Wir Journalisten und Beobachter waren uns nicht einig: Würde Papst Franziskus in Armenien das Wort „Völkermord“ in den Mund nehmen, um auf die Geschichte der Vertreibung und Tötung vor 100 Jahren zu Sprechen zu kommen, oder mit Rücksicht auf die Türkei nicht? Genauso wie unlängst Deutschland nach der Resolution im Bundestag hatte der Vatikan Probleme, als der Papst am 12. April 2015 bei einer Messe zum Gedenken an die Ereignisse im Osmanischen Reich „Genozid“ sagte.
In den Reden stand das Wort nicht, obwohl sie auch so an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Aber in seiner Ansprache am Freitag fügte der Papst das Wort dann doch ein. Und die Art und Weise, wie der Papst das tat, machten auch deutlich, wie er das meint.
Die Gesten des Papstes beim Besuch der Gedenkstätte in Armenien, die an die Ereignisse, die Vertreibungen und den Tot von Millionen von Menschen erinnern, genau so wie die Worte im April 2015 wie auch am Samstag in Jerewan, haben mich an die Gesten von Jerusalem und Bethlehem erinnert. Nicht, dass der Papst auch dort wieder an einer Wand gestanden wäre, aber die Intention schien mir dieselbe.
Er klagte, er beklagte, aber er klagte nicht an.
Das klingt vielleicht wie ein Wortspiel, macht aber einen großen Unterschied. Die Millionen von Toten kann ich beklagen, ohne gleichzeitig mit dem Finger zu zeigen. Wie es der Papst auf Lampedusa – noch so ein Trauerort – gesagt hat: Tausende von Menschen ertrinken und wir trauern noch nicht einmal. Die Frage nach dem Warum wird dadurch nicht unnötig, im Gegenteil. Solch eine Klage darf nichts beschönigen oder verdrängen. Trotzdem ist es etwas anderes, vielleicht sogar das Grundlegende, was anderen Dingen voraus gehen muss.
Zunächst muss ich sehen, dass dort Menschen, Brüder und Schwestern, im Millionenzahlen ums Leben gekommen sind oder besser: ums Leben gebracht wurden. Dann trauere ich um sie. Das ist menschlich.
Alles andere kommt dann. Denn nur so sind die Menschen im Mittelpunkt und werden nicht gegen andere benutzt. Die Armenier haben es vorgemacht, der Papst hat es gemacht. Ich würde mir wünschen, dass mehr anerkennen würden, dass es Opfer gibt, ohne sich gleich selbst angegriffen zu fühlen oder zu wissen.
Das es Verantwortlichkeiten gibt ist klar, dass diese benannt werden müssen auch. Aber klarer sichtbar werden sie, wenn man der Trauer um die Toten einen Raum gibt.
Oder eine Geste, eben wie der Papst.