Ich gestehe: Auch ich habe vor einem Jahr das Thema das vom Papst ausgerufenen heiligen Jahres, also Barmherzigkeit, für ein „weiches“ Thema gehalten. Irgendwie klar, irgendwie zentral christlich, durchaus anspruchsvoll, aber nicht so wirklich auf der kirchlichen Tagesordnung. Und halt weich.
Wie falsch ich doch lag. Nicht nur durch die Flüchtlinge wird klar, wie hart das Thema verhandelt wird. Man wagt nicht zu widersprechen, wer will schon bewusst unbarmherzig sein? Aber auch hier in den Kommentarspalten des Blogs wird deutlich, dass es zur Sache geht.
Menschen, die nicht barmherzig sein wollen, das vor sich selbst aber nicht zugeben können und deswegen von Selbstschutz oder Kosten oder dergleichen sprechen, als Schutzschild gegen den großen Anspruch.
Menschen, denen Gesten des Papstes oder das Sprechen über Barmherzigkeit offensichtlich zu nahe an sie selbst heran rücken, weswegen sie es von sich weisen.
Aber auch Menschen – vor allem Berichterstatter über den Vatikan – die gar nicht begreifen, wie zentral der Begriff für alles ist, was derzeit in der Kirche passiert. Die reden lieber über Reform und Kardinals-Versetzungen (meistens angebliche), verpassen dabei aber die große Geschichte, nämlich ob sich oder ob sich nicht Kirche auf die eigene Botschaft einlässt. Ob Kirche und Glaube modern sind entscheidet sich hier, bei diesem Thema, nicht bei Strukturreformen.
Deswegen kann und will ich hier auch nicht aufhören, darüber zu schreiben. Einige Male habe ich das schon getan, einige Male werde ich das noch tun.
Der entscheidende Punkt für die Kirche
Liebe ist Geben und Nehmen, Barmherzigkeit dagegen ist eine Einbahnstraße: Der Gedanke stammt von Martin Walser, der das in einem Sammelband zum Thema aufgeschrieben hat. (Titel des Buches: Jenseits der Ironie). Diese Abgrenzung ist wunderbar! Und genau das sind so Sätze, die mir zeigen, dass das angeblich so „weiche“ Thema mittendrin steckt, in uns, es gehört zu den ganz großen Begriffen, Walser setzt ihn neben die Liebe.
Die immer kluge Carlin Emcke hat auch so einen Satz, gefunden in der SZ: „Bei einem Blick auf die furchtbare Schlacht um Aleppo, die wir, zeitgleich, tatenlos miterleben, zeigt sich: Die Moral hat nicht Schritt gehalten. Der ungeheuren Erweiterung der Handlungsräume entspricht keine Erweiterung des Mitleids.“ (SZ vom 13. August) Besonders der zweite Teil ist mir eine Woche lang im Kopf herum gegangen: wir halten innerlich nicht Schritt mit den Entwicklungen um uns herum, was eine Erklärung für alle möglichen Phänomene sein kann. Unsere Ethik, unsere Moral, unsere Sicht auf die Welt hält nicht stand, trotz aller Medienüberfütterung. Papst Franziskus würde das nun die Peripherien nennen, von denen man auf die Welt schauen muss, das würde dem gerecht. Aber die Anfrage von Emcke finde ich gerade mal praktischer, handhabbarer. Hier ist Barmherzigkeit eine Antwort, die wir nicht geben, weil uns das schlicht nicht nahe geht.
Ich sage noch mal: An diesen Fragen entscheidet sich, ob die Kirche der Welt noch was zu sagen hat. Und deswegen bleibt das hier Thema. Auch über Dezember hinaus.