Wir brauchen sie, aber gleichzeitig haben sie auch einen schweren Stand. Wir sehen sie und ihr Fachwissen zu Corona jeden Tag zitiert, und die Politik richtet sich danach, aber gleichzeitig sind sie auch der Angriffspunkt für alle Unzufriedenen und Kritiker. Expertentum wird hinterfragt.
Aber das ist ja Teil von Expertentum: Wissenschaft – auf der das aufruht – ist ja genau da, wo Thesen grundsätzlich falsifizierbar sind. Wo also Wissenschaftler Modelle bilden, welche die Wirklichkeit erklären. Und andere Wissenschaftler dann schauen, ob das Modell trägt oder eben nicht. Und dann neue Modelle bilden.
Expertentum wird hinterfragt
Expertentum ist genau da nicht am Start, wo es diese Möglichkeit nicht gibt oder wo diese Möglichkeit verneint wird. Wo Leute mit absolutem Wahrheitsanspruch auftreten. Wie jetzt in Corona-Zeiten wieder die Verschwörungs-Theoretiker, die sich keiner Debatte stellen, sondern von finsteren Kräften raunen, so dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll. Nein, das ziehe ich zurück, lachen kann man nicht, dafür ist da zu viel struktureller Antisemitismus dabei, wie der Kollege bei katholisch-de richtig festgestellt hat.
Hinterfragen ist genau da nicht am Start, wo – wie vereinzelt auch hier im Blog bei den Kommentaren – nicht Ergebnisse oder Schlussfolgerungen kritisiert werden, sondern die Wissenschaftler selber oder deren (angebliche) Motive. Wir müssen also schon genauer hinschauen, wenn es um Kritik geht.
Auf dem Bild zu diesem Text sind zwei Experten zu sehen, die ihren Teil der Kritik abbekommen haben. Zwei Gemälde, die bei mir zu Hause in der Jesuitenkommunität München hängen. Zwei Jesuiten und Wissenschaftler. Der eine ist Christophorus Clavius (rechts), der andere Athanasius Kircher. Bekannt und berühmt zu ihrer Zeit, und beide nicht unumstritten.
Zwei umstrittene Experten nebeneinander
Ich muss immer lächeln, wenn ich die beiden da nebeneinander hängen sehe. Denn ihre Hinterlassenschaft könnte verschiedener nicht sein. Der eine, Clavius, bestimmt bis heute unser Leben. Er hatte die Berechnungen eines verstorbenen Kollegen aufgenommen und einen Kalender errechnet. Und nach diesem Kalender bestimmen wir bis heute unsere Tage, Schalttage, Jahreswechsel und so weiter. Er war der Macher des so genannten Gregorianischen Kalenders. Weil Kalender aber mehr sind als nur einfache Ordnungsfunktionen, gab es um diesen Kalender immer schon Streit. Weil von einem Papst umgesetzt wehrten sich Anglikaner und Orthodoxe gehen diese papistische Verschwörung.
Aber der Kalender hat sich gehalten, über die katholische Kirche hinaus. Ganz einfach weil der bis heute das beste Instrument ist, Zeitorganisation und Planetenbewegung in Einklang zu bringen. Expertentum auf gelungene Weise, sozusagen.
Hieroglyphen und Kalender
Und daneben Pater Kircher, der erste wirkliche Universalgelehrte. Ihm sei zu verdanken, dass die Hieroglyphen entschlüsselt werden konnten, heißt es bis heute gerne noch in meinem Orden. Was falsch ist. Der Einfluss von Kircher auf alle mögliche Forschung ist unbestritten, aber er bezog sich in seinen Studien auch auf eine Menge Unfug und schon damals als falsch bekannte Thesen und Erkenntnisse. Die Generation nach ihm, René Descartes vorweg, hielt ihn für einen Quacksalber.
Und da hängen sie also nun nebeneinander, die beiden Experten. Zu ihrer Zeit hat man sich auf beide verlassen. Aber auch beide hinterfragt. Mit dem Ergebnis, dass der eine Bestand hat, der andere nicht. Das ist Expertentum, das ist Wissenschaft.
Übertragen auf die ganzen Experten, die uns über die Zeitungsseiten und Bildschirme flattern: auch die beziehen sich auf Zahlen und Daten, auf Modelle und Thesen. Kritik gehört da zum Geschäft, das macht das Ganze erst zur Wissenschaft. Nur darf es eben nicht die raunende Verschwörungs-Vermutung sein. Oder der Angriff auf die Person.
Der Kern ist das Lernen
Denn das Wesen aller Wissenschaft ist nicht, dass die Erkenntnis unumstößlich ist. Dass man jetzt weiß. Dass klar ist. Sondern das Wesen aller Wissenschaft ist das Lernen. Deswegen ändern sich Modelle, Thesen und Erkenntnisse. Im Augenblick vielleicht verwirrend oft, aber es ist eben ein Zeichen des Lernens, wenn widersprochen wird oder neue Erkenntnisse dazu kommen.
Das muss man aber wollen. Das Lernen. Unsere Verschwörer wollen das nicht, lernen. Denn sie wissen ja schon alles. Unsere beiden Jesuiten auf den Bildern wollten es, und haben es, und nachfolgende Generationen haben das aufgenommen und weiter geführt, kritisch, ablehnend in dem einen und weiterführend in dem anderen Fall.
Und lernende Experten sind mir allemal lieber als Menschen, die für sich die Unfehlbarkeit gepachtet haben. Lernen und Entwicklung von Erkenntnissen und Modellen ist ein Qualitätsmerkmal. Den Rest können wir getrost ignorieren.