Papst Franziskus hat viel vor. Zum Beispiel wird er ein Land besuchen, das noch nie vorher einen Papstbesuch gesehen hat: Die Vereinigten Arabischen Emirate, Anfang Februar wird das sein. Davor ist Weltjugendtag in Panamá, auch mit Papst Franziskus. Großereignisse, das zweite von den Zahlen her, das erste in der Bedeutung. Aber alles wird in den kommenden Monaten in den Schatten gestellt, weil im Februar alle Vorsitzenden der Bischofskonferenzen hier im Vatikan über Missbrauch sprechen werden. Missbrauchskonferenz im Vatikan, das ist das Thema.
Und schon seit Wochen wird darüber gesprochen, was so eine Konferenz leisten kann. Papst Franziskus hatte im September angekündigt, alle Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zu versammeln. Es wird aber nicht die eine Konferenz, die alles löst. Das „Yalta“ der Missbrauchs-Debatte, wie es der kluge Vatikanist John Allen formuliert hat. Aber was wird es dann
Was wird das sein?
Schauen wir uns genauer an, was von der Konferenz geleistet werden muss. Oder soll. Erst einmal muss ein gemeinsamer Wissensstand hergestellt werden. Spezialisten braucht es, vor allem auch weil der Wissensstand nicht in allen Teilen der Kirche derselbe ist. Was daran liegt, das nicht alle Teile der Kirche eine Debatte im eigenen Land haben führen müssen oder geführt haben. Von Pater Hans Zollner, der das im Hauptberuf macht, weiß ich dass er durch die Welt fährt und Bischöfen und Kircheninstitutionen davon berichtet. Von ihm weiß ich aber auch, wie schwer das ist.
Dann muss zweitens bei der Missbrauchskonfernez im Vatikan die Vielgestaltigkeit des Phänomens zu Wort kommen. Eine Vielgestaltigkeit, wie sie auch in der Verschiedenheit der dann versammelten Kirchenvertreter ausgedrückt wird. Sexuelle Gewalt ist nicht gleich sexuelle Gewalt, auch ist Missbrauch weiter zu sehen. Der Papst nennt immer auch den Machtmissbrauch, er nennt ihn sogar in Chile an erster Stelle, wo die Situation besonders dramatisch ist. Auch in seiner Weihnachtsansprache an die Chefs der Abteilungen im Vatikan war der Papst hier sehr deutlich: Missbrauch hat verschiedene Dynamiken, verschiedene Elemente, die zusammen kommen. Das will ausbuchstabiert werden.
Formen des Missbrauchs
Drittens ist das eher ein Treffen von „Klassensprechern“, wenn mir der Kommentar erlaubt ist. Die Vorsitzenden haben keine Autorität über andere Bischöfe. Das prägt den Charakter der Missbrauchskonferenz im Februar, das ist kein Parlament. Die Erwartungshaltung ist hoch, hier müssen wir glaube ich ein wenig nachjustieren.
Viertens blickt nicht die ganze Welt mit dem europäischen oder gar US-amerikanischen Blick auf Missbrauch und sexuelle Gewalt. In Indien etwa gibt es verbreitete Gewalt gegen Frauen. Aus Afrika haben wir von sexueller Gewalt gegen Ordensfrauen gehört. Das sind ganz andere Debatten. Vieles findet auch nicht unter den gleichen rechtsstaatlichen Bedingungen wie hier bei uns statt, da gibt es Ängste und da gibt es Druck.
Christen leben unter ganz verschiedenen Voraussetzungen, in ganz verschiedenen Umgebungen. Und deswegen kann es keine „one-size-fits-all“ Lösung geben, also eine Vorgehensweise, die überall gilt. Es gibt zum Beispiel die Angst, die wir schon während der Jugendsynode gehört haben, dass die im Westen deutlich wahrgenommene Krise in anderen Teilen der Welt Probleme verdeckt, Gewalt gegen Christen etwa, Verfolgung, Neo-Kolonialismus und dergleichen. Ganz gleich wie man das bewertet, die Angst ist da und muss ernst genommen werden. Wer das ignoriert, verfehlt die Möglichkeiten, die eine solche Konferenz hat oder nicht hat.
