Spricht man über die Rezeption des vergangenen Konzils, spricht man über die Polarisierung heute. Kaum jemand, der nicht für seine Argumente die Lehre, den Text oder den Geist des Zweiten Vatikanums ins Feld führt. Heute – genau 50 Jahre nach der Eröffnung des Konzils – ist der Streit um den Sinn und die Lehre genau so heftig, wie er es vor, während und in der Zeit direkt nach dem Konzil war.
Ich halte mich bei diesem Beitrag an einen der besten Theologen, die zur Ekklesiologie – der Lehre von der Kirche – nach dem Vatikanum geforscht, gedacht und geschrieben haben: Pater, später Kardinal Avery Dulles SJ (+ 2008). In einem Artikel 2003 für die Zeitschrift America versucht er, eine Perspektive zu entwickeln, in der man das Konzil und dessen Lehre so lesen kann, dass man ihm gerecht wird.
Avery Dulles ist kein Revolutionär der Theologie, als Autor für diese Zeitschrift gehört er eher zu denen, die man landläufig als liberal bezeichnen würde, auch wenn dieser Begriff eigentlich nicht viel aussagt. Vor allem aber ist er ein sorgfältiger Denker und Theologe, vor allem, was die Lehre von der Kirche angeht.
Der Kompromiss und die Medien
Dulles nennt vier Faktoren, die die Wahrnehmung des Konzils ausgemacht haben und immer noch ausmachen, zwei davon scheinen mir besonders treffend: Zum einen der vielfach genannte Kompromisscharakter vieler Dokumente: Paul VI. und die Konzilsväter wollten keine Mehrheitsentscheidungen, sondern Einstimmigkeit. Das prägt die Texte und die Debatte und die Zugeständnisse in den Texten bis heute.
Der zweite Punkt ist aber vielleicht noch gravierender: Die mediale Öffentlichkeit bevorzugt immer den Konflikt und das Neue, das das Alte ablehnt. Deswegen seien besonders diejenigen Theologen immer und immer wieder zitiert worden, die einen solchen medial zu präsentierenden Konflikt aufzeigten. Dulles nennt das die „innovationist hermeneutic”. Dagegen setzten andere Theologen, Joseph Ratzinger unter ihnen, die „Hermeneutik der Kontinuität“ (davon spricht Dulles bereits 2003). Weiterlesen „Wider die Polarisierung“