Mit meinem letzten Post habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt. Und falsch gelegen. Der Papst kann mit seiner Reise nach Myanmar und Bangladesch nicht gewinnen, habe ich gesagt. Und zu den Gründen stehe ich auch nach wie vor. Aber jetzt, da die Reise läuft, muss ich meine Schlussfolgerungen dann doch ändern.
Einen Schritt dazu habe ich schon gemacht, in einem Artikel für die Zeitung Die Zeit. Jetzt hat der Papst Bangladesch für die Aufnahme von muslimischen Flüchtlingen gelobt. Ohne das Wort ‚Rohingya‘ zu benutzen. Und er hat drei Familien von Rohingya auf die Bühne gegrüßt und sie so ins Rampenlicht gesetzt. Und um Vergebung gebeten. Und das Wort Rohingya gebraucht. Wer jetzt nicht versteht, dem ist auch nicht zu helfen.
Für die Zeit habe ich das „Methode Franziskus“ genannt, bewusst undiplomatisches Verhalten, das Unruhe schafft und Spielräume öffnet. Der Papst macht etwas, tut etwas, sagt etwas, und geht damit einen ungewohnten Weg. Er nutzt das Wort ‚Rohingya‘ im August, obwohl die Bischöfe des Landes schon im Juni gebeten hatten, das nicht zu tun. Dann sind alle aufgeregt, die Bischöfe, die Generäle, alle Journalisten wollen wissen ob er das durchhält, Druck auf Aung San Suu Kyi, auf die Machthaber, alle sind unter Spannung weil nicht alles nach fein abgezirkeltem Plan läuft.
In Myanmar wurde vor allen offiziellen Terminen erst einmal ein informelles Treffen mit den Generälen eingeschoben, danach außerdem ein interreligiöses Treffen. Da war auf einmal Bewegung drin.
Im Kern konstruktiv
Vorsicht: das ist kein Elefant-im-Porzellanladen verhalten. Also erst mal Schaden anrichten und dann sich als gegen-das-Establishment aufspielen, wie das der Herr im Weißen Haus drüben tut. Was der Papst macht ist im Kern konstruktiv, nur geht es eben über Spannung.
Und es geht – und das ist die ganz große Stärke – über Religion. Es sind religiöse Botschaften, die er bringt, auch die vom Frieden und das Sprechen von Flüchtlingen ist keine rein humanitäre Aktion, das ist mehr. Und das gibt ihm überhaupt erst die Möglichkeit, diese Spannungsfelder zu erzeugen.
Und damit untergräbt er auch nicht seine moralische Autorität. Das ist ja der Vorwurf, der ihm von unserer westlichen Seite aus gemacht wurde. Demnach hat man nur moralische Autorität, wenn man offen und ehrlich die Dinge anspricht und die Konsequenzen in Kauf nimmt. Das mag so sein, das bringt aber nicht das, wofür der Papst einstehen will: Frieden und Hilfe für die Menschen vor Ort.
Religiöse Autorität
Genauer betrachtet ist es also kein „Versuch“, den der Papst unternimmt, wie ich etwas ungenau im vergangenen Kommentar hier geschrieben habe. Ich habe dazu gelernt. Es ist seine Art des Beitrags zum Gemeinwohl. Er betet an der Trennmauer, die Israel baut, und schafft Unruhe im Land, was zu Reaktionen führt. Das heißt, man reagiert. Er fährt dahin, wohin schon keiner mehr fährt. Er spricht mit Leuten, mit denen keiner mehr spricht, weil ja eh klar ist, was die sagen. Und er schafft diese Spannungsfelder, in denen auf einmal etwas an Bewegung möglich ist, wo es vorher keine geben konnte.
Geistliche Politik, Beitrag von Religion zum Gemeinwesen und zum Frieden, man nenne es, wie man will. Aber es ist zutiefst päpstlich.