Es sind zwei verschiedene Blicke auf den Menschen, zwei Blicke im Augenblick wo Tod und Leben aufeinander treffen. Zwei Gemälde in der Neuen Pinakothek in München, direkt übereinander. Mit Museen und Kunst habe ich es ja immer wieder, auch hier im Blog. Oder hier.
Aber zurück in die Pinakothek: Beide Bilder dort zeigen den Tod einer jungen Frau. Beide Bilder zeigen auch jeweils einen Mann, der schaut. Es sind aber zwei völlig verschiedene Blicke. Einmal ist es Jesus, der auf die gerade erweckte junge Tochter des Jairus schaut, einmal ist es ein Anatom, der auf eine Leiche blickt.
Blick auf den Menschen
Es ist interessant, dass beide – Anatom und Jesu – fast dieselbe Kopfhaltung haben. Und dass beide junge Frauen sich sogar ein wenig ähnlich sehen. Dabei könnte die Situation nicht unterschiedlicher sein.
Der Anatom ist dunkel, das Mädchen hell, auch wenn er noch lebt und sie tot ist. Es ist der Moment, das Ende, bei aller Zartheit wie die junge Frau gemalt ist ist da kein Leben mehr drin. Der Blick gilt also dem Körper der Frau allein, nicht dem Menschen. Denn der ist ja tot.
Bei Jesus ist es anders, er hat die junge Frau gerade aufgerichtet, sie schaut noch etwas benommen drein während die Menschenmenge um sie herum einen auffälligen Kontrast bildet. Der Blick Jesu gilt nicht dem Körper, er gilt dem Leben. Es ist eine Geschichte darüber, dass für Gott der Tod nicht das Ende ist, dass die Liebe Gottes nicht endet, wenn das Leben hier endet, sondern weiter geht.
Blick auf die unbekleidete junge Frau
Dass die beiden Bilder in der Pinakothek übereinander gehängt sind, ist eine Einladung zur Meditation über unsere eigene Blicke auf den Menschen. Sind wir Anatom, sehen wir Leben und Tod, oder können wir darüber hinaus blicken und mit dem Herrn das Leben auch nach dem Tod ansehen?
Tod ist unerbittlich, der Anatom mit seinem Blick zeigt uns das sehr deutlich. Man sieht diese Unerbittlichkeit auch im verwirrten Blick der Menschen um die Tochter des Jairus, für Jesus ist der Tod zwar ein Hindernis, aber das Leben ist größer. Die verstörte Überraschung der Umstehenden zeigt, wie fest sie mit der Unerbittlichkeit gerechnet hatten.
Der Anatom spricht auch in der Vergangenheitsform. Der Körper vor ihm war ein Mädchen. Mit Jesus hingegen blicken wir in die Zukunft, der Tod ist nicht das Ende, er verwandelt uns nicht in Vergangenheit, die Zukunft bleibt, die Hoffnung bleibt, das Leben bleibt.
Autoritäten
Was wir auch sehen ist Autorität. Eine medizinische, wissenschaftliche Autorität, deren Aufgabe es ist, mit Realitäten umzugehen. Die über diese Realität aber nicht hinaus geht, wie könnte sie auch. Aber dann gibt es auch die Autorität Jesu, die anders ist. Wo Jesus spricht, weicht der Tod. Das sprechen sehen wir nicht auf dem Bild, aber das Ergebnis – das sich aufrichtende Mädchen- zeigt uns die Wirkung. Und die Betrachter des Bildes kennen die Geschichte des „Talita kum!“.
Das ist aber noch nicht alles. Die Meditation der beiden unterschiedlichen Blicke ist das eine, es gibt da aber noch einen anderen Blick, der beide Bilder vereint. Der uns, der wir beide Bilder ansehen, vereint. Beide Bilder sind Beispiele des dezidiert männlichen Blicks auf junge Frauen. Beide Bilder sind auch dazu da, unbekleidete junge Frauen zu zeigen, machen wir uns nichts vor. Ganz egal ob es ein frommes Bild ist und der Herr einen Heiligenscheint trägt, oder ob es ein wissenschaftlich/moderner Blick des Anatomen ist, der Sachlichkeit ausstrahlt: Unser Blick, vor allem der männliche Blick, gilt den unbekleideten Frauen. Das könnnen wir heute nicht mehr unbelastet tun, und das nicht nur wegen #MeToo.
Auch das ist Teil der Meditation der beiden Bilder: was für einen Blick haben wir, habe ich? Ganz gleich, ob es der halb sachliche, halb traurige Blick des Anatomen ist oder ob es Jesus ist, der gemalte An-Blick ist nicht unschuldig. Der Mann im Bild kontrolliert die Situation, ist Subjekt, die unbekleidete Frau wird von den Ereignissen – und Männern – kontrolliert, ist Objekt.
Die Blicke sind nicht unschuldig
Unsere Blicke heut brauchen „Läuterung und der Reifung“. Das gilt für Kunst genauso wie für Glauben. Das Zitat von der „Läuterung und der Reifung“ stammt aus Evangelii Gaudium, aus dem Teil über die Inkulturation (EG 69). Den Glauben und in diesem Fall die Darstellung von Glauben, das Erzählen des Glaubens anhand biblischer Geschichten braucht diese Läuterung. Die muss persönlich sein und betrifft Bereiche in unserem Leben, wo das vielleicht nicht angenehm ist, weil es tief sitzende Muster trifft.
Solche Bilder würde man heute so nicht mehr malen. Aber es gibt sie weiter, sie sind Teil unserer Kultur. Sie jetzt anzuschauen zeigt uns auch, wie sehr sich unsere Blicke gewandelt haben. Oder sie zeigen uns, wie sehr sie sich noch wandeln müssen.