Elf Mal wurde Papst Franziskus bei seiner Rede vor dem Europaparlament durch Applaus unterbrochen. Warum applaudiert wurde ist nicht eindeutig zu benennen, aber als Daumenregel für „hier trifft er die Menschen“ kann das schon ein guter Indikator sein. Also, elf Mal. Wobei? Ich habe eine Liste gemacht:
#1: Arbeit hat mit Würde zu tun. Auch mit Geldverdienen, aber vor allem mit Würde. Das ist übrigens auch #8
#2: Egoistische Lebensstile, die zur Gleichgültigkeit gegenüber den Armen führen.
#3: Das Aussortieren von Menschen, die nichts mehr „nützen“.
#4: Schweigen gegenüber den Grausamkeiten von Terroristen.
#5: Menschenwürde ist Geschenkt und kann nicht Gegenstand von Handel oder Verkauf sein.
#6: Familie ist Keimzelle der Gesellschaft.
#7: Wegwerfen so vieler Lebensmittel, während Menschen hungern.
#8: siehe oben
#9: Das Mittelmeer darf kein Massengrab werden.
#10: Auf die Ursachen der Migration einwirken und nicht nur auf die Folgen.
#11: Die Heiligkeit der menschlichen Person.
Wie gesagt, das ist alles sehr umrissartig. Aber es entwirft ein Bild. Der Papst kam nicht als Politiker daher, und doch ist alles, was er sagt, eminent politisch. Alles, wofür er Applaus bekommen hat, hat direkte Auswirkungen für die Art und Weise, wie Europa gestaltet wird, wirtschaftlich, rechtlich, politisch.
In der ARD – für die ich während der Übertragung im Studio war – kamen vor der Rede zwei Parlamentarier zu Wort, ein Antikapitalist und ein Konservativer. Beide konnten in den Aussagen des Papstes bisher viel finden, dem sie zustimmen. Und doch: der Papst ist kein Parteipolitiker.
Vor dem Parlament, nicht vor der Regierung
Aber dass er so viel Applaus bekam ist ein Zeichen dafür, dass das, was er vorgebracht hat, nicht als Moralin angekommen ist, nicht sauer und von oben herab in der Haltung dessen, der es besser weiß. Sondern der Papst hat auch im Parlament so gesprochen, dass die Zuhörer ihm auf Augenhöhe begegnet sind. Sie haben die politischen Aussagen erkannt und darauf reagiert, das ist meine Lesart der Rede.
Also kein Parteipolitiker, aber auch nicht von oben herab. Der Papst so gesprochen, wie er es immer tut: direkt und persönlich an die Menschen gerichtet, die vor ihm sitzen. Keine versteckte Botschaften, keine gelehrten Ausflüge, offen und authentisch.
Er hat es dem Parlemant gesagt, nicht den Regierungen. Das ist eine Wertschätzung der Demokratie. Er betont durch seine Ansprache den Primat der Politik. „Es ist Ihre Aufgabe …“, eine der für mich bedeutsamsten Formulierungen. Da gibt es kein „man muss“ oder „Europa muss“, das ist ganz direkt denen gesagt, die das Mandat dafür haben, die Verantwortung zu tragen. Das ist ganz klar ein Votum für den Primat der Politik.
Oder noch besser: Ein Votum für den Primat der Politiker.
Die Rede vor dem Parlament, mein Beitrag und die ganze Rede.