Vatikan wird Ort der Debatten um Missbrauch
Fünftens dürfen wir uns nicht „in die Prävention flüchten“. Also das nicht sehen wollen, was passiert ist. Aufarbeitung ist wichtig, bleibt wichtig, und dazu muss man zuhören. Gleichzeitig aber muss man auch auf die Vergangenheit schauen und Verantwortung wahrnehmen. Auf dem Titel des österreichischen Magazins „Profil“ fand sich im November die Unterzeile „In Österreich gibt es nur Opfer und keine Täter“, ironisch gemeint weist das darauf hin, dass die Täter nicht unbehelligt bleiben dürfen.
Wichtig bei der Missbrauchskonferenz im Vatikan ist sechstens auch der Blick auf die Strukturen. Wie konnte es zum Schutz der Täter kommen? Zur Vertuschung? Was hat die religiöse und sakramentale Bemäntelung des Missbrauchs für eine Rolle gespielt? Was sagt das über das Verständnis von Autorität – Macht – in der Kirche? Beliebt ist die Aussage, es ginge hier immer nur um Einzelne, während die Kirche als solche nicht sündigen könne. Das ist eine theologische Aussage, welche in der Gefahr steht, Vertuschungs-Strukturen zu decken und damit zu ermöglichen. Und es gibt auch bereits einige, die deutlich an dieser Aussage, es seien nur einige, rütteln. Wenn es bei der Konferenz in diesem Sinn zu theologischen Anstößen kommt, dann um so besser. Wir müssen neu und anders über Kirche sprechen.
Genau zuhören
Siebtens müssen wir den Opfern oder Überlebenden genau zuhören. Nicht alle sprechen so, wie der Rest der Kirche und der Gesellschaft sich das vorstellt. Manche wollen oder können auch gar nicht sprechen, auch das erfordert Respekt. Immer wenn ich höre, wie jemand die Opfer oder Überlebenden auffordert endlich zu sprechen, damit die Institution aufarbeiten könne, wird mir leicht anders. Da fordert schon wieder die Institution etwas. Das geht so nicht. Zuhören ist viel subtiler und darf nicht mit Erwartung und schon gar nicht mit Vorverständnis einher gehen.
Kann die Missbrauchskonferenz im Vatikan dann überhaupt ein Erfolg sein? Oder anders gefragt, was wäre ein Erfolg des Treffens im Februar? Meine sieben Punkte kann man vielleicht noch ergänzen oder verringern, das ist keine Anspruchs-Liste, sondern einfach nur eine Aufzählung, was alles im Blick sein muss. Aber was wäre dann ein Erfolg?
Was wäre der Erfolg der Missbrauchs-Konferenz?
Ich versuche mich mal an einer Voraussage: Es wird keine Liste mit umzusetzenden Regelungen geben. Die Kirche beginnt nun aber, kulturübergreifend über das Thema zu sprechen. In den Worten des Papstes, vom 21. Dezember des vergangenen Jahres:
„Es muss klar sein, dass angesichts dieser Abscheulichkeiten die Kirche keine Mühen scheuen wird, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solche Verbrechen begangen hat, vor Gericht zu bringen.“
Der Wille der Gesamtkirche wird ausgedrückt, der Papst wird sicherlich sehr klar sagen, dass Missbrauch durch Kirchenvertreter, durch Priester und Ordensleute oder durch irgendwen sonst in der Kirche, ein Problem ist, das es überall gibt, gleich ob es gesehen wird oder nicht. Keiner wird mehr sagen können, er habe es nicht gewusst. Und der Papst wird sicherlich auch um Verzeihung bitten, nicht zum ersten Mal, aber jetzt vor allen anderen Verantwortungsträgern.
Die Aufarbeitung, die Strukturdebatten, die Übernahme von Verantwortung, das alles muss konkret passiert. Die Konferenz bietet dazu das moralische, kirchliche und wenn es gut geht auch theologische Rückgrat. Das ist weder ein Anfang noch das Ende. Aber die Missbrauchs-Konferenz im Vatikan markiert die Tatsache, dass es eine kirchliche Frage ist. Überall.