Mein Hemdkragen saß schief. Eine der vielen Kritiken an einem Video, das ich für den synodalen Weg aufgezeichnet habe, im Sommer machen Maria Boxberg und ich abwechselnd jede Woche einen Video-Impuls. Meine Idee: ich greife den mir selber überall fassbaren Wunsch nach mehr Normalität nach all der erzwungenen Virtualität auf, „digitale Überdosis“ war der Titel und Grundgedanke.
Ich dachte, damit eine Grundeinsicht des Christlichen näher bringend zu können, der Körperlichkeit Jesu, der Menschwerdung. Und was lag ich da falsch! Kritik gab es. Und nicht zu knapp.
Digitale Überdosis
An dieser Stelle nur ein erster kurzer Hinweis, das natürlich das passiert, was gerne passiert: man geht nicht auf das Gesagte ein, sondern greift die Person an. Geschenkt. Wird ignoriert.
Dann gibt es immer auch die Kommentare, die gar nicht so richtig zugehört oder gelesen haben, was ich da sage. Die mir unterstellen, Vertreter einer jahrhundertelangen Einstellung von irgendwas zu sein. Auch das lasse ich hier mal beiseite.
Aber neben all dem gab es auch eine ganze Reihe von interessanten Erwiderungen. Ich habe da noch mal viel gelernt.
Viel gelernt
Der Hauptkritikpunkt an dem, was ich da sage, scheint mir eine Gegenüberstellung von Realität und Virtualität zu sein. Ich würde die beiden gegeneinander ausspielen. Dabei sei Virtualität eher als erweiterte Realität zu verstehen – ich verkürze hier – und meine Kritik ginge an einem modernen Verständnis von Virtualität vorbei.
Zum einen: ich beobachte, dass gerade junge Menschen und digital Natives nach all dem Corona nicht schnell genug zurück kehren wollen in eine Realität, die nichts mit Computern, sondern mit Rasen im Englischen Garten, mit Feiern und menschlicher Nähe zu tun haben. Es gibt also mindestens eine signifikante Größe von mit Digitalem vertrauten Menschen, denen das nicht reicht.
Ich habe nichts gegen das Digitale
Zum zweiten: ich bin überhaupt nicht gegen das Digitale. Was Menschen, die mich kennen, bestätigen können. Oder Leserinnen und Leser des Blogs hier. Und selbstverständlich ist das eine Bereicherung unserer Lebenserfahrung, überhaupt keine Frage. Nicht nur ein Mittel, nicht nur Ersatz oder so. Sondern neuer Raum, nicht zuletzt neuer Freiheitsraum.
Aber wenn ich mit Menschen bete und dabei mit denen im selben Raum bin ist das eine andere Erfahrung als ein gemeinsames Gebet über den Bildschirm.
Wie ist das mit der Menschwerdung?
Und jetzt kommt die Crux: ich glaube eben auch, dass mit der Menschwerdung Gottes eine Grundentscheidung unseres Glaubens gefallen ist. Jemand im Netz warf mir vor, dass gerade ich – Vertreter einer lange körperfeindlichen Religion – die Körperlichkeit als Argument anführe. Aber genau da ist der Unterschied: wir sind körperliche Wesen. Ein Avatar ist nicht dasselbe wie ein Spaziergang durch den Wald oder ein gemeinsamer Tee irgendwo in der Stadt.
Ich halte den Unterschied nicht für konstruiert. Und den „Fleisch“-gewordenen Gott für so zentral und wichtig, dass ich nervös werde, wenn das aus dem Zentrum gerät.
Auf unserer, der menschlichen Seite entspricht dem das Sakrament. „Sakramente sind als konkrete Zeichen rückgebunden an eine leibhaftige und gemeinschaftliche Gegenwart.” Das entwertet nicht anderer Glaubens-Erfahrungen, ist aber auch nicht einfach gleichberechtigt.
Nehmen wir ein anderes Medium – auch das Gegenstand der Kommentare – nehmen wir das Buch. Ich bekenne: vor die Wahl gestellt, denselben Artikel auf dem Bildschirm oder in einem Buch zu lesen, greife ich zum Buch. Aber selbst das Buch, selbst die Bibel, ist nicht dasselbe wie gelebter Glaube in einer Gemeinschaft.
Wessen Internet?
Noch einige Nachbemerkungen, wenn ich darf: die Debatte um die Realität der Virtualität ist immer auch eine Luxusdebatte. Die muss man sich leisten können. Das können aber nur Menschen, die einen Arbeitsplatz haben, der einen ständigen Zugriff auf einen Bildschirm erlaubt. Das haben aber nicht alle Menschen, weit entfernt.
Und: Digital ist nicht neutral. Vergessen wir nicht, dass hier, im digitalen Raum, Regeln herrschen, die wir nicht kennen, die wir nicht gemacht haben und von denen wir nicht wissen, wann die sich ändern. Mir fehlt bei all dem Jubel über das Digitale die Dimension der Kritik. Wessen Internet ist das eigentlich?
Und ja, mein Hemdkragen saß wirklich schief. Ich gelobe Besserung.
Und hier ist das Video: