Immer mehr wird über die Politik gesprochen und darüber, was man tun muss und darf und soll und kann. Angefangen in Bayern wird jetzt in ganz Deutschland samt Berlin zum Beispiel über die Reduzierung von Familiennachführung gestritten. Die Kirche – Kardinal Woelki aus Köln – ist dafür, viele andere dagegen, weil sie sich davon eine machbare Beschränkung erhoffen.
Zunächst einmal finde ich das gut, dass die Debatte nun mehr politisch geführt wird. Wir Journalisten schaffen Bilder, von denen wir hoffen, dass sie Mitleid schaffen. Das ist im Übermaß passiert, wie will man auch anders berichten von Menschen, die alles verloren haben oder alles aufgeben, die kein Land mehr haben oder keine Zukunft mehr. Die Bilder wollen uns beteiligen an dem Schicksal.
Aber gleichzeitig schaffen diese Bilder auch Angst. Sorge, mit alldem nicht fertig zu werden und die Ahnung, dass sich sehr, sehr viel ändern wird.
Aber wie dem auch sei, es ist eigentlich gar nicht die Aufgabe von Journalisten, nur solche Bilder zu schaffen. Wir sollen nicht nur mit dem Herzen auf diese Situation reagieren, sondern auch mit dem Hirn. Dazu brauchen wir Information über die Welt, nicht das Aufrufen von Emotionen. Der Verstand sollte uns Dinge beibringen, Optionen zeigen und dann klug entscheiden lassen, in einer Demokratie. Mitleid ist gut. Trauer ist gut, das hat uns Papst Franziskus bei seinem Besuch auf Lampedusa gesagt, erst einmal müssen wir trauern um den Tod so vieler Brüder und Schwestern. Geholfen wird ihnen aber mit dem Hirn genauso viel wie mit dem Herzen.
Hirn und Herz
Deswegen finde ich gut, dass die Debatte jetzt nicht nur mit Flüchtlings- und Migranten-Bildern geführt wird.
Vor einigen Jahren habe ich hier an dieser Stelle schon mal über einen Vortrag von Hans Rosling berichtet. Ihn bei einer Veranstaltung zu hören hatte ich jetzt noch mal das Vergnügen. Seine These: Wir verarbeiten Informationen auf der Basis von Mythen. Profis genauso wie einfache Nutzer. Wir haben verlernt, unsere Infos einem Update zu unterwerfen.
Rolling sprach von der Flüchtlingskrise. Seinen Statistiken nach kommen Flüchtlinge und Migranten vor allem aus Ländern, die bereits einen sozialen und ökonomischen Aufstieg erlebt haben und erleben, wo Menschen also gelernt haben, eine Wahl zu haben. Also nicht aus den ärmsten der armen Ländern, sondern aus Ländern, wo es bereits Bildung und Aufstieg und Verbesserung der Lebensverhältnisse gab und gibt, so gering sie auch sein mögen.
Die Bevölkerungsentwicklung ist ein anderes Beispiel: Der „Alte Westen“ wird im Jahr 2100 weniger als 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Afrika dagegen wird vier mal so viele Einwohner haben wie ganz Europa, Russland eingeschlossen (siehe Foto). Nachzuhören ist Rosling hier.
Buchstabieren wir das einmal aus: Wir sehen im Augenblick erst den Anfang, wenn im Augenblick in Europa dieselbe Anzahl Menschen wie in Afrika leben, werden es Ende des Jahrhunderst viermal so viele Menschen sein, die moderner leben, die Strom haben und Kinder in der Schule, die also bewusste Entscheidungen über ihr Leben getroffen haben und treffen – wenn auch auf ökonomisch geringerem Niveau – und die dann entscheiden, dass es in Europa besser wäre. Wir sehen erst den Anfang.
Erst der Anfang
Bisher reagieren wir darauf falsch, viele Probleme werden von uns aus erst geschaffen. Zum Beispiel das Risiko der Überfahrt über das Mittelmehr. Wir regen uns über den Zaun auf, den Ungarn an seiner Grenze baut? Zurecht, da sehen wir weinende Kinder und verzweifelte Eltern auf dem TV-Schirm. Aber das ist nichts gegen die Grenzen, die wir gegen sicheres Reisen bauen. Warum lassen wir die Menschen nicht fliegen? Es gibt Mechanismen, die sich darum kümmern. Wenn sie ein Recht haben, lassen wir sie ein sicheres Transportmittel nehmen. Auch die EU kennt das Prinzip der Nichtzurückweisung, warum setzen wir das nicht sicher um sondern zwingen die Menschen auf Boote?
Hilfe für die Menschen auf diesen Booten und an den Grenzen ist das eine. Das sind die Bilder des Mitleids. Aber es sind eben auch die Gründe zu suchen, und die liegen oft bei uns. Wir schaffen erst die unsicheren Fluchtrouten, weil wir und dann sicherer fühlen und weil wir in der Illusion leben, die entstehenden Bewegungen aufhalten zu können. Das können wir aber nicht.
Ich darf noch einmal Hans Rosling zitieren. Er berichtet von der Hilfe für Flüchtlinge in seinem Land, Schweden. Dort wird das Geld, das Flüchtlingen insgesamt zur Verfügung gestellt wird, zunehmend in Schweden selbst eingesetzt. Das ist das Dümmste, was man tun kann. Schweden hat sein komplettes Budget für Hilfe für Flüchtlinge in Schweden ausgegeben, kaum Geld geht nach draußen. Und das löst nicht nur das Problem nicht, sondern es macht es schlimmer. Das Resultat ist nämlich eine faktische Kürzung der Entwicklungshilfe. Mit dem Ergebnis, dass immer mehr Menschen den Anreiz spüren, von dort weg zu gehen, wo ihnen eh keiner hilft. Das Ergebnis müsste eine Erhöhung der Entwicklungshilfe sein, stattdessen schaffen wir uns unsere Probleme der Zukunft gerade erst.
Also, der Verstand ist wichtig, Informationen sind wichtig, ein vorurteilsfreies Schauen auf die Realitäten ist wichtig. Und ein Eingestehen, dass es Entwicklungen gibt, die wir nicht aufhalten können, die es aber zu gestalten gilt. Und deswegen gehört das in die politische Debatte.