„Unsere Glaubwürdigkeit als Christen steht auf dem Spiel“. Es gibt wohl kaum einen Satz, der Christen härter trifft als dieser Satz aus einer Ansprache des Papstes beim Kreuzweggebet. Aber nicht nur da, wenn man alle Predigten und Ansprachen liest, findet man immer dieser diesen Gedanken als basso continuo. Es geht um Glaubwürdigkeit.
Und bei dieser Glaubwürdigkeit wiederum geht es um zwei Dimensionen. Da ist zum einen die Identität: Was bedeutet es eigentlich, heute Christ zu sein? Was bewegt den Glauben und macht ihn aus? Und zweitens: ist das sichtbar, wahrnehmbar, nachvollziehbar für andere? Lege ich – in der geistlichen Tradition gesprochen – Zeugnis ab für den Glauben, der dem Glauben nicht widerspricht? Oder sage ich das eine, tue aber das andere?
Ein wenig konnte man diesen Widerspruch beim Kreuzweg spüren, als der Papst ausdrücklich eine Gruppe von Menschen ansprach: „Heute Abend umfasst Jesus – und wir mit ihm – mit besonderer Liebe unsere syrischen Brüder und Schwestern, die vor dem Krieg geflohen sind. Wir grüßen sie und nehmen sie mit geschwisterlicher Liebe und mit Sympathie auf.” PIS-Parteichef Jarosław Kaczyński hatte noch am Mittwoch der Bild-Zeitung gesagt, man folge der Lehre der Kirche, nehme aber keine Flüchtlinge aus Syrien auf. „Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der es dazu käme”, wird er zitiert.
Mit dem Leben Christus verleugnen
Womit wir wieder bei der Glaubwürdigkeit sind: Ich zitiere einmal etwas ausführlicher aus der Kreuzweg-Ansprache: „Mit der Aufnahme des Ausgegrenzten, der leiblich verwundet ist, und mit der Aufnahme des Sünders, der seelisch verwundet ist, steht unsere Glaubwürdigkeit als Christen auf dem Spiel“, und etwas später „Wenn jemand, der sich Christ nennt, nicht lebt, um zu dienen, dient er nicht für das Leben. Mit seinem Leben verleugnet er Jesus Christus.“ Das ist stark.
Wenn man dem etwas nachgeht, kommt man schnell auf einen Gedanken, der sich bereits zum Beginn des Pontifikates des Papstes findet, die aufbrechende Kirche. Man kann es in den ersten Predigten lesen oder auch in Evangelii Gaudium, oder auch in der Predigt von diesem Samstag: „Jesus sendet. Er wünscht von Anfang an, dass die Kirche im Aufbruch ist, in die Welt geht. Und er will, dass sie es so tut, wie er selbst es getan hat, wie er vom Vater in die Welt gesandt worden ist: nicht als Machtmensch, sondern ‚wie ein Sklave’ (Phil 2,7), nicht ‚um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen’ (Mk 10,45)“
Von da aus geht eine direkte Linie zum Gedanken der Barmherzigkeit, und von da zur Glaubwürdigkeit. Glaube und Tun müssen übereinstimmen, zum einen weil man sonst Christsein nur spielt, zum anderen weil uns das sonst niemand abnimmt. Den Ordensleuten und Priestern sagt der Papst das in deutlicher, geistlicher Sprache: „Es ist eine Reise ohne Rückfahrkarte. Es geht darum, einen Exodus aus unserem Ich zu vollziehen, das Leben für ihn zu verlieren (vgl. Mk 8,35), indem man dem Weg der Selbsthingabe folgt.“
Es geht um das Christsein heute
Exodus, das ist ein zu häufig gebrauchtes Wort, da muss man noch mal in die Bibel schauen: Das ist der Auszug aus dem „Sklavenhaus Ägyptens“. Das eigene Ich als Sklaverei zu sehen, das braucht noch eine Menge Meditation, um das zu verstehen.
Aber die Richtung ist klar. Es geht darum, was es heute und hier heißt, Christ zu sein. Dafür hatte der Papst dann in der Predigt vom Samstag ein wunderbares Bild, er griff den letzten Satz des Johannesevangeliums auf, Jesus habe noch viele Zeichen vollbracht, die aber nicht aufgeschrieben seien. „Man könnte sagen, dass das Evangelium, das lebendige Buch der Barmherzigkeit Gottes, das wieder und wieder gelesen werden muss, am Schluss noch weiße Seiten hat: Es bleibt ein offenes Buch, und wir sind berufen, es im selben Stil weiterzuschreiben, das heißt indem wir Werke der Barmherzigkeit vollbringen. Ich frage euch: Die Seiten im Buch eines jeden von euch – wie sind sie? Werden sie jeden Tag beschrieben? Werden sie ein bisschen ja und ein bisschen nein beschrieben? Sind sie völlig weiß?“
Von der aufbrechenden Kirche zur konkreten Barmherzigkeit, weiter zu den Fragen von Identität und Glaubwürdigkeit eines Christen und dann die Dynamik der Selbstbefragung „und ich? Wie sieht das mit mir aus?“
Durch die Reise des Papstes nach Polen zog sich sein ganz eigener roter Faden. Derselbe Faden, der sich seit März 2013 durch sein Pontifikat zieht.